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Nacht im Nebel. „Leeres Zimmer“ heißt das Bild von 2011, in dem die Dinge zu leben beginnen, wenn niemand mehr anwesend ist.

© Galerie CFA

Norbert Schwontkowski: Der wohnt hier nicht mehr

Verlassene Zimmer und verblassene Erinnerungen: Norbert Schwontkowski war ein Meister der malerischen Momentaufnahme. Die Charlottenburger Galerie Contemporary Fine Arts erinnert an ihn.

Immer fehlt etwas auf den Bildern von Norbert Schwontkowski. Seine Vase hat ein Loch, und der Spiegel, in dem sich ein Mädchen anschaut, bleibt grau und blind. Im Jahr 2002 lässt der Maler eine Gestalt sich aus dem einzigen Fenster beugen, das die schier endlose, schlammig braune Fassade des Hauses überhaupt besitzt. Nachbarschaft gibt es hier keine. Im „Leeren Zimmer“, einem großen Format von 2011, fehlt gleich der Mensch. Dabei suggerieren die im Raum verteilten Schuhe, dass er eben noch da war. Genau wie der offene Schrank, in dem sich aber wiederum kein einziges Kleidungsstück befindet.

Diese Abwesenheit weckt seltsame Sehnsüchte. Am liebsten würde man Schwontkowskis Sujets ergänzen, um seine lakonische Malerei von jeder Ungereimtheit frei zu halten. Das Porzellan kitten, freundliche Nachbarn dazu stellen und eine Gestalt in die nächtliche Szenerie des verlassenen Zimmers. Dabei hat er es genau so gewollt: Erst das fehlende Detail in jeder Szene verursacht jene leise bohrende Unruhe, die einen vor den Bildern des Künstlers befällt.

Diskurse interessieren ihn nicht

Schwontkowski ist ein Virtuose, wenn es darum geht, die Leere ins Zentrum zu rücken und sie mit erzählerischen Girlanden zu verbrämen. Alles kreist um dieses Nichts, wie auf dem Bild „The Call (Der letzte Schrei)“ von 2007. Der letzte Schrei, das könnte ebenso gut ein modisches Statement sein. Hier aber weht es ein Segelboot links aus dem Rahmen, die kleine Figur darin wirkt machtlos und entsetzt. Möglich, dass Schwontkowski dabei an Bas Jan Ader gedacht hat: Der radikale Konzeptkünstler aus den Niederlanden brach 1975 für ein performatives Projekt in einem ähnlich winzigen Boot auf, um den Atlantik zu überqueren. Und verschwand spurlos.

In der Galerie Contemporary Fine Arts lässt sich der Effekt von Schwontkowskis Kunst aktuell überprüfen. Melancholie garantiert, wobei sich das Gefühl oft ins Heitere kanalisiert, wenn auf Bildern wie „Foreign Language (2010) ein Vogel auf dem Schatten eines Astes landet, den ihm eine androgyne Gestalt hinhält. Versammelt sind knapp drei Dutzend Gemälde und Zeichnungen eines Mannes, der erst mit über 50 Jahren vom Kunstbetrieb entdeckt und gewürdigt wurde. Sammler hatte er zuvor schon, aber beschränkt, denn Schwontkowski weigerte sich beharrlich, seine Heimat Bremen zu verlassen. Diskurse interessierten ihn schon gar nicht. Nur das ausgedehnte Reisen, wo er sich unablässig zeichnend Notizen machte: auf handlichen Blöcken und immer den vorbei schwirrenden Motiven hinterher. Fensterblicken aus dem Zug, Vögeln im Flug oder am Wasser, Menschen in komisch rätselhaften Situationen. Alles Momentaufnahmen, alle vergänglich.

Die Freiheit macht sein Werk einzigartig

„Ich male nicht nach Fotos, ich male nach meiner inneren Empfindung“, stellte Schwontkowski einmal fest. „Diese verblassende Erinnerung ist Thema und Inhalt meiner Malerei.“ Was er mit zwei Sätzen als Charakteristikum seiner Arbeit erfasst, wirkt schnell und einfach gemacht, ohne es zu sein. Gemalt hat er mit einer reduzierten, tonigen Farbpalette aufwändig in klassischer Nass-in-Nass-Technik ohne ausgeprägte Kontraste. Dennoch scheinen die Bilder aus sich heraus zu leuchten, als gäbe es im Hintergrund eine Quelle unsichtbarer Energie.

Kein Motiv ist Schwontkowski zu banal und abgeschmackt, weder das Schiff im Abendrot noch ein abendliches Konzert von Fröschen, die sich als Schatten dekorativ vor dem schlanken Schilf machen. Sein Blick behauptet eine neue, unverbrauchte Sicht. Und wirklich befreit er selbst hoffnungslose Genres vom Kitsch vorangegangener Epochen. Hinsehen, das Verhältnis zwischen den Dingen, sich und der Welt noch einmal definieren, dabei nicht beirren lassen. Diese Freiheit macht sein Werk bis jetzt singulär.

Im April dieses Jahres wäre der Maler 70 geworden. Schwontkwoski, von einer kurzen, schweren Krankheit überrascht, starb jedoch schon im Sommer 2013. Seine Arbeit endete abrupt, Contemporary Fine Arts, die ihn 2005 erstmals in ihren Räumen mit einer Soloschau zeigten, verwalten den Nachlass.

Auf alles gefasst

Bevor das Kunstmuseum Bonn im Oktober die große Ausstellung „Norbert Schwontkowski. Some of My Secrets“ eröffnet, die anschließend weiter in die Kunsthalle Bremen und ins Gemeentemuseum nach Den Haag wandert, bietet „Die von da“ einen Auftakt im geradezu persönlichen Rahmen. An die 70 Gemälde werden später in den Institutionen zu sehen sein. In Berlin geht es um jene Bilder, die noch verkäuflich sind (Preise auf Anfrage). Dass das Œuvre des Malers langsam aber beständig schrumpft, verwundert kaum angesichts der Tiefgründigkeit und Schönheit seiner Motive.

„Versuch, die Welt zu begreifen“, heißt eines aus dem Jahr 1994. Wieder beugt sich eine Figur, diesmal tief nach unten Richtung Boden. Was sie findet: ein dunkles Oval. Ein Loch, die Leerstelle in der Existenz, schwarz wie das Nichts. Unglücklich sieht Schwontowskis Protagonist dennoch nicht aus. Eher neugierig und auf alles gefasst

Contemporary Fine Arts, Grolmannstr. 32/33, bis 7.3., Di–Sa 11–18 Uhr. Am 23.2. findet um 15 Uhr ein Vortrag von Dorothea Zwirner über den Künstler statt.

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