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Bärte ab. Die Jesus-Darsteller der Oberammergauer Passionsspiele 2020, Rochus Rückel (vorn) und Frederik Mayet, lassen sich ein letztes Mal rasieren.

© Angelika Warmuth/dpa

Oberammergau: Das Dorf der Hipster

Am Aschermittwoch ist alles vorbei? Mitnichten. In Oberammergau geht's vor den Passionsspielen 2020 erst richtig los. Besonders mit dem Haarwachstum.

Die Römer sind fein raus. Die Soldaten dürfen weiter die Haare stutzen und sich rasieren. Die Judäer dagegen nicht. Und Zivilisten stellen die Mehrheit in Oberammergau.
Am Aschermittwoch ist alles vorbei? Mitnichten. Da geht es erst richtig los. Mit der rund vierzig Tage währenden Fastenzeit, die dem österlichen Leiden und Sterben Jesu Christi vorausgeht. Und mit der individuellen Vorbereitung der Dorfbewohner für die in aller Welt bekannten oberbayerischen Passionsspiele. Ab dem 16. Mai 2020 gehen sie zum 42. Mal über die Freiluftbühne. An diesem Vormittag ergeht der traditionelle Haar- und Barterlass. Auf überall im Dorf angeklebten Plakaten werden alle weiblichen und männlichen Mitwirkenden – auch die Kinder – aufgefordert, sich die Haare wachsen zu lassen. „Die Männer auch die Bärte.“ Bei Zuwiderhandlung droht der Verlust des Mitwirkungsrechts am 102 Vorstellungen umfassenden und 450000 Besucher anziehenden Laienspiel. Auch Sonderregelungen für Bundeswehrangehörige aus Oberammergau hat es in früheren Jahren gegeben.
Zwar liegen aus dem Jahr 30 nur sehr unscharfe historische Fotos vor, und die Theologen müssen zugeben, dass sie wenig über die Haartracht von Jesus und seinen Jüngern wissen, doch die Kulturgeschichte hat früh entschieden: Was ein schöner Heiland ist, der trägt Bart und wallendes Haar! Als Ausweis geistlicher Virilität und körperlicher Spannkraft. Und weil die Dornenkrone so besser hält.
Dass die Kraft im Haar steckt, wusste schon der alttestamentarische Samson, der sich den Philistern geschlagen geben musste, nachdem sie ihm die Locken schoren. Deswegen ging auch Jesu’ Zeitgenosse Brian, der fälschlich für den Messias gehaltene Judäer aus dem Dokumentarfilm „Das Leben des Brian“ der Komikertruppe Monty Python, nie so richtig als Erlöser durch. Brian, auch unter dem Namen Graham Chapman bekannt, hatte einfach zu kurze Zotteln.
Nach einem guten Jahr ungezähmten Wachstums schaffen die 2500 Laiendarsteller in Oberammergau dann 2020 spielend den Anschluss an die urbane Hipsterkultur. Rauschebärte und Matten allüberall. Dank des Pest-Gelübdes von 1633, mit dem sich die Dörfler weiland verpflichteten, im Falle ihrer Errettung von der üblen Seuche alle zehn Jahre das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu aufzuführen. Die Wege des Herrn sind haarig und wunderbar.

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