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Tannhäuser in Nowosibirsk. Eine Szene aus der Inszenierung des Regisseurs Timofej Kuljabin

© Oper Nowosibirsk/Jewgeni Iwanow/dpa

Opern-Skandal in Russland: "Tannhäuser" und die Macht der Kirche

Dass Wagners „Tannhäuser“ in Russland ein kulturpolitisches Erdbeben auslöst, hätte die Oper in Nowosibirsk nicht erwartet. Doch der Rausschmiss des Intendanten Boris Mesdritsch wegen verletzter religiöser Gefühle zeigt einmal mehr, wie mächtig die Kirche dort ist.

Eigentlich hätte die Oper in der Millionenstadt Nowosibirsk mit ihrem „Tannhäuser“ gern den vor gut 200 Jahren geborenen deutschen Komponisten Richard Wagner gewürdigt. Doch aus dem Regie-Experiment mit einem zum Filmfestival aktualisierten Tannhäuser-Minnesängerstreit ist nun ein handfester Skandal geworden. Die Kirche verurteilt das Stück als „Gotteslästerung“, weil Tannhäuser dort einen Film über Jesus und Venus zeigt. Es gab ein Gerichtsverfahren und Straßenproteste. Und nun feuerte das Kulturministerium den Theaterdirektor Boris Mesdritsch, weil er sich weigerte, umstrittene Szenen zu ändern und sich bei den Gläubigen zu entschuldigen. Mezdritsch, heißt es in der Begründung der Behörde, habe die „Meinung der Bürger“ missachtet und die Empfehlungen des Ministeriums nicht befolgt.

Für Russland sei das eine nie dagewesene Niederlage für die „Freiheit der Kunst“, kommentierten Kulturschaffende den Rausschmiss von Mesdritsch. Die bislang vier ausverkauften „Tannhäuser“-Vorstellungen sahen etwa 7000 Menschen, jedes Mal gab es Ovationen. Im Internet hatten rund 50.000 Bürger einen Solidaritätsaufruf für die Verantwortlichen der Inszenierung unterstützt. Das Opernhaus zählt nach den Bühnen von Moskau und Sankt Petersburg zu den besten Russlands. Doch für die Wächter über die russische Kultur zählte all das nicht.

"Tannhäuser", eine Gotteslästerung? Der Erzbischof rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan

„Jesus im Bordell - das ist eine Dummheit“, urteilte Russlands Chefpropagandist Dmitri Kisseljow im Staatsfernsehen. In der Oper lässt Kuljabin seinen Minnesänger Tannhäuser (Stig Andersen) als Regisseur auftreten, der den Erotikfilm „Venusgrotte“ dreht. Eine der Figuren ist Jesus, umgeben von halbnackten Frauen. Dieser „Dreck“ werde mit Steuergeldern finanziert, empörten sich Gläubige. Kurz darauf setzte der Erzbischof Tichon von Nowosibirsk die Staatsanwaltschaft und den Geheimdienst FSB in die Spur. Selbst gesehen hat der Geistliche die Oper zwar nicht, Medien zufolge kennt er lediglich eines der „Tannhäuser“-Plakate, das Jesus zwischen den nackten Frauenbeinen zeigt.

In einem offenen Brief an den Gouverneur kritisierten Dutzende Intellektuelle die „Hetzjagd“ und beklagten dass Nowosibirsk seit einiger Zeit unter einer „radikalen Orthodoxie“ lebe, die Feindschaften säe. Doch auch die Regierungspartei Geeintes Russland stellte sich demonstrativ auf die Seite der Kirche. Religionsgemeinschaften verglichen den Fall sogar mit den umstrittenen Mohammed-Karikaturen in westlichen Satirezeitschriften.

Mesdritschs Rausschmiss erfolgte trotz positivem Gutachten von Religionswissenschaftlern

Verständnis für die Kritik zeigte nicht zuletzt Wladimir Tolstoi, ein Nachkomme des von der Kirche einst geächteten Nationalschriftstellers Leo Tolstoi. Der Berater von Kremlchef Wladimir Putin ließ mit Blick auf die positiven Kritiken für „Tannhäuser“ dann noch aufhorchen mit der Bemerkung: „(...) bei uns sind 95 Prozent der Rezensionen Auftragsarbeiten“.

Da half es am Ende auch nicht, dass - ungewöhnlich für russische Verhältnisse - ein Gericht den Beschuldigten Recht gab. Zwei Religionswissenschaftler bescheinigten Kuljabin und Mesdritsch in einem Gutachten, die religiösen Symbole seien im künstlerischen Kontext verwendet worden. Es handele sich also nicht um Gotteslästerung. Auch die Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa verbat sich eine Einmischung der Religionen in das „weltliche Leben“ - der Staat mische sich ja auch nicht in Glaubensfragen ein. „Die Reaktion der Kirche befremdet mich“, sagte sie. Vor einem Rückfall ins Mittelalter und einer „Epoche der neuen Inquisition“ warnte der russische Rockstar Boris Grebenschtschikow in einem Blog.

In Russland kommt es seit einigen Jahren immer wieder zu Konflikten zwischen Kunst und Kirche. Prominentes Beispiel: Zwei Musikerinnen der
Punkband Pussy Riot wurden 2012 nach ihrem "Punk"-Gebet in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, dem zentralen Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche, wegen Verletzung religiöser Gefühle zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Die Frauen hatten eine „unheilige
Allianz“ zwischen Staat und Kirche, sprich: zwischen Putin und dem Patriarchen Kirill angeprangert. Zwar sind auch in Russland Staat und Kirche laut Verfassung getrennt. Allerdings warnen Kulturschaffende vor der Gefahr eines fundamentalistischen Gottesstaates mit christlicher Prägung. Die Kirche gilt als eine wichtige Machtstütze des Kreml.

Besorgt über eine zunehmende Zahl von Angriffen russisch-orthodoxer Geistlicher gegen die Kunst äußert sich nicht zuletzt der prominente Kulturpolitiker Michail Schwydkoi. Er lobt das Theater in Nowosibirsk als eines der besten Russlands. Schwydkoi mahnt, dass die Kirche nicht wieder solchen Einfluss haben
dürfe wie zu Zarenzeiten, als die Zensur alles verbieten konnte. dpa/KNA/Tsp

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