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Die Schriftstellerin Kirsten Boie hat ein düsteres Kapitel der südbayerischen Stadt Penzberg aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges in den Mittelpunkt ihres neuen Jugendbuches "Dunkelnacht" gestellt.

© Markus Scholz/dpa

Nur Befehle befolgt: Kirsten Boies Roman "Dunkelnacht"

Eine Schuld wollte am Ende niemand eingestehen: "Dunkelnacht", Kirsten Boies Roman über die Penzberger Mordnacht 1945.

Wer seine Eltern oder Großeltern nach der sogenannten Penzberger Mordnacht fragt, dürfte häufig nur ein verneinendes Kopfschütteln als Antwort bekommen. Dieses finstere, irrsinnige Geschehen ist relativ unbekannt geblieben, obwohl es geradezu etwas Idealtypisches hat für das Verhalten der meisten Deutschen unter der NS-Herrschaft und während des Zweiten Weltkriegs.

In der Nacht vom 28. April auf den 29. April 1945 wurden in Penzberg, einer oberbayerischen Bergarbeiterstadt, 14 Männer und zwei Frauen von der Wehrmacht und einer „Werwolf“-Einheit erschossen oder erhängt. Sie waren Kommunisten oder Sozialdemokraten.

Einige von ihnen hatten an jenem Tag unter der Leitung des einstigen SPD-Bürgermeisters Hans Rummer versucht, das Kommando in der Stadt friedlich zu übernehmen, nachdem von der sogenannten Freiheitsaktion Bayern über den Rundfunk der Krieg als beendet erklärt worden war. Die Freiheitsaktion war eine Widerstandsbewegung, die sich in den letzten Tages des Krieges formiert hatte und eine gewaltfreie Kapitulation anstrebte.

Boie hatte bis vor kurzem noch nie von Penzberg gehört

Kirsten Boie war „erschüttert“, als sie vor Kurzem erstmals von der Penzberger Mordnacht erfuhr, auch darüber, „dass ich vorher nie davon gehört hatte – und auch sonst niemand, den ich fragte“. Um dem Abhilfe zu schaffen, hat sie mit „Dunkelnacht“ einen Roman darüber geschrieben. (Oetinger Verlagsgruppe, Hamburg 2021.125 Seiten, 13 €.)

Dieser nimmt zum einen die Perspektive von drei fiktiven Heranwachsenden ein: Marie, der Tochter eines Penzberger Ladenbesitzers, Schorsch, dem Sohn eines Polizisten, und Gustl, der auch aus dem Ort stammt und sich einer Werwolf-Gruppe angeschlossen hat. Zum anderen hält Boie sich in der Darstellung des 28. April und der nachfolgenden Nacht relativ streng an die Fakten.

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Es beginnt mit Marie und Schorsch, die sich über ihr Verhalten bei Ende des Krieges unterhalten, und es geht weiter mit Gustl, der Hitler treu ergeben ist, auf Rache sinnt und von einer „Schande“ spricht, weil sein Vater ein „Roter“ gewesen ist.

Und schließlich kommt Boie zu ihrer ersten realen Figur, zu Hans Rummer, der morgens Radio hört, der ungeduldig ist, handeln will, auch wenn seine Frau ihn warnt: „Bist du dir sicher, Hans? Kann das nicht auch eine Falle sein?“

Rummer sorgt dafür, dass das Bergwerk Penzberg nicht gesprengt wird, kümmert sich um die Befreiung von Zwangsarbeitern, setzt den NS-Bürgermeister ab. Dann wird er mit seinen Männern aus Penzberg von einem gewissen Oberstleutnant Ohm und einem Hauptmann Bentrott aus einem Wehrmachtsregiment in Gewahrsam genommen und später standrechtlich erschossen.

Boie greift auch kommentierend ein

„Dunkelnacht“ ist ein schlanker, kompakter, intensiver Roman. Boie erzählt von der Mordnacht in kurzen, aussagekräftigen Sätzen und – ähnlich wie eine Thriller-Autorin – in schnell wechselnden Kapitelsequenzen, die ihren Fokus auf den jeweils gerade handelnden Figuren haben, den realen wie den drei fiktiven Jugendlichen: Marie und Schorsch, die ihre erste Liebe erleben und erleben müssen, was sich in der Nacht zuträgt. Sie zudem in Sorge um ihren Vater, der mit Rummer im Rathaus war, aber rechtzeitig untertauchen kann.

Und er, der sich fragt, wie verstrickt sein Vater in das alles ist. Schließlich Gustl, der mit den anderen Mordgesellen auch trinkend mitzuhalten versucht: „Und der Werwolf drückt sich nicht. Der Werwolf hängt.“

In puncto Erzählperspektive ist der Roman nicht konsequent, sondern oft verwackelt. Einmal sagt Boie „ich“, häufig erhebt sie sich auch über die auktoriale Perspektive, um Mitläufertum, irrigen Pflichtgehorsam und den ganzen anderen Wahnsinn dieser Stunden zu kommentieren: „Und niemand ist schuld daran, später, kein Einziger von ihnen. Sie alle haben nur Befehle befolgt. Am Ende sind sie alle wieder frei.“

Es bleibt nicht nur Entsetzen nach der Lektüre. Sondern tatsächlich auch viel Unverständnis darüber, dass sämtliche Prozesse bis in die späten fünfziger Jahre hinein mit Freisprüchen endeten. Boie aber hat mit „Dunkelnacht“ zumindest den Opfern ein nachdrückliches Denkmal gesetzt.

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