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Mit „Discuvry“ reagierten Yukihiro Taguchi und Chiara Ciccarello vor Jahren auf den Berliner Immobilienmarkt. Nun steht ihre Hütte im Ruhrpott am Silbersee II.

© UKR / Ruhr Ding / Daniel Sadrowski

Open-Air-Kunst: Keine Kohle

Zeche und Baggersee: Für das Projekt "Ruhr Ding" machen Künstler:innen das Klima zum Thema großartiger Skulpturen und Interventionen.

Der Vorplatz am Hauptbahnhof Gelsenkirchen ist kein Ort für eine Galerie. Viel zu unruhig, und die Laufkundschaft strebt entweder zu Rossmann oder in die Fahrkartenblechhütte schräg gegenüber. Dennoch wirbt eines der Ladenlokale mit Kunst: Womöglich als Exit-Strategie, denn drinnen lassen einen der dicke, flauschige Teppich und die semi-transparente Folie am Fenster das Bahnhofsgewusel rasch vergessen.

Dass es trotzdem nicht gemütlich wird, liegt an Ari Benjamin Meyers. „Forecast“, die Installation des in Berlin lebenden Künstlers, verhandelt den Klimawandel in einer Text- und Soundinstallation, die einigermaßen versöhnlich anfängt, sich dann aber mehr und mehr ins Ohr schraubt. Damit passt das Werk gut zur Ausstellung „Ruhr Ding“ – ein Projekt der öffentlich geförderten Institution Urbane Künste Ruhr, die den Strukturwandel im ehemaligen Bergbaugebiet künstlerisch reflektiert. Corona wegen wurde das „Ruhr Ding“, an dem auffallend viele Berliner Künstler beteiligt sind, um ein Jahr verschoben und auf wenige Wochen verdichtet. Dabei sind es aufwändige Produktionen an vier Standorten im Ruhrgebiet, denen man mindestens einen langen Sommer gewünscht hätte.

Anziehend machen sie nicht zuletzt die Orte. In Gelsenkirchen gibt es noch einen gläsernen Pavillon aus den fünfziger Jahren vor anonymen Hochhäusern und den Consol-Park, dessen Name nur im ersten Moment ungewöhnlich klingt. Fast 130 Jahre wühlte sich hier der Tagebau Consolidation durch die Erde. 1993 war Schluss mit der Abtragung der Steinkohle, für die nachgewachsene Vegetation auf dem Gelände 800.000 Jahre Photosynthese betreiben müsste, um den CO2-Ausstoß des fossilen Brennstoffs wieder auszugleichen. Das hat die Berliner Künstler:innengruppe Club Real errechnet und ein Parlament inszeniert, in dem jede Spezies im Park mit einer Stimme vertreten ist und für ihr Existenzrecht eintritt. Bin hin zur Blattlaus.

Im Pavillon, dessen lange, grüne Vorhänge an ein Bestattungsunternehmen denken lassen, beschäftigen sich Alisa Hecke und Julian Rauter mit der Präparation. Hier ist es eine Hauskatze, die ihrer einstigen Besitzerin über den Verlust ihres Vierbeiners hinweghelfen soll. Aber natürlich spielt die Installation „Der lange Abschied“ auch darauf an, dass es manche Tiere tatsächlich bloß noch als Präparat gibt, weil sie ausgestorben sind.

[„Ruhr Ding“, Gelsenkirchen, Recklinghausen, Herne, Haltern am See; bis 27.6., www.urbanekuensteruhr.de]

Geradezu perfekt verbinden sich die Arbeiten der Künstler:innen mit den Schauplätzen. Manches wie das Penthouse im zehnten Stock einer Wohnanlage in Herne, die architektonisch visionär sein sollte und heute wie ein Relikt verfehlter Wohnungspolitik wirkt, ist spektakulär. Man sieht noch das holzvertäfelte Herrenzimmer, eine fensterlose Gruft im 70er-Jahre-Bau, und wundert sich über Räume, deren schräge Grundrisse der Form des Wohnturms geschuldet sind. Die Videoarbeit „Geisterspiele“ von Nathalie Bookchin hält mühelos mit dieser spooky Atmosphäre mit: Die Künstlerin aus New York bat Freunde während der Corona-Isolation um Homevideos. Herausgekommen ist ein irres Potpourri an Straßen- und Indoor-Szenen, die Bookchin an die Wände projiziert: Sie erweitern den Raum um chimärenhafte Zimmer und Fenster, vor denen eine einsame Gestalt Pirouetten auf dem BMX-Rad dreht.

Videos in einem verlassenen McDonalds

Stark ist auch die Arbeit „Family Business“ in Hernes Einkaufszone. Hier gab vor fünfzig Jahren Familie Vossen ihr Traditionsgeschäft auf, um ins Franchising einzusteigen. Man eröffnete eine McDonald's-Filiale, betrieb sie bis 2011 – und ließ, als die nächste Generation des Patty-Braters in den Bahnhof zog, die Einrichtung einfach stehen. Das Haus ist in Familienbesitz, auf eine neue Geschäftsidee hatten der Besitzer keine Lust und spielt lieber Schlagzeug zwischen dem originalen Interieur. Die Künstlerin Silke Schönfeld inszeniert dort ein Gespräch mit Pommes und Milkshake an einem der Tische über mögliche Nachnutzungen der Immobilie. Fast alle Ideen werden in dem Video gleich wieder verworfen, und auch diese Arbeit bildet metaphorisch die Situation von Herne ab, wo mit dem Bergbau ebenso die Jobs verschwinden.

Noch ist er präsent, wird aber von neuen Geschichten überwuchert. So in der ehemaligen Zeche General Blumentahl, die ein alternatives Zentrum werden soll und wo nun mehrere Künstler:innen ihre Skulpturen zeigen. Der Silbersee II, an dem Yukiiro Taguchi & Chiara Ciccarello ihre Holzhütte wiederaufgebaut haben, die einst in Kreuzberg auf der Cuvry-Brache stand, ist eigentlich ein Baggerloch. Nun gibt er die Kulisse für eine DIY-Idylle – doch auch dieses Bild ist trügerisch, das freie Leben nach dem „Ruhr Ding“ wieder vorbei.

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