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Corinna Harfouch, 62, Schauspielerin und Sprecherin.

© dpa

„Odyssee“ im Kammermusiksaal: Von Insel zu Insel

Homers Epos in Musik und Text: Die Philharmoniker führen die Neufassung vom Komponisten Thilo Thomas Krigar auf, die Schauspielerin Corinna Harfouch brilliert als Sprecherin.

Die Odyssee: durchpflügte Meere, sengende Sonne und verbrannte Haut, einäugige Zyklopen und Frauen, die im Gesang Verderben bringen. Als Netflix-Serie wäre das heute immer noch ein Renner. Und auch als Erzählung von der Geburt eines Europas, das gerade wieder in seine egoistischen Nationalismen zu zerstäuben droht, fasziniert Homers Epos bis heute. Auch den Berliner Komponisten und Cellisten Thilo Thomas Krigar: Seit dem Griechischunterricht am Gymnasium sei er von Odysseus nicht losgekommen, erzählt er. In „Odyssee“ bringt er Texte von Homer, Ovid, Shakespeare, Schiller und Nikos Kazantzakis („Alexis Sorbas“) mit eigener Musik zusammen. 1997 war Uraufführung in Thessaloniki, mit Angela Winkler und Otto Sander als Sprecherin und Sprecher, jetzt präsentieren Musiker der Berliner Philharmoniker eine Neufassung im Kammermusiksaal.

Geige (Andreas Buschatz), Bratsche (Ignacy Miecznikowski), Cello (David Riniker) und Bass (Janne Saksala): ein sehr spezielles Streichquartett bildet den Pulsschlag dieses Abends. Vier Stimmen, die ein eindrucksvoll dichtes Gewebe flechten, in dem die Geige immer leicht silbrig hervorsticht, nuanciert von zwei Schlagwerkern (Lukas Böhm und Fredi Müller). Krigars Musik, die Raphael Haeger leichthändig dirigiert, ist fein durchdacht, setzt sich zusammen aus Ganztonleitern und Intervallen, die auf antiken Zahlenproportionen beruhen – was man nicht wissen muss, um sie zu genießen. Denn die Klänge sind verführerisch, schwülstig, erotisch und überhaupt von einer bei Neuer Musik viel zu seltenen Sinnlichkeit. Sie wollen keine konkreten Situationen programmatisch illustrieren, sondern Atmosphäre und Ahnung schaffen. Das gelingt Krigar vortrefflich.

Corinna Harfouch rekelt sich als Kirke oder Nymphe Kalypso

Allerdings sind in dem Stück Text und Musik nicht gut verwoben. Der Anteil der beiden Sprecher, hier Christian Brückner und Corinna Harfouch, ist vor allem im ersten Teil riesig. Die Ursprungsidee war wohl, dass die Worte, wie es im Programmheft heißt, „von Musik umspülte literarische Inseln“ bilden. Tatsächlich ist es eher der Text, der die vergleichsweise spärliche Musik umspült. Christian Brückners Ausdrucksspektrum gerät relativ schmal, sobald er mehr tun muss, als seine archaisch raunende Stimme tönen zu lassen, die sein Markenzeichen geworden ist.

Eine großartig aufgelegte Corinna Harfouch fordert ihn, vergeblich, immer wieder zum Spiel auf, turnt in den Rängen, rekelt sich als Kirke oder Nymphe Kalypso zu seinen Füßen. Aber wenn beide mit den Textbüchern in der Hand herumhantieren, wird es schnell albern. Als Theater ist der Abend schwach, als Konzert hinreißend. Vielleicht sollte Krigar ein weiteres Mal Hand anlegen, um ein wirkliches Stück Musiktheater draus zu machen.

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