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Szene mit Talya Lieberman (Musotte) und Daniel Foki (Baron Bogumil Barczewsky), im Hintergrund Hera Hyesang Park (Dschainah)

© Iko Freese / drama-berlin.de

Operettetrarität an der Komischen Oper: Liebesleid in Saigon

1935 kam Paul Abrahams "Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus" in Wien heraus. 80 Jahre später wird die Operette jetzt in Berlin wiederentdeckt

Der Auftrag des Wiener Kaffeekönigs Julius Meinl war ein Lichtblick für Paul Abraham. Die Nationalsozialisten hatten den ungarischen Juden aus Berlin vertrieben, wo er mit seinen Operetten „Blume von Hawaii“, „Viktoria und ihr Husar“ sowie „Ball im Savoy“ zum Entertainment- Superstar aufgestiegen war. Nun saß er in Budapest und wusste nicht weiter.

Die Anfrage aus der österreichischen Hauptstadt kam also gerade zur rechten Zeit: Meinl brauchte ein Bühnenstück, in dem seine Ehefrau glänzen konnte. Sie war vierzig Jahre jünger als er, eine attraktive Japanerin, die früh musikalisches Talent zeigte, aber auch ebenso viel Temperament.

Nach einer Affaire mit einem verheirateten Mann sahen sich ihre Eltern genötigt, die 19-Jährige von Tokio nach Wien zu schicken. Wo Michiko Tanaka sich dann den Erben der Lebensmitteldynastie angelte. Herr Meinl engagierte ihr Richard Tauber als Partner für einen Spielfilm, der im Februar 1935 in die Kinos kam – und Abraham als Komponisten für eine Operette, deren Uraufführung im Dezember folgte.

Gewünscht war ein asiatisches Kolorit, und weil China bereits durch Lehárs „Land des Lächelns“ besetzt war und Japan durch Puccinis „Madama Butterfly“, wählten die Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda Vietnam als Ort der Handlung. Den sie mit dem – für die meisten Zuschauer nicht minder exotischen – Schauplatz Paris kombinierten.
Marineoffizier Pierre Claudel lässt seine Verlobte Yvonne zurück, um sich befehlsgemäß nach Saigon einzuschiffen. Dort wird er aus Mitleid eine Dschainah heiraten, die vietnamesische Entsprechung der Geisha, um sie vor dem Schicksal als Prostituierte zu bewahren.

Mit dabei: ein lustige Witwe namens Cliquot

Doch Yvonnes Mutter, eine lustige Witwe namens Cliquot, ist wild entschlossen, ihren Schwiegersohn zurückzuholen – und reist ihm samt Entourage hinterher, was den dramaturgischen Vorteil hat, dass das Finale im prachtvollen Fernostambiente spielen kann.
Die Operettenmacher in der bronzenen Ära des Genres waren eben auch nichts anderes als Kolonialwarenhändler. Wobei das Libretto im Fall von „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“ nur ein lauwarmer Aufguss der dekadent-dadaistischen Geniestreiche ist, die Grünwald und Löhner-Beda zuvor für Paul Abraham geschrieben hatten.

Umso heißer geriet dessen Partitur, wie jetzt bei der Wiederentdeckung der 80 Jahre lang nicht mehr gespielten Operette an der Komischen Oper zu erleben ist.

Abrahams Musik hat immer einen kessen Hüftschwung

Die Eröffnungnummer, ein Quickstep à la Mode, zündet sofort, der Chor schmettert „Heut’ ist was los“, das Orchester swingt und lässt die Klangfarben funkeln. Abrahams musikalisches Markenzeichen ist der kesse Hüftschwung, mit dem sich seine Melodien durch die Harmonien schlängeln. Sein souverän angerührtes Stilgulasch aus Jazz und Spätromantik würzt er dabei mit einem Schuss asiatischer Pentatonik. Dirigent Henrik Vestmann trifft diesen mondänen Metropolen-Sound genau, die Musikerinnen und Musiker spielen rhythmisch so elastisch wie eine Tanzkapelle, an der Rampe agieren dazu sieben tolle Solisten.

Johannes Dunz alias Pierre Claudel schmachtet wunderbar tenoral und schwankt emotional zwischen der feschen Yvonne von Mirka Wagner und der von Hera Hyesang Park mit leuchtendem Sopran ausgestatteten Dschainah.

Die Soubrette heißt hier Musotte

Als gerissene Soubrette weiß Talya Lieberman dagegen ganz genau, was sie will: Nämlich den Notfall verhindern, der eintritt, wenn Offizier Pierre nicht rechtzeitig zur Trauungszeremonie aus Saigon zurück ist – und Baron Bogumil Barczewsky seine Yvonne procura heiraten muss.

Also als Stellvertreter des eigentlichen Bräutigams. Doch Musotte, wie die Soubrette in frecher Verhöhnung von Puccinis Opernheldin heißt, hat den Baron längst für sich reserviert:<TH>Was angesichts der Besetzung mit dem schneidigen Bariton Daniel Foki nur zu verständlich ist.
Gaststar Zazie de Paris, eigentlich als Moderatorin des Abends angekündigt, begnügt sich mit einer Nummer, in der sie von einer männlichen „Dancing doll“ schwärmt. Die Rolle des Conférenciers übernimmt also der Schauspieler Klaus Christian Schreiber in dieser auf kurzweilige 90 Minuten komprimierten Konzertfassung. Und zwar auf geradezu immersive Weise, wenn er seine Mitspieler und das Publikum kumpelhaft in den Erzählfluss mit einbezieht (noch einmal am 30. Dezember).

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