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Gesichter wie Geröll. Benny Claessens (vorne) gibt den Oedipus trotzdem als weinerliches Kind. Auch die anderen Protagonisten (Kate Yousef Sweid, Çigdem Teke, Orit Nahmias, v. l.) scheinen eher einem Witzfigurenkabinett zu entstammen.

© Armin Smailovic

„Ödipus und Antigone“ am Maxim Gorki Theater: Slapstick der Antike

Mit Komik gespickt: Ersan Mondtags lässt „Ödipus und Antigone“ richtig alt aussehen und holt die Tragödie doch in die Gegenwart.

Auf halsbrecherischen Kothurnen schlurfen Eteokles und Polyneikes, die Söhne des Ödipus, an die Rampe. Der Faltenwurf in ihren Gesichtern hat Geröllcharakter; die Maske des Maxim Gorki Theaters hat ganze Arbeit geleistet. In Ersan Mondtags Antiken-Sample „Ödipus und Antigone“ sollen die Labdakiden, der thebanische Herrscher-Clan, endlich mal so alt aussehen, wie sie sind – einerseits. Andererseits geraten die Darsteller der einander bekriegenden Gebrüder – Orit Nahmias und Yousef Sweid – schnell in höchst gegenwärtige, biografisch motivierte Konfliktzonen: Israel versus Palästina, Mann gegen Frau, Chauvi-Possenreißer gegen Genderbeauftragte. Man zitiert Trump und AfD-affines Wutbürgertum. Klar doch: Die Geschichte ist uralt und wird vom Homo sapiens seit zweieinhalbtausend Jahren sekündlich neu aufgelegt. Auch wenn sich das realiter leider selten auf einem derartigen Screwball-Comedy-Niveau erledigt wie in diesem brüderlichen Satyrspiel, das der Regisseur der Tragödie am Gorki voranstellt.

Ersan Mondtag ist noch keine dreißig Jahre alt und gilt spätestens seit dem letzten Berliner Theatertreffen als eine der größten Branchenhoffnungen überhaupt. In seiner damals aus Kassel eingeladenen Produktion „Tyrannis“ bewegten sich die Schauspieler wie Avatare über eine optisch an Computerspiele und atmosphärisch an David Lynch gemahnende Bühne. Auch dieses Jahr wird Mondtag, sehr zu Recht, beim Betriebs-Best-of im Mai vertreten sein: mit seiner wiederum sehr formbewussten und avataraffinen Inszenierung von Olga Bachs Text „Die Vernichtung“, einer treffsicheren Narzissmus-Studie des Bobo-Milieus.

Mit „Ödipus und Antigone“ gibt der in Kreuzberg aufgewachsene Regisseur nun seinen beruflichen Berlin-Einstand. Künftig wird er nicht nur am Gorki, sondern auch regelmäßig am Berliner Ensemble inszenieren. Für „Ödipus und Antigone“ hat Mondtag die mehrere abendfüllende Tragödien umfassende Labdakiden-Saga auf einen effizienten Neunzigminüter eingestrichen: So schnörkellos führte die Handlungslinie wahrscheinlich noch nie von der Entfernung des neugeborenen, mit fatalem Orakelspruch belegten Ödipus aus dem Elternhaus über die ödipale Selbsterkenntnis, Vatermord und Inzest begangen zu haben, bis zur Revolte von Ödipus’ Tochter Antigone.

Beim Bühnenbild lässt Alfred Hitchcocks "Psycho" grüßen

Dieser Schuldvererbungsplot, der im Gorki abrollt, ist nicht nur mit viel Komik gespickt, sondern er zitiert sich auch durch die Kultur- und insbesondere Filmgeschichte. Diesmal lässt schon in Julian Wolf Eickes und Thomas Bo Nilssons Bühnenbild unter anderem Hitchcocks „Psycho“ grüßen. Gern versammelt sich das in Pinkviolett gekleidete, zombiehafte Tragödienpersonal in einem vom Thriller-Klassiker inspirierten Szenario vor viktorianischer (Sarg-)Kulisse.

Eingedenk der Tatsache, dass die antiken Ödipusse, Antigones und Ismenen im Gegenwartstheater gern auf psychologisches Fernsehrealismusformat geschrumpft werden, ist Mondtags ausdrücklich distanziert-formaler Zugriff zunächst wohltuend. In der Konkretion allerdings stellt sich zusehends die alte Thomas-Bernhard-Frage: Ist es eine Komödie, ist es eine Tragödie? Auch wirken die Mittel mitunter beliebig.

Benny Claessens spielt den Ödipus als Parodie eines weinerlichen Kindes im kniekurzen Rüschenkleidchen. In einer gefühlten Fünf-Minuten-Nummer rollt er sich mühsam die knallrote seitliche Treppe herunter, als er erfährt, dass kein anderer als er selbst der Mörder ist, den die Stadt Theben sucht. Auch sein Widerpart Kreon (Aram Tafreshian) gehört bei Mondtag eher zum Witzfigurenkabinett: ein asketischer dürrer Greis mit Weihnachtsmannrauschebart, der zum Lachen mutmaßlich in den Hades geht.

Keine Frage: Die Herren Labdakiden haben sich mit hohem Slapstickaufwand selbst disqualifiziert. Ihre Frauen und Töchter (Tanya Erartsin, Çigdem Teke) dürfen differenzierter agieren. Bloß vor Antigone ist Vorsicht geboten: Mondtag verortet sie als vermeintliche Erlöserfigur in einer ideologisch fragwürdigen Ecke – womit wir im Heute wären.

Wieder am 5. und 25. März

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