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Zu gut für einen Hype. Nubya Garcias Auftritte sind laut und virtuos.

© Matt Crossick/Imago

Nubya Garcia live in Berlin: Ab auf den Dancefloor

Die Londoner Saxofonistin Nubya Garcia ging mit ihrer Band im Gretchen auf eine entfesselte Klangreise.

Pulsierende Basslinien, die sich triolisch schleppend gegen den Groove stemmen. Das mit Delays und anderen Effekten versehene Keyboard, das auf zwei und vier dahinstochert, dazu die blitzschnellen Hi- Hat-Akzente und hallgetränkten Rimshots des Schlagzeugs.

Wer am Sonntagabend im Gretchen steht, könnte glatt auf die Idee kommen, auf einem Reggae- oder Dub-Konzert gelandet zu sein. „Source“ heißt das Stück – vom gleichnamigen Album – mit dem sich die Saxofonistin Nubya Garcia und ihre drei Mitmusiker warmspielen.

Fluider Klang und viel Energie

Dann brechen sie aus dem schleppenden Groove aus, vom Keyboard erklingen reich verzierte Jazz-Voicings, Garcia schreitet in ihrer Melodie mit Arpeggien auf und ab, der Sound entwickelt jetzt trotz ihrer energischen Spielweise am Tenorsaxofon eine träumerische Leichtigkeit. Irgendwann wankelt die Band wieder zurück in den Dub-Groove, zu dem das junge Publikum frenetisch mit dem Kopf nickt.

Die 1991 geborene Londonerin ist Teil der gar nicht mehr so jungen Szene, die man vor einigen Jahren in der britischen Hauptstadt als neue Welle des Jazz ausgerufen hat. Mit Musikerinnen und Musikern wie Shabaka Hutchings, Moses Boyd, Emma-Jean Thackray oder Tenderlonious steht sie für einen Sound, der die Jazz-Tradition aufgreift, sich jedoch gleichzeitig an den musikalischen Jugendkulturen Großbritanniens der letzten zwei Jahrzehnte orientiert.

HipHop und elektronische Club-Sounds spielen eine wichtige Rolle, dazu spezifische UK-Phänomene wie Grime, Broken Beat oder Jungle sowie die allgegenwärtige Soundsystem-Kultur, die sich aus dem jamaikanischen und karibischen Einfluss auf die britische Insel speist.

Das Ergebnis ist ein fluider Klang, der auch als bereits zweite Welle des Bestrebens verstanden werden, Jazz aus den Konzerthäusern in die Clubs zu führen. Schließlich waren es britische DJs wie Gilles Peterson (mit seinen Labels, Radio-Shows und Festivals weiter eine wichtige Figur), die die ab den späten 80ern auch in Deutschland verbreitete Spielart des „Dancefloor Jazz“ etablierten.

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Die junge Jazz-Bewegung aus Großbritannien kommt nicht aus dem Nirgendwo. Orte wie das Total Refreshment Center in Dalston, ein Studiokomplex und Veranstaltungsort in Ost-London, spielten eine entscheidende Rolle beim Aufkeimen der Szene. Hier war es möglich, fernab von finanziellen Zwängen Projekte zu gründen und aufzunehmen. Dazu kamen Veranstaltungsreihen wie „Jazz:refreshed“ oder auch Initiativen wie die „Tomorrow’s Warriors“, die gerade jungen, jazzbegeisterten Londoner Jugendlichen ohne Zugang zu anderen, außerschulischen Bildungsprogrammen den Weg zu einer Musikkarriere ebneten.

Auch Garcia stammt aus dem Kreis der „Warriors“. Vergangenes Jahr veröffentlichte sie ihr Debütalbum „Source“, das sie nun im Gretchen mit ihrer Band präsentiert. Aus ihrer Stammbesetzung fehlt nur der begnadete Pianist Joe Armon-Jones, dessen Rolle aber Al MacSween am Keyboard bravourös übernimmt.

Garcia und er teilen sich die solistischen Höhepunkte, beide steigern sich mit hoher Energie in ein fiebriges Exaltieren, das sich bei MacSween in rasend schnell absteigenden Linien äußert; bei Garcia dagegen in einem rhythmischen Spiel, das in seinem Aufjaulen an den Tenor- Sound eines Kamasi Washington erinnert.

Das Songwriting schwächelt mitunter

Garcia spielt ihr Instrument mit einer gewaltigen Präsenz, die wirkt, als hörte man ihr Saxofon aus allernächster Nähe. Daniel Casimir am E-Bass und Sam Jones am Schlagzeug sind dabei ein so eingespieltes Team, dass die eher einfach gestrickten Akkordfolgen der Stücke immer wieder unterbrochen werden durch Haltetöne, gänzlich abschweifende Harmonien und rhythmische Figuren, die den Takt unterwandern und sich dann wieder in ihm auflösen.

Großartig gelingt das Zusammenspiel der Band unter anderem bei „La Cumbia Me Está Llammando“, einer Kollaboration Garcias mit der kolumbianischen Band La Perla. Garcia und ihre Musiker spielen das Stück angelehnt an die kürzlich veröffentlichte Remix-Version des Londoner Produzenten Kaidi Tatham.

Wenn es einen Wermutstropfen gibt – und diese Kritik trifft nicht nur Garcia, sondern auch andere Stars der neuen britischen Jazz-Szene – dann die Tatsache, dass das Songwriting mitunter schwächelt. Garcia und ihre Mitstreiter spielen mit einer unmissverständlichen Kraft und auch Virtuosität, die Körper und Geist der Zuhörenden gleichermaßen entfesselt. Doch dabei transportieren sie wenig Song-Substanz, wenige Melodien, die sofort im Gedächtnis hängenbleiben. Das – wie auch der Umgang mit Dynamik – wird von Garcia und ihrem Quartett (die sich stets am oberen Ende der Lautstärkeskala bewegen) häufig nicht voll ausgeschöpft.

Vor dem letzten Stück dann spielt Nubya Garcia noch ein langes Intro, bei dem sie mit ihrem Saxofon in sphärische, auch lyrische Klangflächen hineingreift. Was vom Abend bleibt, ist ein Gefühl von ungehemmter Energie und Lebendigkeit, die sich von Garcia und ihrer Band auf das begeisterte Publikum überträgt. Auch wenn die neue britische Jazz-Szene nicht mehr die allerjüngste ist: Das Stadium eines Hypes hat sie schon lange überschritten.

Ken Münster

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