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Auferstehung. Das Teatro La Fenice, Venedigs Erinnerung an seine Zeit als Opernmetropole, erwacht nach dem Lockdown zu neuem Leben.

© AFP

Opernstadt Venedig: Es lauscht der Doge in seiner Loge

Das Buch „Venedig und die Oper“ erzählt die Musikgeschichte einer unvergleichlichen Stadt.

Giuseppe Verdis bekannteste Oper spielt zwar in Paris, ihre allererste Aufführung erlebte „La Traviata“ aber 1853 in Venedig, im Teatro La Fenice. Heutzutage ist der klassizistische, nach dem verheerenden Brand von 1996 originalgetreu wiederaufgebaute Musentempel die einzige Musiktheaterbühne der Lagunenstadt. Im 17. Jahrhundert konkurrierten hier bis zu sieben verschiedene Opernhäuser. Denn sie dienten nicht der Repräsentation wie die Hoftheater des Adels, in der Republik Venedig steckte wirtschaftliches Denken dahinter: Die reichen Kaufleute ließen Bühnen errichten und vermieteten sie an Theaterunternehmer, die wiederum versuchten, durch besonders spektakuläre Inszenierungen die einheimische Klientel wie die Kulturtouristen anzulocken.

Der Niederländer Willem Bruls entwirft in seinem von Bärbel Jänicke übersetzten Buch „Venedig und die Oper“ eine Musikgeschichte dieser unvergleichlichen Stadt. Er schreibt dabei nicht nur als Klassikkenner, sondern hat stets auch den sozialen Kontext im Blick, die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Werke entstanden. Aus der Innensicht möchte er die stilistischen Wandlungen und Publikumsvorlieben begreifen und nimmt seine Leserinnen und Leser darum mit auf Streifzüge durch die Gassen des heutigen Venedigs, auf der Suche nach Orten, an denen der einstige Glanz der Serenissima noch nicht ganz verblasst ist.

Oft geht er dabei vor wie ein Reporter, trifft sich mit Dirigenten, Musikwissenschaftlern und Vertretern der alten Patrizierfamilien oder dem Direktor des Nobelhotels Danieli an der Riva degli Schiavoni. In diesem Palazzo wurde, als er noch der Familie Mocenigo gehörte, ein Schlüsselwerk der Barockmusik uraufgeführt, Claudio Monteverdis „Combattimento di Trancredi e Clorinda“.

Die Blütezeit: Monteverdi, Libertinage und Wollust

Monteverdi verehrt Willem Bruls ganz besonders, weil dieser die Spielart der Oper begründet hat, die ihm am liebsten ist: eine Mischform nämlich aus Komischem und Tragischem, bei der es vor allem um authentische Emotionen geht. Monteverdis Werke, in denen auch Rezitative und Arien nicht streng getrennt werden, symbolisieren für den Autor die letzte Blütezeit Venedigs, als die Stadt ein Zentrum der Libertinage und der Wollust war. Händel und auch Vivaldi haben diese Tradition später fortgeführt, so Bruls, indem sie sich ihre Individualität bewahrten – und sich nicht dem Modetrend der Kastraten-Virtuosität unterwarfen oder der in Konventionen erstarrenden opera seria, wie so viele ihrer heute längst vergessenen Zeitgenossen.

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In 19 Kapiteln bietet Bruls Nahaufnahmen der Vergangenheit, chronologisch von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert, von den mehrchörigen Gesängen in San Marco bis zu Benjamin Brittens Thomas-Mann-Vertonung „Tod in Venedig“ und Luigi Nono, der den Klang seiner Heimatstadt in Avantgardemusik zu verwandeln vermochte, wie etwa 1976 in „…sofferte onde serene…“ für Klavier und Magnetband, das in Töne übersetzt, wie sich die Schallwellen der Glocken auf den alten Steinwänden brechen.

Neben Verdi und Rossini kommt auch Casanova vor, weil der ein venezianisches Künstlerkind war, das hinter den Kulissen des Teatro San Samuele aufwuchs, wo sein Vater als Geiger arbeitete und seine Mutter als Sängerin. Und über Richard Wagner weiß Bruls nicht nur die bekannten Anekdoten zu erzählen, sondern auch, dass er am Markusplatz nie im Café Florian einkehrte, sondern stets gegenüber im Quadri, wo auch die Offiziere der österreichischen Besatzer saßen.

In Venedig wurde das Rangtheater entwickelt, aus Platznot

Ganz nebenbei erklärt Bruls, dass die Aufteilung von Theatersälen in mehrere Ränge in Venedig erfunden wurde, aus Platzmangel. Die Halbkreisform des Zuschauerraums wurde von den antiken Theatern übernommen, die aufsteigenden Sitzreihen aber stapelte man notgedrungen übereinander. So wie im San Benedetto, um das sich Ende des 18. Jahrhunderts die steinreichen Grimanis mit den nicht minder wohlhabenden Veniers stritten. Den einen gehörte das Grundstück, den anderen das Gebäude. Erstere verloren den Rechtsstreit, fühlten sich in ihrer Ehre gekränkt und ließen darum ein paar Kanäle weiter südlich eine viel größere und prächtigere Bühne erreichten: das heutige La Fenice.

Im gotischen Palazzo neben dem Teatro San Benedetto übrigens wohnte ab 1889 eine schillernde Persönlichkeit, der dort heute ein Museum gewidmet ist. Die edlen Brokat- und Damaststoffe des Spaniers Mariano Fortuny waren bei den Damen der europäischen High Society so en vogue, dass ihn sogar Proust in seiner „Recherche“ erwähnt. Als glühender Wagnerianer wurde der Designer aber auch zu einem Pionier der Theater-Lichttechnik. Die „Cupola Fortuny“, die er 1922 für eine Mailänder Parsifal-Inszenierung entwarf, wollten wegen ihrer atmosphärischen Tiefenwirkung bald alle bedeutenden Bühnen auch haben.

[Willem Bruls: Venedig und die Oper. Auf den Spuren von Vivaldi, Verdi und Wagner. Henschel 2021, 263 Seiten, 20 Euro.]

„Venedig und die Oper“ ist weit mehr als ein Musikbuch, auch die anderen Künste spielen hier wichtige Rollen. Vor allem die Malerei der venezianischen Meister ist eine wichtige Bezugsgröße für den studierten Kunsthistoriker Bruls. Die suggestiven Schwarzweißfotos zwischen den Kapiteln machen die Publikation zu einem bibliophilen Bändchen. Passanten sind auf den Bildern selten zu sehen, und tatsächlich muss man sich Bruls Venedig ohne Menschenmassen denken – damit man ihn wahrnehmen kann, den „Rhythmus der Fassaden, die wie Akkorde auf dem Wasser der Lagune treiben“, damit die Sinne frei sind für die „Symphonie aus Farben und Formen“, die sich dem Betrachter darbietet. Und damit man die Stille in den Kanälen hören kann, die ebenso dazugehört wie Geräusche des Bootsverkehrs.

Jetzt, wo der unselige Touristentrubel pandemiebedingt unterbrochen ist, vor Ort zu sein, das wäre ein Traum.

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