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Die Kathedrahle von Notre Dame nach dem Feuer.

© Benoit Tessier / REUTERS

Notre-Dame: Ein Abbild des Himmels

Der Brand von Paris hat eine eigentümliche Parallele zum Feuer in Reims 1914. Und doch sind die Assoziationen andere. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Gotischen Kathedralen wie der von Notre Dame wohnt nicht nur große Schönheit, sondern auch hohe Symbolik inne: Keine Epoche kam dem Himmel in ihrer Baukunst näher als die Gotik. Die schmalen, steil und immer steiler aufragenden Kirchenschiffe, beleuchtet vom glühenden Farbenspiel, das die Sonne durch die Glasmalereien der Fenster hindurch in den halbdunklen Innenraum wirft – nirgends sonst, nicht in der monumentalen Ruhe der Romanik, nicht in der überbordenden Pracht des Barock, kommt der Gläubige, aber auch der Nicht-Gläubige einer Ahnung von Transzendenz näher als in einer Kathedrale der Gotik.

Natürlich hat die Pariser Kathedrale Notre-Dame eine Bedeutung darüber hinaus; sie ist als Hauptkirche der Hauptstadt zugleich ein nationales Symbol. Als solches rief ihr Brand Entsetzen hervor, bis hin zum Staatspräsidenten, der seinen Tageskalender beiseite schob und Worte der Erschütterung formulierte. Zum Glück verlief der Brand weniger verheerend, als erste Befürchtungen es ausmalten. Der in die Flammen stürzende Dachreiter – ein Zusatz des 19. Jahrhunderts – wirkte wie ein Fanal des Untergangs, schaurig beleuchtet vom aufstiebenden, rotglühenden Rauch. Doch die steinernen Gewölbe blieben intakt; was verbrannte, ist der hölzerner Dachstuhl, sind die Bleiplatten der Bedachung.

Der Brand von Paris hat eine eigentümliche Parallele. Im Ersten Weltkrieg, gleich im September 1914, geriet die Kathedrale von Reims in Brand; sie hat, nebenbei, als Krönungskirche der französischen Könige den ersten Rang unter Frankreichs Kirchen inne. Auch in Reims brannte der Dachstuhl nieder, auch dort war ein hölzernes Gerüst, aufgestellt zu Renovierungsarbeiten, der Verstärker des Brandes. In Reims, der mitten im Frontverlauf liegenden Stadt, war die Beschädigung der Kathedrale ungleich stärker, als sie es in Paris glücklicherweise ist.

Reims kam der Kriegspropaganda wie gerufen

Doch eingeprägt hat sich das Bild der brennenden Kirche. Vor der Erfindung der Farbfotografie mussten kolorierte Postkarten genügen, um die Katastrophe zu schildern; Retuschen, die uns Heutigen als allzu plump dünken, wurden damals für bare Münze genommen. Der Brand von Reims kam der französischen Kriegspropaganda wie gerufen, er diente dazu, die deutschen Angreifer, denen man die Schuld am Ausbruch des Feuers gab, fortan an als Barbaren zu schmähen. Doch mehr als das wurde Reims zu einem Symbol des Krieges und des Kriegsgrauens überhaupt.

Es ist diese Bedeutungsebene, die in der Erschütterung über den – zum Glück völlig zivilen – Brand von Paris mitschwingt; eine Ahnung dessen, was Krieg bedeutet. In seinen Feuerstürmen tut sich die Hölle auf. „Selten, wenn  überhaupt jemals, hat der militärische Angriff auf ein Baudenkmal einen solchen Sturm der Empörung in Texten und Bildern ausgelöst“, konstatiert der Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens in seinem bemerkenswerten Buch, das den Brand von Reims ins Gedächtnis zurückgerufen hat.

Der Brand von Paris ruft keine vergleichbaren Assoziationen auf. Dass rund um den Globus Menschen entsetzt sind und Anteil nehmen, ist ein gutes Zeichen dafür, welche Wertschätzung dem bedrohten Kulturerbe mittlerweile zuteil wird. Aber auch ein Zeichen dafür, dass die gotische Kathedrale vielleicht doch so etwas ist wie ein Abbild des Himmels.

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