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Nile Rodgers im Berliner Tempodrom.

© Davids/Laessig

Nile Rodgers & Chic im Berliner Tempodrom: Nile Rodgers ist der Discogott

Nile Rodgers hat 1500 Songs geschrieben und 500 Millionen Platten verkauft. Mit seiner Band Chic präsentiert er im Tempodrom einen Schnelldurchlauf durch seine Karriere.

Das erste Disco-Gebot lautet: Du sollst tanzen. Das zweite: Du sollt klatschen. Und das dritte sagt: Du sollst damit niemals aufhören. Über der Bühne des Berliner Tempodroms hängen zwei gewaltige Disco-Kugeln, ein Tag-und-Nacht-Doppelgestirn, das funkelnd zersplitterte Lichter durch die nahezu ausverkaufte Halle gleiten lässt. Eben noch war der Held des Abends, ein älterer Herr mit schulterlangen Rastalocken, weißer Baskenmütze, der obligatorischen Sonnenbrille und in einem eng geschnittenen Anzug, den er die ganze Zeit nicht einmal aufknöpfen wird, nach vorne getreten. Nile Rodgers hatte die jubelnden Fans mit seinem Smartphone gefilmt, er hatte gelacht und gewunken und gefragt: „Are you ready for your time tonight?!“ Und klar doch, alle waren fertig und bereit.

Erbarmungsloses 4-to-the-floor

Dann fängt es auch schon an, mit zischenden HiHats, dem übermütig blubbernden Bass und im erbarmungslosen 4-to-the-floor-Rhythmus der Disco-Ära, der ein Befehl ist zu sofortigem Aus-Dem-Haus-Sein und Mittanzen. „Everybody Dance“ heißt der Hit von Rodgers’ Band Chic, der den beiden Sängerinnen Gelegenheit gibt, die Themenstellung dieser Nacht schlüssig zusammenzufassen: „Everybody dance, do-do-do / Clap your hands, clap your hands.“ Es geht um die Musik, die einen niemals hängenlässt, die überall funktioniert, und um das Nachtleben als Zuflucht und Gegenwelt. Nahtlos folgen das ähnlich geartete „Dance, Dance Dance (Yowsah, Yowsah, Yowsah“ und das girlandenreichere, leicht abgebremste „I Want Your Love“ mit seinen weckrufgleichen Glockenschlägen und minimalistischen Bläsersätzen. Auf Dauer gestellte Euphorie.
Die sechsköpfige Band trägt elegante weiße Anzüge, und die angedeuteten Tanzschritte der beiden Blechbläser zeigen, worin Disco wurzelt. Natürlich in Funk und Soul, aber auch im Swing der Bigbands, jenen perfekt geölten Musikmaschinen, die einst ganze Tanzsäle zum Kochen brachten. Nile Rodgers, heute 65, hat – so erzählt er – 1500 Songs geschrieben und 500 Millionen Platten verkauft. Die Band Chic, die der ehemalige Hausorchester-Gitarrist des Apollo Theaters mit seinem kongenialen Partner, dem Bassisten Bernard Edwards, gründete, veröffentliche zwischen 1977 und 1980 drei bahnbrechende Alben und ein Dutzend Singles, die sich in den Billboard-Charts platzierten. Edwards starb 1996, Rodgers, der als Produzent und Songwriter noch erfolgreicher als mit Chic war, reaktivierte die Band 2015. Anfang September erscheint das neue Album „It’s About Time“.

Trauer um die tote Soul-Königin

Das Konzert gleicht einem Schnelldurchlauf durch Rodgers’ beeindruckende Karriere. „Like a Virgin“, das er 1984 für Madonna produzierte, klingt etwas quietschig. „I’m Coming Out“, „Upside Down“ und „He’s the Greatest Dancer“, Hits für Diana Ross und Sister Sledge, werden als Potpourri verwurstet. Berührend ist der Moment, als der Gitarrist der wenige Stunden zuvor verstorbenen Soul-Königin Aretha Franklin seine Referenz erweist und die Chic-Sängerin Kimberly Davis, eine Diva mit blonder Perücke, ihr eine A-capella-Arie aus „We Are Family“ widmet. „We are family / I got all my sisters with me“, daraus spricht das Zusammengehörigkeitsgefühl der afroamerikanischen Pop-Gemeinschaft.
Nile Rodgers, der sich stets strahlend fröhlich zeigt, ist ein Davongekommener. Er berichtet von dem Anruf, in dem sein Arzt ihm die Diagnose einer aggressiv voranschreitenden Prostatakrebserkrankung eröffnete und empfahl, sich nun auf die wichtigen Dinge seines Lebens zu konzentrieren. Das tat der Musiker, indem er beschloss, so viele Lieder zu schreiben und so viele Konzerte zu geben wie nie zuvor. „Und nun“, jubelt er, „stehe ich hier in Berlin und bin krebsfrei. Ich fühle mich wie eine Million Dollar.“ Kurz danach riefen „diese beiden französischen Jungs“ an, von der House- und Neo-Discoband Daft Punk. Die herrliche Hymne „Get Lucky“, Ergebnis dieser Kollaboration, zelebrieren Rodgers und seine Band als funky federndes Retro-Kabinettstück, inklusive dem roboterhaften Vocodergesang des Drummers. „We’re up all night to get lucky.“ Wachbleiben zum Glücklichwerden. Zusammen mit dem für David Bowie produzierten Hit „Let’s Dance“ ist „Get Lucky“ der Höhepunkt des knapp zweistündigen Abends.

Geil abgeliefert

In Australien, merkte Rodgers süffisant an, habe ein Journalist Chic eine „großartige Coverband“ genannt. Allerdings stammen die Stücke, die sie covern, von Chic selbst. Das Konzert endet mit den Megaerfolgen „Le Freak“ und „Good Times“. „Geil abgeliefert“, würde der Protagonist von Heinz Strunks Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ urteilen, ein erfolgloser Tanzmucker. Everybody clap your hands.

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