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Lars Eidingern als SS-Offizier.

© HYPE FILM

NS-Drama auf der Berlinale: In „Persian Lessons“ erfindet ein KZ-Häftling eine Kunstsprache

Der Film erzählt von einem Juden, der einem SS-Hauptsturmführer persischen Sprachunterricht gibt. Lars Eidinger spielt den Nazi. Unsere Filmkritik.

Wie viele Wörter gibt es für die Dinge, die uns täglich umgeben? In der Küche zum Beispiel, für Besteck und Geschirr, Essen und Trinken: 20, 50, 100? Aber was ist das schon gegen 2500, so viele, wie man braucht, um sich in einer fremden Sprache fließend verständigen zu können?

Bei dieser Frage geht es für Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) um Leben und Tod. Wörter retten ihn, vorerst. Sie stehen in dem Buch über persische Mythen, das er bei sich trug, als die anderen Juden im okkupierten Frankreich des Jahres 1942 gleich auf einer Lichtung erschossen worden waren.

Das Buch beweist, dass er Perser ist. Theoretisch. Doch praktisch versteht Gilles die Schriftzeichen nicht, weil er in Wahrheit ein Jude ist, auf dem Weg ins Lager, aufgegriffen beim Fluchtversuch in die Schweiz.

Das Buch hat er von einem Leidensgenossen aus dem Lkw, getauscht gegen ein halbes Wurst-Baguette. Die SS-Männer, angeführt von einem sadistischen Standartenführer (Jonas Nay), misstrauen dem Mann, haben ihn aber verschont, weil sie ein Geschäft wittern. Der Hauptsturmführer, der den Küchentrakt des KZs leitet (Lars Eidinger), hat jedem, der ihm einen „echten Perser“ bringt, zehn Dosen Fleisch versprochen.

Nach dem Krieg will er nach Teheran zu seinem Bruder auswandern und dort ein Restaurant eröffnen. Das dauert noch etwa zwei Jahre, sagt er. Ihm fehlen nur 2500 Wörter, das macht vier pro Tag.

Also steht Gilles, der sich nun Reza nennt, als Küchenhilfe in Sträflingskleidung panisch vorm Abwasch und erfindet Wörter, um sie dem Hauptsturmführer beizubringen: Teller heißt „rut“, Brot „radj“, Löffel „bala“ und Fleisch „gank“. Wenn er Essen stiehlt oder die Arbeit sabotiert, wird er erschossen. Sterben muss er auch, wenn sich zeigt, dass er lügt. Aber dann, so hat ihm der KZ-Küchenchef versprochen, besonders grausam.

Man könnte Vadim Perelmans Drama „Persian Lessons“ für eine Schelmengeschichte halten. Es gibt auch einige ziemlich komische Szenen. Etwa wenn der bildungsbeflissene SS-Mann vor Rührung lächelt, als Gilles ihm ein altes persisches Sprichwort vorträgt: „Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.“ Aber selbst für eine schwarze Komödie ist der Plot der russisch-deutschen Koproduktion viel zu hoffnungslos.

[23. 2., 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 12 Uhr (HdBF), 20.30 Uhr (Thalia Potsdam). 24. 2., 21 Uhr (Friedrichstadtpalast)]

Ähnlich wie Stefan Ruzowitzky im KZ-Drama „Die Fälscher“ verdichtet Vadim Perelman, Nachkomme ukrainischer Holocaust-Überlebender, den Alltag des Massenmords zu einem Kammerspiel des Schreckens. Nachts, wenn sich die zur Deportation bestimmten Häftlinge seiner Baracke wispernd über ihr Schicksal beraten („Polen heißt Tod“), weiß Gilles, dass er im Übergangslager bleiben darf. Das Töten geschieht meist im Off.

Schwierig wird die Lage des Lehrers, als der Koch das Pensum erhöht: 40 Wörter pro Tag. Weil Gilles wegen seiner akkuraten Handschrift inzwischen auch das Register des Lagers führt, Zugänge notiert, Abgänge durchstreicht, fängt er an, Silben aus diesen Namen zu verwenden. Am Ende versucht die SS, alle Spuren ihrer Taten zu vernichten. Die Leichen sind verbrannt, auch das Register ging in Flammen auf. Doch Gilles, der von einem britischen Offizier befragt wird, kann sich an 2840 Namen erinnern. In Tränen aufgelöst beginnt er sie aufzusagen. Es ist ein Totengebet.

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