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Kultur: Operation Sanduhr

Warten statt kämpfen: „Jarhead“ zeigt den Golfkrieg von 1991 aus der Perspektive eines GIs

In den heroischen Tagen des New Hollywood-Kinos wurden Kriegsfilme gedreht, um zu zeigen, wie verrückt und sinnlos Kriege sind. Dreißig Jahre später sind diese Filme, es ist verrückt, am Ende einer bizarren Verwertungskette angelangt: als militärisches Aufputschmittel. In „Jarhead“, dem neuen Film von Sam Mendes, feiert eine Kompanie von Marines den Abschluss ihrer Ausbildung mit Bier und „Apokalypse Now“. Beim Hubschrauberangriff auf ein vietnamesisches Dorf, dem berühmten Höhepunkt von Coppolas Klassiker, gröhlen sie Wagners Walkürenritt und skandieren: „Knallt die Motherfucker ab.“ Als das Töten im Film beginnt, geht das Licht im Saal an. Interruptus. Am nächsten Tag sitzt die Truppe im Flugzeug, unterwegs zum ersten Golfkrieg. Wir schreiben das Jahr 1990, in Amerika regiert Bush Senior.

„Jarhead“ ist der Militärslang-Begriff für einen Marine. Seine Haare sind so kurz rasiert, dass der Kopf einem Topf gleicht. Soldaten werden zu Kampfmaschinen abgerichtet. „Eure Mission ist es, zu töten“, brüllt der Ausbilder, sie brüllen zurück: „Sir, yes, Sir!“ Natürlich fehlen auch die brutalen Geländespiele nicht, der Dauerlauf mit Chorgesang. Die Gehirnwäsche erinnert an den Verismus von „Full Metal Jacket“, bei dem Stanley Kubrick auf einen echten Drill Instructor als Darsteller zurückgegriffen hatte. In „Jarhead“ wird der Sergeant von Jamie Foxx gespielt, er stattet den Kommandoton-Roboter mit menschlichen Zügen aus. Den Unfalltod eines Rekruten quittiert er mit einem „Shit!“-Ausruf. Später, als Untergebene und Vorgesetzte wochenlang in der saudischen Wüste auf den Angriff warten, entpuppt sich der schwarze Sergeant als Pragmatiker des amerikanischen Traums. In der Army sieht er die Chance zum sozialen Aufstieg, sein Ziel: ein Eigenheim nach der Pensionierung.

„Ohne dein Gewehr bist du nichts“, lautet das Credo des Sergeants. Swoff (Jake Gyllenhaal), Troy (Peter Sarsgaard) und der Rest der Kompanie werden zu Scharfschützen ausgebildet. Ein „JFK-Shot“, die perfekte Hinrichtung auf lange Distanz, das ist es, wovon sie träumen. Ironischerweise wird der Krieg vorbei sein, bevor sie zum Schuss kommen. Den Blutdurst, den die Vorbereitungsprozedur in ihnen geweckt hat, nicht stillen zu können, das wird zum Trauma der Truppe. Die Mechanik des Tötens ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. „Meine Hände erinnern sich an das Gewehr“, erzählt Swoff am Anfang aus dem Off. „Man könnte mich mitten in der Nacht wecken, und ich würde mein Gewehr zerlegen und wieder zusammensetzen.“

„Jarhead“ basiert auf dem gleichnamigen Bestseller, den Kriegserinnerungen des Marine-Soldaten Anthony Swofford. Im Film passt der kindliche Spitzname zum (Anti-)Helden, Jake Gyllenhaal registriert die Demütigungen und Desaster, die ihm geschehen, mit großen Augen. Dass er anders ist als seine Kameraden, kann man schon daran erkennen, dass er sich in der Toilette einschließt, um „Der Fremde“ zu lesen, den Roman von Camus. Was ihn veranlasst hat, zur Armee zu gehen, bleibt unklar. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus Patriotismus und Abenteuerlust. „Ich war 20, als ich den Vertrag unterschrieb“, sagt er einem Fernsehteam. Die Krieger sind fast noch Kinder.

Den Golfkrieg von 1991 haben wir als große Computer-Kriegssimulation in Erinnerung. Die Toten der „Operation Wüstensturm“ waren nicht zu sehen, der Fernsehbildschirm zeigte nur flackernde Bilder von „chirurgischen“ Bombenschlägen gegen Fabrikanlagen und Brücken. Viel mehr haben auch die meisten Soldaten, das demonstriert „Jarhead“, nicht erkennen können. Je näher man dem Krieg kommt, desto stärker scheint sich seine Wirklichkeit der Betrachtung entziehen zu wollen. Die Scharfschützen beziehen wenige Kilometer von Kuwait Stellung, das die Iraker besetzt haben. Vom Ablaufen der UN-Ultimaten gegen den Aggressor, dem Näherrücken des Waffengangs erfahren sie aus Gerüchten und dem Fernsehen. Sie schlagen die Zeit tot, mit Skorpion-Kämpfen und Football-Spielen in voller ABC-Schutz-Uniform: eine Schikane des Sergeants. „Wir patrouillieren in der leeren Wüste“, erzählt die Off-Stimme. „Wir werfen Granaten ins Nirgendwo, wir feuern auf Nichts.“

Die Wüste, Ort eines völligen Stillstands, ist der ideale Schauplatz für einen existenzialistischen Kriegsfilm, der mit keiner Action dienen kann. Zum düsteren Höhepunkt, da sind zwei Drittel des Films schon vorbei, gerät der Einmarsch der Soldaten ins Feindesland, wo die voranfliegenden Luftwaffen-Staffeln schon alle Feinde in Grund und Boden gebombt haben.

Es ist ein psychedelischer Trip, eine Höllenfahrt. Die brennenden Ölquellen haben den Himmel verdunkelt, schwarze Asche liegt über dem Wüstensand. Die GIs finden zerbombte Wagenkolonnen mit den verbrannten Leichen ihrer Gegner. Auf halbe Lebensgröße zusammengeschrumpft, erinnern sie an die versteinerten Toten von Pompeji. Als etwas überdeutliches Vanitas-Symbol läuft ein Pferd durchs Bild. Am Ende visieren Swoff und Troy doch noch durch ihr Zielfernrohr ein Opfer an. Sie sollen einen irakischen Offizier töten, der sich im Tower eines Flughafens verschanzt hat. Doch bevor sie abdrücken können, hat die Luftwaffe das Problem bereits eliminiert. Als Zuschauer, es ist pervers, möchte man den Schützen zurufen: Schießt schon endlich!

Der britische Theaterregisseur Sam Mendes hat mit „Jarhead“ nach „American Beauty“ und „Road to Perdition“ seinen dritten Film gedreht. Der elegante Stilist nennt den vom amerikanischen Universal-Studio produzierten Film, der in seiner Strenge fast dokumentarisch wirkt, eine „Meditation über den Krieg“. Mit Filmen wie dem Gewalt-Patchwork „L.A. Crash“ oder dem Polit-Thriller „Syriana“, der auf der Berlinale zu sehen sein wird, ist Hollywood dabei, die Wirklichkeit wiederzuentdecken. „Jarhead“ spielte in Amerika allerdings nur 62 Millionen Dollar ein, die Kritiken waren durchwachsen. Das Erschreckende: Der Film konfrontiert den Zuschauer mit seinen eigenen Killerinstinkten.

Ab Donnerstag in 17 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center

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