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Ausgebombt. Friedo Lampe musste nicht an die Front, doch seine Wohnung in Charlottenburg wurde wie so viele Häuser in Berlin bei Angriffen der Alliierten zerstört.

© picture alliance/dpa

Opposition und Mitläufertum: Durchbeißen in wölfischen Zeiten

Friedo Lampe schrieb einen schwulen Roman, der von den Nationalsozialisten verboten wurde - und arrangierte sich. Ein Buch erzählt sein zerrissenes Leben.

Die Welt: ein Wimmelbild. Eine Gruppe von Kindern – Fifi, Erich, Hans und Luise – wartet darauf, dass die Sonne untergeht und am Stadtgraben die Ratten aus ihren Löchern kommen. Eine Frau denkt auf einem Vergnügungsdampfer nicht mehr an ihren besoffenen Ehemann, sondern tanzt mit dem Steuermann Tango. Trübschimmernd hinter Wolken zeigt sich der Mond über der Hafenstraße, die zum Leben erwacht.

Im Varieté „Astoria“ füllt sich die Tanzfläche, ein Hypnotiseur und ein wahrsagendes Kind treten auf, es gibt Boxkämpfe. Höhepunkt des Abends, der längst zur tiefschwarzen Nacht geworden ist: der Kampf Dieckmann gegen Alvaroz.

Friedo Lampes Roman „Am Rande der Nacht“ ist selber ein Tanz, wie in einem Reigen begleitet er seine nur lose miteinander verbundenen Figuren von der Dämmerung bis zum Morgengrauen.

Lampe erzählt artistisch und avantgardistisch, Christopher Isherwoods Bekenntnis „I am a camera“ gilt auch für ihn. Ihm schwebten „lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen“ vor.

Das Buch kam Ende 1933 im Rowohlt Verlag heraus. Kurz darauf wurden alle noch nicht verkauften Exemplare aus „sittlichen Gründen“ von der Gestapo beschlagnahmt und eingestampft.

Lampe arrangierte sich mit dem Regime der Nazis

Denn zentrale Protagonisten des Romans sind erkennbar schwul, schwärmerisch wird die Schönheit des männlichen Körpers beschrieben. Suspekt war den Zensoren auch die Liebe zwischen einer Deutschen und einem Schwarzen. Ob sein Text „sehr anstößig“ sei, hatte Lampe einen Freund in einem Brief gefragt und hinzugesetzt: „Ich habe Angst.“ Angst davor, dass sein Debüt als Coming-Out verstanden werden könnte.

[Johann-Günther König: Friedo Lampe. Eine Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 388 S., 28 €.]

„Am Rande der Nacht“ gilt inzwischen als Klassiker der deutschen Zwischenkriegsmoderne. Der französische Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano erzählt in seinem Roman „Dora Bruder“ von Lampes Bedrängnis. Nun ist eine Biografie über den Schriftsteller erschienen, die sein Werk preist und sein zerrissenes Leben schildert. Denn Lampe verstand sich zwar als unpolitisch, doch als Homosexueller musste er zwangsläufig mit der Politik in Konflikt geraten.

Den Paragraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, verschärften die Nationalsozialisten 1935. Etwa zehntausend Homosexuelle landeten im Konzentrationslager, 1942 wurden Zwangssterilisationen „legalisiert“. Lampe war bedroht, sein Biograf Johann-Günther König spricht von einem „Damoklesschwert“. Aber der Schriftsteller arrangierte sich mit dem Regime an, er machte sogar Karriere.

Ein verbotener Autor, der beim Verbieten mitmachte

Friedo Lampe, Jahrgang 1899, war in einer gut situierten Patrizierfamilie in Bremen aufgewachsen, der Stadt, wo später „Am Rande der Nacht“ spielen sollte. Nach einem „Bummelstudium“, das er mit einer Dissertation über den Rokoko-Dichter Goeckingk abschloss, ließ er sich zum Volksbibliothekar ausbilden. Lampe sei von Anfang an „bedingungslos gegen den Nationalsozialisten eingestellt“ gewesen, attestiert ihm eine Freundin nach dem Krieg. Der Autor Axel Eggebrecht rechnet ihn der „stillen Opposition“ zu.

Wie passt es dazu, dass Lampe 1935 zum Leiter der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen aufsteigt? Dort beteiligt er sich an der angeordneten „Säuberung“ der Bibliotheksbestände von „zersetzender, art- und volksfremder Literatur“. Bereits ab April 1933 ist er Mitglied einer „Kommission für auszusondernde Bücher“.

Mehr als 5000 Bücher landen auf dem Index, darunter auch Werke von John Dos Passos, mit dessen Montagetechnik Friedo Lampes Debütroman in zeitgenössischen Rezensionen verglichen wurde, und von Kurt Pinthus, der seinen Stil als „Gedichte in Prosa“ lobte. Wenig spreche dafür, dass sich Lampe als Volksbibliothekar gegen die Barbarei gewehrt hab, urteilt König. Ein verbotener Autor, der selbst mitmachte beim Verbieten.

Im Privaten war Friedo Lampe mutiger. „Der Dichter träumt von wölfischen Zeiten – aber draussen ist wölfische Zeit noch immerzu!“, schreibt er ins Gästebuch von Hans Fallada, der im mecklenburgischen Örtchen Carwitz haust. Lampe arbeitet ab 1937 als Lektor des Rowohlt Verlags in Berlin, sein wichtigster Klient ist Fallada. Der finanziell angeschlagene Verlag hofft, sich mit dem Roman „Wolf unter Wölfen“ des Bestsellerautors zu sanieren.

Er wird von einem Strichjungen erpresst

Rowohlt ist nicht nur wirtschaftlich bedroht, das Unternehmen steht unter Beobachtung. 1933 war die Hälfte seiner lieferbaren Bücher verboten und verbrannt worden. Jüdische Mitarbeiter wie der Lektor Franz Hessel konnten heimlich weiterarbeiten. Verleger Ernst Rowohlt wurde 1938 wegen „Tarnung jüdischer Schriftsteller“ aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Er emigrierte vorläufig nach Brasilien.

In Lampes zweitem Roman „Septembergewitter“ gleitet ein Heißluftballon durch den norddeutschen Himmel. Von dort stürzt die Erzählung wie mit der Filmkamera hinab in eine Stadt, zu einer Kinderbande, auf einen Exerzierplatz und in einen Park, wo eine Frau ermordet wurde. Das Buch wird bei seinem Erscheinen im Jahr 1937 kaum beachtet, ebensowenig wie der magisch-realistische Erzählband „Von Tür zu Tür“ (1944). „Ich habe eben immer Pech mit meinen Büchern“, klagte Lampe.

Eins hatte er aus dem Desaster von 1933 gelernt: Künftig vermied er jede „anstößige“ Stelle, alles, was als Anspielung auf Homosexualität gedeutet werden könnte. Der Schriftsteller sah bereits „die Sittenpolizei vor meiner Tür“ stehen. Beinahe wäre es tatsächlich dazu gekommen. 1943 wurde Lampe von einem Strichjungen erpresst. Ein Anwalt half, das Problem zu lösen.

Er wird von Rotarmisten erschossen

„Septembergewitter“ ist ein überaus ziviler Roman. Zwischen den Zeilen kritisiert er Militarismus und Polizeistaat. Wegen einer Fußverletzung, die auf die Kochentuberkulose seiner Kindheit zurückging, war Lampe vom Kriegsdienst befreit. Man verpflichtete ihn zu Lektoratsarbeiten im Auswärtigen Amt. Er hörte „Feindsender“ ab und erstellte Auswertungen.

„Vorstellen kann man sich das alles nicht, man muss es gesehen haben. Die ganze Zoo Gegend brannte: Die Ufa, Gloria, die grossen Restaurants, die Gedächtniskirche. Es regnete Feuer und Asche und ein starker Wind kam auf. (…) Berlins Gesicht ist zerstört“, schreibt Lampe im November 1943 in einem Brief. Seine Wohnung in der Fürstenbrunner Straße in Charlottenburg war bei dem gewaltigen Bombenangriff zerstört worden, Manuskripte und die geliebte Bibliothek mit mehr als 10 000 Bänden wurden ein Raub der Flammen.

Zuletzt lebte der Schriftsteller in Kleinmachnow. Bei Kriegsende floh er in die sogenannte Festung Wannsee. Am 2. Mai 1945, Stunden nach der Kapitulation Berlins, machte sich Friedo Lampe mit Hut auf dem Kopf und Rucksack auf den Weg zurück nach Kleinmachnow. Er wurde von zwei Rotarmisten angehalten, auf ein Grundstück neben der Straße geführt und erschossen. Wahrscheinlich hatten sie ihn für einen untergetauchten SS-Mann gehalten.

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