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Vidina Popov als alleinerziehende Mutter Maria.

© Ute Langkafel/Maifoto

Nurkan Erpulat inszeniert am Gorki Theater: Chatroom der einsamen Herzen

Simon Stephens will in seinem Stück "Maria" eine irdische Heiligenlegende erzählen. Doch er bleibt in Klischees und Stereotypen stecken.

In Nurkan Erpulats Inszenierung „Maria“ am Berliner Maxim Gorki Theater joggen die Menschen durch ihr Leben. Immer wieder vermessen sie im Laufschritt die leere Bühne. Allerdings nicht als Selbstoptimierer auf dem Gesundheitstrip, sondern als prekär Beschäftigte im Kreis; vor einer großen grauen Mauer.

Die meisten von ihnen haben so monotone Jobs wie Maria, die Titelheldin aus Simon Stephens’ Stück, die in einem Fitnessstudio die Duschen putzt. Sie treten als Supermarktkassierer mit sichtlich gekappten Außenwelt-Antennen an die Rampe wie Till Wonka. Oder als Hafenarbeiter, die sich doch noch mal zu einer (erfolglosen) Kontaktanbahnung aufraffen wie Elena Schmidt.

Das Glück allerdings, dieses Dasein innerlich so beschädigungsfrei zu ertragen wie Maria, haben die anderen nicht. Aber die resiliente hochschwangere 18-Jährige trägt ihren Namen ja auch nicht zufällig.

Stephens will eine Art irdische Marien-Variante erzählen und spendiert seiner Protagonistin eine individualpsychologisch wirklich hilfreiche Fähigkeit: Die Teenagerin, die Vidina Popov als bemerkenswert kitschfreie Vorwärtsschauerin spielt, ist eine veritable Kommunikationsexpertin. Und zwar von der kalkülfreien Sorte. Eine herzensgute Meisterin der talking cure, die ihre Mitwelt nach Bedarf aus dem Bauch heraus zuquatschen oder auch verbal öffnen kann.

Maria findet niemanden, der sie in die Klinik begleitet

Logisch, dass dieses Anreden gegen die Defizite der Welt immer auch eines gegen die eigene Enttäuschung ist. Zum Beispiel darüber, dass Maria niemanden findet, der sie zur Geburt ihrer Tochter ins Krankenhaus begleiten will. Der Kindsvater fällt aus, weil sie nicht weiß, wer das ist. Also holt sie sich eine Abfuhr von der Freundin (Ibadet Ramadani Gallop), die ihre Nervereien unterhaltsamerweise in Form von Opernarien darbietet.

Sie löchert den erschöpften Gynäkologen mit Fragen nach Geburtskomplikationen, die so klingen, als berichtete sie gerade von der amüsantesten Kinokomödie der Saison. Ihren ausgebrannten Vater versucht Maria in anregende Debatten über Fernsehdokumentationen zu verwickeln. Und vor allem setzt Maria bei ihrer buchstäblich lebensmüde gewordenen Großmutter, der Çigdem Teke eine treffliche Lakonie verleiht, ständig verbale Vitalitätsspritzen an.

Das ist alles gut und schön und situativ durchaus verständlich. Nur stehen bei dieser Art Gesprächen, die Maria hier abendfüllend praktiziert, naturgemäß nicht unbedingt der zielführende Plot und die gelungene rhetorische Volte im Vordergrund. Ist ja bei verbalen Heilungs- und Selbstheilungsmaßnahmen – Hobby-Freudianerinnen und -Freudianer wissen das – auch nicht nötig.

Maria verdient ihr Geld als Chatterin im Internet

Bei einem Drama allerdings wäre es schon schön. Und genau hier beginnt das Problem des Abends im Maxim Gorki Theater – das also eher eines des Textes als der Inszenierung ist. Stephens’ Stück mäandert halt so vor sich hin, auch nach der Geburt, wenn Maria als alleinerziehende Mutter ihr Hobby zum Beruf gemacht hat und als Chatterin übers Internet gegen Geld mit weltweiten einsamen Seelen kommuniziert.

Zwar kippt die triste graue Wand auf Magda Willis Bühne an diesem Punkt nach vorn und gibt den Blick frei auf eine kuschlige Wohnung. Aber am Hang zu Klischees und Stereotypen im Text ändert sich leider nichts.

Die Chatbedürftigen, die – schöne Inszenierungsidee – bei Erpulat als physisch Anwesende durch Marias Behausung geistern, sind Ex-Polizisten, die davon träumen, sich als Frau zu verkleiden. Oder Zeitgenossen, die entweder aus Einsamkeit netzsüchtig und melancholisch oder aber aggressiv und selbstkontrollunfähig geworden sind und deshalb vorm Bildschirm Psychodruck ausüben. Das bleibt leider alles ziemlich an der (Benutzer-)Oberfläche.

Genau wie Marias Wiederbegegnung mit ihrem Bruder Christian, der nach dem Tod der Mutter verschwunden war: Bloß gut, dass Erpulat mit Karim Daoud für diese Rolle einen beeindruckenden Körper-Akrobaten zur Verfügung hat, der die Dürre und Richtungslosigkeit des Skripts problemlos mit Salti und anderweitigen Gliedmaßenverbiegungen überturnt.

Oder eben, wie das ganze Ensemble, einfach locker wegjoggt.

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