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Sündentier. „Desire“ (2015) heißt die Häkelschlange der Künstlerin.

© Galerie T. Wagner

Nilbar Güres in der Galerie Tanja Wagner: Über Tradition und Geschlechterrollen

Die Werke von Nilbar Güres sind weltweit gefragt. Sie verpacken Kritik an traditionellen Geschlechterrollen in leisem Humor. Eine Schau in der Galerie Tanja Wagner gibt Einblick.

Stumm hockt die kleine Spinne in ihrem Häkelnest. Wer genau hinschaut, erkennt ein menschliche Gesicht, das die Künstlerin Nilbar Güres dem Gliederfüßer aus Stoff und dünnem Draht aufgeklebt hat. Aus der Höhe belauscht „Spider Woman; Mother“ (2006) die Gespräche zur Eröffnung der Ausstellung, darunter das zweier eleganter Damen mit österreichischem Akzent, die die Künstlerin hofieren. Es geht um Organisatorisches ihrer nächsten großen Ausstellung in Österreich. Nachdem Güres’ preisgekrönte Mixed-Media-Werke bereits auf Biennalen von Berlin bis Sao Paolo gezeigt wurden und 2017 sowohl im Schwulen Museum als auch im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen waren, folgt im Juni eine Einzelausstellung im Linzer Kunstmuseum Lentos. Auch in New York ist eine Show geplant. Güres muss sich also konzentrieren, für die Galerie Tanja Wagner hat sie Malerei, Zeichnungen und Stoffskulpturen ausgewählt.

Die Absolventin zweier Kunsthochschulen prangert in ihren Arbeiten Themen wie Homo- und Transphobie an und hinterfragt Geschlechterrollen in patriarchalen Gesellschaften, bleibt dabei aber auf Distanz. Wie ihre Spinne beobachtet sie die Protagonisten ihrer Werke. Ungern nimmt die Künstlerin kurdisch-alevitischer Herkunft trotz der aktuell angespannten Lage ein Blatt vor den Mund, maximal schwächt sie die kritischen Aussagen in ihren Werken durch leisen Humor ab. Ihre Bildsprache ist symbolhaft und explizit, geschickt verknüpft sie die christliche Ikonografie mit orientalischer Ornamentik, Stoffe sind ihr Leitmotiv: Geblümt, grob oder fein, in jeder Arbeit findet sich ein Stück.

Vielschichtige Perspektive

Perfekt im Blick hat die Spinne die dreidimensionale Arbeit „How I met your mom“ (2017), die fast schon Mitleid erregt. Das Halbporträt einer madonnengleich verschleierten Frau aus gepolstertem Stoff mit Blumenoptik ist in einem halben Rahmen an der Wand installiert, ihr Kopf leicht geneigt. Sofort denkt man an Mariendarstellungen und Bilder der Romantik, in denen Frauen sehnsuchtsvoll aus dem Fenster blicken. Das Gesicht aber ist vor Scham bloß noch ein roter Kreis, da vor dem Fenster ein Kaktusmann aus Stoff mit weichen Stacheln beschämt sein Genital verhüllt. Die Szenerie hat eine Komik, die Botschaft bleibt eindeutig: Beide sind in ihren Traditionen und Geschlechterrollen gefangen.

Die Werke der konzeptuellen Künstlerin sind vielschichtig, wie die Spinne an der Decke, die zugleich auf eine Legende um den Propheten Mohammed rekurriert und eine Hommage an die französische Bildhauerin Louise Bourgeoise ist: Es sind die Mütter, die eigentlich die Fäden in einer Familie und damit der Gesellschaft ziehen.

Galerie Tanja Wagner, Pohlstr. 64; bis 13. 4., Di–Sa 11–18 Uhr

Suzan Kizilirmak

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