zum Hauptinhalt
Fallhöhe. „Broken Street Line“ aus der Serie „The Great Unreal“ entstand 2008 auf einer USA-Reise.

© Taiyo Onorato & Nico Krebs, Courtesy Sies + Höke

Onorato und Krebs im Kindl Zentrum: Physik ist auch nur ein Wort

Täuschend echt: Die Schweizer Künstler Taiyo Onorato und Nico Krebs heben im Kindl Zentrum für zeitgenössische Kunst die Gesetze der Schwerkraft auf.

Das Haus brennt, aber niemand kommt löschen. An den Rändern des nüchtern rechteckigen Klotzes fressen sich Flammen hoch – und schrumpfen allmählich zu Glut. Als habe jemand dem Feuer alle Nahrung entzogen. Es braucht ein bisschen, bis man den Trick zum Budenzauber von Taiyo Onorato und Nico Krebs durchschaut. Ihr kurzer Film in Schwarzweiß, der die entzündete Architektur in den Fokus rückt, ist aus einer einzigen Perspektive gedreht. Im Kindl Zentrum für zeitgenössische Kunst, das dem Schweizer Duo die erste große Ausstellung in Berlin widmet, läuft er im Loop und bietet die Möglichkeit, das Setting genauer zu studieren. Für „Fire“ von 2014 haben Onorato und Krebs ein brennbares Holzgerüst weit vor dem Haus auf einer Wiese aufgebaut. Im Film legen sich die beiden Objekte optisch so übereinander, dass beides zu einem einzigen Motiv verschmilzt: Der Rahmen brennt, das Haus bleibt unversehrt. Doch für den Betrachter sieht es so aus, als züngelten die Flammen aus Dach und Fenstern.

Die Arbeit zählt zu den bekanntesten Werken der beiden Künstler, die seit fünfzehn Jahren zusammenarbeiten. In der Ausstellung nehmen zahlreiche Fotografien das Thema dieser illusionistischen Verblendung wieder auf und deklinieren ein Berlin aus Brachen, Brandmauern und Bauskeletten, aus denen in den meisten Fällen anonyme Bürotürme entstehen. Oder jene seltsam gesichtslosen Wohnbauten, wie sie seit einigen Jahren bevorzugt im Zentrum der Stadt entstehen: Mit Fassaden, die Einfallslosigkeit mit am Bauhaus geschulter Zurückhaltung verwechseln.

Auch ihnen geht es bei Onorato und Krebs an den Kragen. Fünf Minuten lang hämmert in „Blockbuster“, einem 16- mm-Film von 2012, ein Mann auf den teuren Immobilien herum. Seine Leiter scheint hoch wie ein Haus, er selbst wirkt riesig, der Arm mit dem Hammer reicht locker bis zum fünften Stock. Das Duo wendet denselben illusionistischen Kniff wie bei „Fire"“an: Die Leiter steht weit vor dem Gebäude, alles Proportionale ist aufgehoben.

Fünfbeinige Kälber, wüstenartige Landschaften

„Defying Gravity“, der Titel der Ausstellung, deutet die Absichten bereits an. Der Schwerkraft trotzen, ihre Gesetze aufheben und jene sonderbaren Ausformungen einer Realität aufzeichnen, die der Physik partout nicht gehorchen wollen – auch wenn man dabei etwas nachhelfen muss. Verblüffend häufig funktioniert es jedoch ohne jede Intervention von Onorato und Krebs, die beide in Zürich studiert haben und 1979 geboren sind. Zusammen sind sie durch die USA und 2013 mehrere Monate lang durch die Mongolei gereist. Ihre fotografischen Serien „The Great Unreal“ und „Continental Drift“ erzählen von jenen Road Trips durch ein Terrain, das sich in der Nahsicht als ziemlich skurril entpuppt. Die künstlerischen Momentaufnahmen jedenfalls erzählen von fünfbeinigen Kälbern, müden Vorstädten, absurden Billboards und Straßen in wüstenartigen Landschaften, die sich als geschlossene Systeme entpuppen: Wer hier in den Kreisverkehr einbiegt, findet nie wieder heraus. Das Duo mischt also auch hier konstruierte Situationen unter die dokumentarischen Bilder.

Im Kindl sind beide Serien zu sehen. Flankiert werden sie von neuen Skulpturen wie „Bricks“, Bodenarbeiten aus ungebranntem Ton mit deutlichen Reifenspuren. Und von Findlingen aus der Natur, von Onorato und Krebs „Verwachsung“ genannt. Es sind Bäume, die sich mit Zäunen arrangieren und einfach weitergewachsen sind. Das Metall haben sie eingeschlossen, nun sehen sie aus wie seltsame Hybride aus Natur und Technik.

Wiederkehrende Effekte und Strategien

Doch warum muss man sie abholzen und als Readymades präsentieren? Schon 2003 hat die amerikanische Künstlerin Zoe Leonard ganz ähnliche Phänomene mit der Kamera dokumentiert, und die Wirkung ihrer kleinen Fotografien nimmt es problemlos mit jener der aufwändigen Fäll-, Flex- und Transportaktion für die aktuelle Ausstellung der Schweizer auf. Ähnlich ergeht es einem mit ihrer Street Photographie. Auch hier gibt es großartige, teils inszenierte Vorbilder von Jeff Wall, William Eggleston oder David Goldblatt. An ihrer Interpretation des American Way Of Life aus vergangenen Dekaden muss sich das Duo messen – und der Vergleich fällt in einiger Hinsicht ernüchternd aus. Sicher stehen Onorato und Krebs für ein kraftvolles, die Gegenwart reflektierendes Werk. Zugleich erschöpft es sich in wiederkehrenden Effekten und Strategien, was ausgerechnet in der Fülle der Berliner Werkschau offenbar wird. Dass die zwei in den vergangenen Jahren durchgehend gehypt, international in Institutionen wie dem MoMA PS1 in New York oder im Fotomuseum Winterthur ausgestellt und vergangenes Jahr für den Fotografie-Preis der Deutschen Börse nominiert waren, lässt einen einigermaßen ratlos zurück. Eigentlich wirken ihr Arbeiten noch wie in der Entwicklung hin zu einem konsistenten Werk. Weniger Effekte und Wiederholungen täten ihm gut.

Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, bis 15. Juli, Mi-So 12-18 Uhr. Am 3. Juni findet ein Rundgang mit den Künstlern und dem Kurator Andreas Fiedler statt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false