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Wie retten wir unsere Freunde? John Rabe (Xue Haoyin, stehend) und Minnie Vautrin (Xu Xiaoying, links daneben).

© Wu Promotion

Oper über John Rabe: Der gute Nazi

Eine chinesische Produktion erzählt die Geschichte eines schillernden deutschen Charakters: „Die Tagebücher des John Rabe“ von Tang Jianping an der Berliner Staatsoper.

Von Gregor Dotzauer

Für die Deutschen ist John Rabe eine schillernde Figur. Er steht für die Entlastung der wunden Kollektivschuldseele, die in dem hitlergetreuen Kaufmann aus Hamburg, der im Herbst 1937, kurz nach der Invasion japanischer Truppen in China das Massaker von Nanjing miterlebte, ein grandioses Exempel von moralischer Ambivalenz findet. Auch opportunistischere Gemüter würden die Verbindung von humanitärem Engagement und Nazitum wohl gerne für sich in Anspruch nehmen. Was war geschehen? Innerhalb von sechs Wochen wurden in der damaligen Hauptstadt über 200 000 Zivilisten und Kriegsgefangene in einem wahren Blutrausch gemeuchelt sowie rund 20000 Frauen von den Soldaten des Tenno vergewaltigt.

Rabe, nach fast 30 Jahren im Lande zum Freund der Chinesen geworden, erkannte das mörderische Unrecht und richtete zusammen mit anderen Ausländern, unter ihnen die christliche Missionarin Minnie Vautrin, auf vier Quadratkilometern eine internationale Sicherheitszone ein. Sie rettete mindestens 200 000 Chinesen das Leben. Außerdem spannte der Siemens-Geschäftsführer im Garten seines Hauses eine riesige Hakenkreuzfahne auf, die die japanischen Bomberpiloten von Angriffen abhielt und die Menschen auf seinem Grundstück schützte. Der in Berlin von Joachim von Ribbentrop und Mushanokoji Kintomo geschlossene Antikominternpakt erfüllte so einen ganz unvorhergesehenen Sinn.

Für die Chinesen ist John Rabe eine reine Lichtgestalt. Einer der Gerechten unter den Völkern, der dem Wüten der japanischen Teufel Einhalt gebot. Zugleich ist er aber der Protagonist eines größeren erinnerungspolitischen Zusammenhangs, der erst nach Maos Tod auflebte. Über Jahrzehnte war es tabu, die Verdienste der nationalistischen Kuomintang beim Zurückschlagen der Japaner hervorzuheben. Auch deshalb wurde viel zu lange das Massaker von Nanjing unter den historischen Teppich gekehrt.

Triumph eines unbeugsamen Volkes

Seit den 80er Jahren geschieht genau das Umgekehrte. Das Überleben unter widrigsten Umständen wird als Sieg des unbeugsamen chinesischen Volkes gefeiert. Ihren spektakulärsten Niederschlag findet dieses Gedenken in einem Nanjinger Memorial Museum mit der multimedialen Suggestivität der Jerusalemer Yad Vashem – und fast ebensolchen Ausmaßen. Niemand kann es ohne Erschütterung über diese Höllenwochen verlassen. Nur einigen Japanern gelingt es offenbar, sich an den Zeugnissen ihrer einstigen Auslöschungswut zu berauschen.

Erst vor diesem Hintergrund begreift man, was John Rabe nach mehreren Wiederaufbereitungszyklen in Literatur und Film – und einem deutschen Auftakt mit Erwin Wickerts Buch „Der gute Deutsche von Nanking“ – nun auch noch in einer Oper verloren hat. Tang Jianping, 1955 in der Provinz Jilin geboren, komponierte „Die Tagebücher des John Rabe“ (die Typoskripte wurden erst 1996 veröffentlicht) als Auftragswerk zur 80. Wiederkehr des Massakers zu einem Libretto von Zhou Ke. Derzeit tourt die von Mo Zhou inszenierte Produktion der Jiangsu Performing Arts Group mit dem ebenso homogen wie differenziert agierenden Suzhou Symphony Orchestra unter Xu Zhong durch Deutschland und macht mit zwei ausverkauften Stationen auch an der Berliner Staatsoper halt.

Die musikalische Anmutung mit ihren Arien, Chören und orchestralen Zwischenspielen ist westlich, als wäre das Melos eines Giacomo Puccini spätromantisch ausgefranst und hätte sich mit einem Schuss illustrativer Filmmusik vereint. Auch die kontinuierlich eingestreuten Variationen – und sinnfälligen Deformationen – von Bachs hier zunächst einer Geige anvertrauten Orgel-Passacaglia c-moll haben ihren Reiz. Xue Haoyin, ein Tenor von schlanker Eleganz, singt die Titelrolle so leuchtkräftig wie die Sopranistin Xu Xiaoying als Minnie Vautrin, die Amerikanerin, die ihr Jinling Girls College zum Zufluchtsort machte.

Gut ist gut, böse ist böse

Die erzählerische Anlage jedoch ist in ihrer pathetischen Schwarzweiß-Zeichnung von Gut und Böse bei aller Buntheit von Bühnenbild (Wang Jing) und Computerprojektionen (Nicholas Hussong) eindeutig chinesisch. Die Schwellung der nationalen Brust erstickt alle subtileren Regungen des Herzens. Spätestens wenn am Schluss von John Rabes Abschiedsarie aus Nanjing – im Frühjahr 1938 wird er nach Deutschland zurückbeordert – ins heutige Nanjing mit fröhlich herumtanzenden Menschen überblendet wird, ist das nicht mehr Kunst, sondern eine gesungene Ruckrede.

Da waren die Chinesen, angefangen mit Mou Tunfeis Spielfilm „Black Sun“ (1995), schon einmal weiter. Jiang Wen hat mit seiner 2000 in Cannes prämierten schwarzen Komödie „Devils on the Doorstep“, der zwei japanische Gefangene zu Ende des Zweiten Weltkriegs in ein chinesisches Dorf verfrachtet, sämtliche diesbezüglichen Klischees zertrümmerten. Der im amerikanischen Exil lebende Ha Jin hat mit dem Roman „Nanking Requiem“ Minnie Vautrin ein ergreifend unsentimentales Denkmal gesetzt. Selbst ein Schmachtfetzen wie Florian Gallenbergers „John Rabe“ von 2009 mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle ist gegen die Oper ein Ausbund an Komplexität.

Doch wäre es nicht am besten, man könnte diese Geschichte ohne alle patriotischen Schranken erzählen und ihrem Sinn dadurch gerecht werden? Schließlich kümmern sich Deutsche und Chinesen bereits einträchtig um das John-Rabe-Haus in Nanjing. Dort findet man im Memorial Museum auch den Grabstein des 1950 in Berlin völlig verarmt Gestorbenen, während sein Ehrengrab auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisfriedhof eine Gedenkplatte aus Nanjing schmückt. Manchmal besteht das Gemeinschaftliche auch schon im Verzicht auf Erzählmonopole.

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