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Die chinesische Autorin Eileen Chang (1920-1995).

© privat/Ullstein Verlag

Novelle von Eileen Chang: Gefahr und Gefühl

Eileen Changs hinreißende Novelle „Die Klassenkameradinnen“ ist neu aufgelegt worden. Der fiktionale Erinnerungsband spielt in den USA und Schanghai.

Der Qipao ist Filmlegende. Wir kennen ihn aus Wong Kar-Wais Klassiker „In the Mood for Love“, in dem Maggie Cheung als Chan Li-chen in jeder Szene in einem neuen, schmalen, faszinierend leuchtenden Kleid mit signifikant hochgestellten Kragen auftritt.

Und der Qipao wird auch von den Damen getragen, die in Ang Lees „Gefahr und Begierde“ im Schanghai der vierziger Jahre am Mahjong-Spieltisch gelangweilt auf ihre korrupten Ehemänner warten.

Eileen Chang hatte ein intimes Verhältnis zur Mode

Eileen Chang, die 1920 in Schanghai in eine alte chinesische Dynastie hineingeboren wurde, hatte 1943 mit ihrer gleichnamigen Kurzgeschichte die Vorlage dieses von chinesischen Nationalisten und Kollaborateuren bevölkerten Erotik-Thrillers geliefert.

Doch wie ein Qipao geschneidert wird, was seinen Schnitt und seine Strahlkraft ausmacht, wie man mit diesem Outfit selbst in ärmlichen Verhältnissen reüssieren kann, das beschreibt die 1995 einsam und allein in Los Angeles verstorbene Schriftstellerin Eileen Chang ausführlich in ihrem letzten, 2005 erstmals veröffentlichten Roman „Die Klassenkameradinnen“.

Eine ganze Seite füllt die Nähanweisung für dieses etwas abgewandelte Kleidungsstück. Es beginnt mit dem Kauf und dem Falten des jadegrünen Stoffes, dann kommen die seitlichen Nähte und Schulterknoten, die Schlitze, die das Gehen erlauben, und schließlich das Unterkleid im Stil eines Sarong: „Ein richtiger Hingucker“, der für den nächsten festlichen Anlass variiert werden kann, für wenige Dollar.

Die asiatische Greta Garbo, wie Eileen Chang auch genannt wurde, hatte ein intimes Verhältnis zur Mode. Überliefert von ihr sind, wie die Übersetzerinnen Susanne Hornfeck und Wang Jue in ihrem aufschlussreichen Nachwort schreiben, einschlägige Essays und Modezeichnungen.

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Der letzte Teil dieses schmalen fiktionalen Erinnerungsbandes ist im Osten der USA angesiedelt. Hier lebt seit 1955 Zhao Jue, Changs alter Ego, mit ihrem chinesischen Mann. Er ist Dozent an Provinzuniversitäten und wird wegen der 68er-Begeisterung für das „rote China“ von den Studierenden hofiert.

Sie dagegen fühlt sich fremd und schlägt sich, von ihm in den USA zurückgelassen, als Koreanisch-Dolmetscherin in Washington D.C. durch. Dort „mied man die Flüchtlinge wie schmutziges Wasser“; sie verliert ihren Job, als sie sich ihrem Auftraggeber, einer „verkürzten Kakerlake“, verweigert. Dies ist das einzige Mal, dass Chang über ihre Situation als Emigrantin schreibt, unter anderem hielt sie sich mit Drehbuchschreiben über Wasser. Sie wollte „Die Klassenkameradinnen“ mit Rücksicht auf noch lebende Personen zu ihren Lebzeiten offenbar nicht veröffentlicht sehen.

Ein protestantisches Internat in Schanghai

In den um Zhao Jue gruppierten Klassenkameradinnen, die in den dreißiger Jahren in einem protestantischen Internat in Schanghai heranwachsen, fokussieren sich indes die sozialen Gemengelagen. Die Schanghaier Gesellschaft ist zerrissen, wird von den japanischen Besatzern später zusätzlich drangsaliert, dazu kommen noch jüdische Flüchtlinge aus Europa.

In angelsächsischer Tradition dimmt Chang das alles herunter auf eine von pubertären Verwirrtheiten, Eifersüchteleien und Rivalitäten imprägnierte Schulgeschichte. Zhao Jues beste Freundin Enjuan stammt aus ärmlicheren Verhältnissen. Christlich erzogen, geht ihre Mutter einem Beruf nach, während der Vater noch zwei weitere Familien mit Nachwuchs zu versorgen hat.

Im Gegensatz zu Zhao Jue ist Enjuan beliebt, doch nur die Freundin aus begütertem Haus kann den Inhalt ihrer Fresspakete von zu Hause unter den Mitschülerinnen verteilen. Das Freundinnenbündnis wird aufgestört durch weitere Mädchen, mit denen sie schwärmerisch verbunden oder verfeindet sind.

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Ein wesentliches soziales Distinktionsmerkmal im Internat ist die Sprache. Zhao Jue beherrscht kein Schanghaierisch, sie „bekam Gänsehaut, wenn sie andere den holprigen Suzhou-Dialekt sprechen hörte“, auch „im Hochchinesischen war ihre Aussprache nicht besonders gut“. Andere Schülerinnen beherrschten weder Mandarin noch den Lokaldialekt, „sie sprachen wie die Leute in der Gegend nördlich des Jangtsekiang, aus der normalerweise die Rikscha-Kulis kamen“.

Zwischen juvenilem Tagebuchstil und erzählender Erinnerung changierend, liegt in dieser Novelle über allem die Melancholie des Abschieds der Schülerinnen, die sich in der untergehenden Gesellschaft verlängert. Die „neue Zeit“, erst in Schemen erkennbar, drängt zu Entscheidungen. „Gefühle müssen nicht unbedingt ein Ziel haben und ein Ergebnis“, ist Zhao Jue schon im Internat überzeugt, ihre Leidenschaft ist intellektueller Art.

Sie wählt einen anderen Weg als die erfolgreich verheiratete Enjuan. Jahre später treffen die Frauen sich in den USA wieder. Verstört muss Zhao Jue erkennen, dass die einstige Verbundenheit nicht mehr existiert, „zwischen Enjuan und ihr lag nun ein ganzes Universum“. Verbunden sind sie durch den grünen Stoff, das für ihr Alter viel zu jugendliche Kleid, das Enjuan beim Besuch von Zhao Jue trägt. Dieses Grün bedeutet im Chinesischen nicht nur Hoffnung, sondern ist auch ein Zeichen der Eifersucht.
Eileen Chang: Die Klassenkameradinnen. Roman. Aus dem Chinesischen von Susanne Hornfeck und Wang Jue. Ullstein Verlag, Berlin 2020. 96 Seiten, 18 €.

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