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Fahrstuhl zum Schaffott. Macbeth und Banquo auf dem Weg zur Hölle.

© AFP/Teatro alla Scala

Oper in Italien: Große Verdi-Spiele in Mailand

Die Scala eröffnet mit Riccardo Chaillys „Macbeth“ – und Riccardo Muti trainiert mit „Nabucco“ in der Fondazione Prada.

Was für ein denkwürdiger Abend, wenn bei einer Opernpremiere der italienische Präsident den größten Beifall erntet. Sechs Minuten währten die Ovationen für den 80-jährigen, aus seinem Amt scheidenden Sergio Mattarella bei der jüngsten Stagione-Eröffnung in der Scala mit Verdis „Macbeth“. Für das bis in kleinere Rollen hochkarätig besetzte Ensemble fiel der Beifall deutlich matter aus, für die Regie gab es lautstarke Buhrufe.

Wohl kaum einer hätte wohl damit gerechnet, dass ausgerechnet Anna Netrebko, die sonst so verlässliche Größe, in den höheren Registern zu kämpfen haben würde. Noch dazu bleibt sie ihrer Figur, die ihren Mann zu mehreren Morden anstiftet, das Abgründige schuldig. Mehr auf schönen Klang bedacht, den sie immerhin in der Mittellage mit großer Stimme aufbieten kann, erinnert ihre mondäne Lady in prächtigen blutroten Designer-Roben (Kostüme: Gianluca Falaschi) eher an die Violetta in „La Traviata“. Die sonst mit Ovationen so verwöhnte Russin sieht sich an diesem Abend mit einem gnadenlosen Publikum konfrontiert, das ihre Schwächen mit Buhrufen quittiert.

Das wenig überzeugende Rollenporträt hat aber auch Davide Livermore zu verantworten, der das Ensemble in seiner Inszenierung weitgehend allein lässt, vielmehr mit spektakulären Kamerafahrten seiner Faszination am Kino frönt. Zu sehen gibt es bewegte Tableaux von Wäldern, Wolken und einer imposanten Mega-City, mit imposanten Wolkenkratzern und Häuserschluchten. Aber das läuft neben dem Geschehen nebenher, schafft keine Spannung. Schaurig, düster oder gar gespenstisch wird es nie, auch nicht in den zackigen Tanz-Einlagen, mit denen Daniel Ezralow die Auftritte der weissagenden Hexen aufwendig choreografiert.

Und dann ist der Regisseur noch auf die Schnapsidee gekommen, den Brief, der die erste große Szene der Lady einleitet, von einer Männerstimme aus dem Off einsprechen zu lassen. Wie nur konnte Riccardo Chailly als musikalischer Leiter das durchgehen lassen?

Bei seinem Vorvorgänger Riccardo Muti, der zur gleichen Zeit nach Mailand gekommen ist, um in seiner siebten Opernakademie am Beispiel von „Nabucco“ zu lehren, worauf es bei Verdi ankommt, wäre ein solcher Eingriff wohl undenkbar gewesen. Und auch damit, wie sich Chailly in seinem Bemühen um Dramatik ganz auf die lauten Stellen konzentriert, kann sein Verdi weniger überzeugen. Leise grummelnde Tremoli wirken unheimlicher als Fortissimo-Schläge, weiß Muti.

Enthusiasmus und Energie

Allein Luca Salsi in der Titelpartie des Macbeth, der über viele Jahre Gelegenheit hatte, mit Muti zu arbeiten, setzte der Aufführung ein Glanzlicht auf, so wie er den von Verdi auf jedes Wort exakt abgestimmten Farbwechseln penibel Rechnung trug.

Muti probt in der Fondazione Prada mit dem Nachwuchs an Verdis „Nabucco“. Der Maestro, der im Juli 80 wurde, zählt noch lange nicht zum alten Eisen, verströmt erstaunlicherweise mehr Vitalität, Enthusiasmus und Energie als die Junioren: Er erklärt, zeigt, singt, greift in die Tasten, heizt an und ist mit seinem wachsamen Augen stets überall.

Zur genauen Pflege des Librettos redet sich der Maestro, an dem wohl auch ein Schauspieler verlorengegangen ist, wenn er Worte wie „orrore“ (Entsetzen), „sangue“ (Blut) oder „pietà“ (Mitleid) mit Leben füllt, Fransen an den Mund.

Großes Kapitel in der Meisterklasse

Ein anderes wiederkehrendes Thema sind die für Verdi so typischen „Humpapa“, die – falsch interpretiert – eine melancholisch eingefärbte Phrase nach einem Walzer von Johann Strauß klingen lassen. So sehr ihn solche Fehlinterpretationen auch schmerzen: Muti ist ein geduldiger, freundlicher Lehrer. Zur Auflockerung erzählt er so manch heitere, selbstironische Anekdote. „Wir sind doch recht schlechte Musiker“, zitiert er beispielsweise Toscanini, der damit dem Cellisten Piatigorsky, an den sich diese Worte richteten, einmal unbeabsichtigt vor den Kopf stieß. Woraufhin Toscanini nachgelegt haben soll: „Keine Sorge, die anderen sind noch schlechter“.

Schlagtechnisch präsentieren sich die Junioren allesamt schon recht sicher, aber von der Linken als der wichtigeren Hand, die den Ausdruck vorgibt, machen sie noch zu wenig Gebrauch. „Don't beat for the flies“, scherzt Muti mehrfach, wenn wieder einmal ein Kandidat das Orchester mit unnötigen Gesten oder Taktvorgaben vor dem ersten Einsatz irritiert. Aber auch mit der Rechten gilt es nicht nur brav den Takt zu schlagen, sondern die Musik plastisch zu formen. Zu einer Strecke mit Arpeggien zeichnet Muti beispielhaft eine elegante schwungvolle Acht in die Luft.

Große Spannungsbögen sind ein weiteres großes Kapitel in dieser Meisterklasse. Nicht jede Generalpause bildet automatisch das Ende einer Phrase, gilt es hier zu lernen. Oft ziehen sich die Bögen über sie hinweg, und im berühmten Chorsatz „Va pensiero“ werden Achtel- und Sechzehntelpausen, richtig interpretiert, als „Seufzer der Gefangenen“ gar nicht als solche wahrgenommen.

Das von Muti 2005 gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini erweist sich in den Lektionen als ein dankbarer, strapazierfähiger Partner für die Junioren. Aber auch das zu würdigen will gelernt sein.

Alles wartet auf Muti

Als einmal bei den Bläsern schwierige Soli besonders gut gelingen, geht Muti zu ihnen und lobt jeden Einzelnen. Eine Kandidatin aus Israel, die gerade am Zuge ist, weiß das nicht zu deuten. Mehrfach sagt sie eine Taktzahl und will den nächsten Einsatz geben. Aber alles wartet auf Muti, der demonstrativ noch mit den Musikerinnen redet, um ihnen die Anerkennung zu geben, die seitens der Dirigentin ausbleibt.

Gegenüber den trefflichen überwiegend italienischen Sängersolist:innen, darunter Serban Vasile (Nabucco), Riccardo Zanellato (Zaccaria), Anastasia Bartoli (Abigaille) und Francesca di Sauro (Fenena), muss Muti keine Überzeugungsarbeit leisten, auf einer Kadenz einen Spitzenton nicht minutenlang zu halten, den Verdi so nicht vorgesehen hat. Dieser Appell gilt den Dirigierenden.

Am Ende seiner noch bis 15. Dezember währenden Akademie will Muti selbst noch einmal „Nabucco“ dirigieren. Dann wird der geniale Verdi-Dirigent, der bei den Proben darum bat, auf Beifall für seine Person zu verzichten, ganz im Zentrum stehen. Auch wenn er sich keineswegs als ein eitler Selbstdarsteller präsentierte, sondern vielmehr als einer, der – noch mit Maske im Gesicht – alles dafür tut, die Jungen dafür zu rüsten, sein künstlerisches Erbe anzutreten.

Kirsten Liese

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