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Alfred Bauer (rechts) 1956 im Gespräch mit CDU-Innenminister Gerhard Schröder.

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NS-Vergangenheit von Berlinale-Chef: Eine vertane Chance für die historische Aufarbeitung

Die Deutsche Kinemathek verfügte über die nötigen Informationen, um die selbstgestrickte Legende Alfred Bauers zu hinterfragen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andreas Busche

Die Enthüllungen der „Zeit“ über die tatsächliche NS-Vergangenheit von Alfred Bauer offenbaren ein großes Versäumnis in der Aufarbeitung der Berlinale-Geschichte. Seitens des Filmfestivals selbst, das bereits vor 20 Jahren, anlässlich seines 50. Jubiläums Gelegenheit gehabt hätte, die Biografie ihres ersten Leiters zu überprüfen; aber auch seitens der Deutschen Kinemathek, deren Historiker Rolf Aurich bei seinen Recherchen für die 56 Seiten umfassende Bauer-Monografie im be.bra Verlag dieselben Dokumente einsah wie die „Zeit“, aber nicht die Brisanz der Fundstücke erkannte.

Die Kinemathek, die die für den 24. Februar geplante Buchvorstellung nun abgesagt hat, gewährt aus verlagsrechtlichen Gründen keine Einsicht in die ursprüngliche Fassung. Rainer Rother, der Direktor der Kinemathek, erklärt im Gespräch mit dem Tagesspiegel allerdings, dass nach Einsicht der Quellen die Schlussfolgerungen der „Zeit“ richtig seien.

Die Kinemathek warb mit der zweifelhaften Rolle Bauers

Aurich komme letztlich zu demselben Schluss, sein Buch thematisiere die Widersprüche aber nicht nachdrücklich genug. Rother sagt: „Man hätte die Biografie Bauers schärfer akzentuieren müssen. Die Legende, die Alfred Bauer gestrickt hat, wird nicht in aller Deutlichkeit dekonstruiert.“

Die Kinemathek hatte auf ihrer Website selbst sogar mit dem Hinweis auf die zweifelhafte Rolle Bauers während und nach dem Krieg für die inzwischen abgesagte Buchvorstellung geworben: „Woher kam der gewiefte Funktionär und engagierte Filmhistoriker? Wie konnte es ihm trotz Schwierigkeiten bei der Entnazifizierung gelingen, ein internationales Filmfestival an einem Ort zu etablieren, der zwar bis 1945 das Zentrum der deutschen Filmbranche dargestellt hatte, nun aber auf äußerst tönernen Füßen stand und dem zunehmend das Personal abhanden kam? Welche Rolle spielte dabei seine berufliche Herkunft aus der nationalsozialistischen „Reichsfilmintendanz“?“

Der Text wurde mittlerweile von der Website entfernt.

Ein Hobbyhistoriker brachte die Fakten an die Öffentlichkeit

Allein diese Fragen sind schwerwiegend genug, um die Biografie Bauers kritischer zu untersuchen. Die Kinemathek hat die Chance verpasst, die Tragweite ihrer Recherchen selbst einzuordnen. Besser hätte es ausgesehen, hätte die Kinemathek gemeinsam mit der Berlinale ihre Ergebnisse rechtzeitig öffentlich gemacht und eine Aufarbeitung des Berlinale-Gründungsmythos proaktiv eingeleitet.

Dass ausgerechnet ein Hobbyhistoriker wie der Informant der „Zeit“ Fakten aus der Biografie an die Öffentlichkeit bringt, lässt die Institution, die sich um die Aufarbeitung der NS-Ära der deutschen Filmbranche, des Exilkinos und der jüdischen Geschichte des deutschen Kinos so verdient gemacht hat (nicht zuletzt dank Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich), in einem unvorteilhaften Licht dastehen.

Rother betont, dass Aurichs Heft „keine Reinwaschung von Alfred Bauer“ begeht. „Aber es wirft neue Fragen auf, die das Bild deutlich verändern. Und da sehen wir uns als Kinemathek in der Pflicht.“ Bei der Aufarbeitung, die nun erfolgen muss, so Rother, sei aber erst mal externe Expertise gefragt.

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