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Gitarristinnen? Gibt’s viel zu wenig. Nilüfer Yanya, 23, spielt auf dem Instrument, seit sie zwölf ist.

© PIAS

Nilüfer Yanya im Porträt: Ich fühle deinen Schmerz

Die Londoner Musikerin Nilüfer Yanya macht sehnsuchtsvollen Indie-Pop. Jetzt ist ihr Debütalbum "Miss Universe" erschienen und sie spielt in Berlin.

Ein rot beleuchteter Keller, die Fenster vergittert, kalter Rauch in der Luft. An einer der Backsteinwände lehnt Nilüfer Yanya, die in einer halben Stunde nebenan auf der Bühne stehen wird. Die Londonerin ist im vergangenen Jahr in den Kreuzberger Auster Club gekommen, um ihre dritte EP „Do You Like Pain“ vorzustellen – und vorher ein bisschen über ihre Musik zu reden.

Die 23-jährige Yanya gehört zu einer jungen Generation von Musikerinnen, die am männlichen Monopol in der Welt der Gitarrenmusik sägen. Frauen wie Anna Calvi, Courtney Barnett oder Chelsea Wolfe, Emma Ruth Rundle, Bands wie Goat Girls, Thunderpussy und viele andere scheinen einen Weg aus einer musikalischen Sackgasse gefunden zu haben.

Nilüfer Yanya sagt: „Gitarrenmusik wird bleiben.“ Sie sei jetzt vielleicht weniger populär, der Stil und die Produktionsbedingungen änderten sich, aber die Gitarre selbst sei kulturell fest verankert: „Jedes Land hat eine eigene Gitarre.“ Da ist zum Beispiel die Saz aus der Türkei, dem Herkunftsland ihres Vaters. Oder die Charango, jene aus den Anden stammende Gitarre, die traditionell aus Gürteltier-Panzern gebaut wurde, winzig und unauffällig, damit sie vor den spanischen Kolonialherren versteckt werden konnte.

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Nilüfer Yanyas erstes Instrument ist das Klavier, mit zwölf beginnt sie auch Gitarre zu spielen. Damals hört sie viel „old school indie-music“, wie sie es nennt: The Strokes, The Libertines, The Cure, auch The Kooks. Die Keyboard- und Synthsounds auf ihrem kürzlich erschienenen Debütalbum mit dem ironischen Titel „Miss Universe“ verweisen auf die frühe Leidenschaft für The Cure. Auch beim Einsatz ihrer sehr vollen und abgerundeten Stimme, in der Art, wie sie manchmal die Melodien fast sprechend ausklingen lässt, scheint ihre alte Bewunderung für den Cure-Sänger Robert Smith durchzuschimmern. Allerdings laufen die Versuche ins Leere, Nilüfer Yanyas Sound mit der Musik anderer Bands zu beschreiben, etwa wenn in dem Song „Melt“ ein Saxofon Yanyas Stimme vorsichtig in die Nähe von Sade trägt. Denn ihr Sound huldigt zwar den Ahnen, bleibt aber eigen.

Obwohl sie als Solokünstlerin unterwegs ist, arbeitet sie viel mit anderen Musikerinnen und Musikern, die sie zum Teil noch aus der Schulzeit in West-London kennt. Mit ihnen nahm sie etwa die EPs „Small Crimes“ (2016) und „Plant Feed“ (2017) auf. Als Teenagerin hatte sie sich an den Gitarristen von The Invisibles, David Okumu, gewandt, um von ihm zu lernen. Sie blieb mit David Okumu in Verbindung, schrieb mit ihm den Song „Heat Rises“, einer der stärksten Tracks auf „Miss Universe“, in dem die melancholische Melodie und die Gitarrenharmonien ineinanderfahren wie die Farben von Meer und Sonne zur Dämmerzeit. Das Lied beschreibt die Hitze der Leidenschaft, die einen benommen macht, und das lyrische Ich damit überrascht, dass das aufsteigende Begehren das Handeln bestimmt. Die gesuchte Verbindung reicht aber über die Sehnsucht hinaus und mündet fast in einem Appell: „Let’s meet for some affection / Don’t lose our connection.“

Erst kommt der Klang, dann die Wörter

Diese Verbindung und das Vermögen sie zu empfinden, ist ein Grundthema ihrer Texte, an das sie sich meistens über die romantische Begegnung annähert, ohne allerdings bei dieser stehen zu bleiben. So stammt auch der Titel ihrer EP „Do You Like Pain?“ aus dem Refrain eines Songs, in dem es der Erzählerin trotz aller Anstrengungen nicht gelingt, ihrem Partner zu verzeihen und sie sich deshalb von ihm trennt. Die Frage beinhaltetet aber auch einen sozialen Aspekt: Menschen würden oft das Leid des Gegenübers nicht mehr wahrnehmen können, erklärt Yanya. Allerdings verfolge sie in ihrer Musik keine politische Agenda. Letztlich gehe es ihr, wenn es überhaupt so etwas wie eine Botschaft gebe, ums Persönliche, nämlich „so zu sein, wie man ist“. Hierfür müsse man in der Lage sein, zu fühlen. Musik könne Menschen dazu ermutigen.

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Ob ihr Engagement in einer mit ihrer Schwester gegründeten Non-Profit Organisation sie inspiriere, verneint sie: Mit „Artists in Transit“ war sie in Griechenland, gab Workshops für Geflüchtete. Sie würde sich aber nicht wohlfühlen, die Schicksalsschläge anderer Menschen als Quelle ihrer Kunst zu nutzen, und könne immer nur von ihrer persönlichen Erfahrung ausgehen. Ihre Lieder entstünden meistens so, dass sie erst einen Klang finde und dann, oft auch über die Improvisation, Wörter, die zur Melodie passten.

Selbstoptimierung und versteckte Überwachung

Auf „Miss Universe“, das Yanya kommende Woche live in der Berliner Berghain Kantine vorstellt, finden sich mehrere Zwischenspiele, die sich um eine fiktionale Wellness-Firma namens „WWayHealth“ drehen. Gleich das Intro verspricht, dass das hier gebotene Care-Programm rund um die Uhr verfügbar sei: „We are here for you, we care for you, we worry about you, so you don’t have to.“ Es geht um Selbstoptimierung, aber auch um versteckte Überwachung.

Gleich zu Beginn des Albums fordert eine Mitarbeiterin des Care-Programms die Nutzerinnen und Nutzer auf, eine Beschreibung zu wählen, die auf sie zutrifft: „Ich fühle mich unwohl im Leben“ oder „Ich fühle mich beobachtet oder verfolgt“, „Oft suche ich Bestätigung bei anderen“. Die Zwischenspiele funktionieren immer dann, wenn sie auch musikalisch interessant sind, etwa und vor allem bei „,Sparkle’ God help me“ gegen Ende des Albums, wo Yanyas Stimme sich in eine in Not geratene Person versetzt und Gott anruft. Die Care-Programm-Fiktion bricht das Pathos.

Ihr Mantra: "Sei du selbst"

Mit „Miss Universe“ hat Nilüfer Yanya ein ambitioniertes Konzeptalbum aufgenommen, auf dem kein einziger ihrer zuvor veröffentlichten Songs zu finden ist. Durch die Konzeptelemente hat die Platte eine sozialkritische Ebene bekommen. Vielleicht läge der nächste Schritt darin, diese Ebene stärker über die Lieder selbst zu transportieren. In einigen kommt sie dem bereits sehr nah, zum Beispiel in „Monsters Under The Bed“. Dort singt sie: „They all say / I’m not okay, / Such a shame, / Never felt so good“. Viel mehr noch als über ihre Texte verwirklicht sie das Mantra „Sei du selbst“ durch die Eigenart ihrer Gitarrenklänge, Elemente wie den oft unerwarteten Einsatz des Saxofons, und vor allem durch ihre vereinnahmende Stimme.

An diesem Abend im Auster-Club erfüllt sie den ganzen Raum. „Angel“ heißt der erste Song. Er ist an Edgar Allen Poes Gedicht „Annabel Lee“ angelehnt und wieder voller Sehnsucht nach einer Verbindung: Unglückliche Engel beneiden darin die Liebenden auf der Erde.

„Miss Universe“ ist bei PIAS erschienen. Konzert: 18.4., 20 Uhr, Berghain Kantine

Deniz Utlu

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