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24 Stunden nach Nietzsches Tod abgenommen: die wiederentdeckte Maske.

© Historisches Museum Basel

Nietzsche-Totenmaske wiederentdeckt: Der Krieger und der Kranke

Eine kleine Sensation: In Basel ist eine jahrzehntelang verschollene Totenmaske von Friedrich Nietzsche aufgetaucht.

So sehen Geistesheroen aus: kämpferisch selbst noch im Angesicht des Todes. Auf der Totenmaske, die der tschechische Bildhauer Rudolf Saudek von Friedrich Nietzsche schuf, reckt der Philosoph unter der überlängten Denkerstirn und kantigen Augenbrauen seine spitze Nase und den mächtigen Walrossbart entschlossen nach vorn. Es scheint, als sei er selbst ein Prachtexemplar jener höher stehenden Spezies gewesen, die der Schriftsteller in seiner Übermensch-Konzeption beschrieben hat. „Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde“, lautet einer seiner berühmtesten und oft missverstandenen Aphorismen.

Prachtexemplar einer höheren Spezies

Zusammen mit der wuchtigen Bronzebüste, die Max Klinger 1904 für das von Naumburg nach Weimar umgezogene Nietzsche-Archiv lieferte, hat die Totenmaske bis heute unser Bild vom Autor der hymnenhaften Moralkritik „Also sprach Zarathustra“ geprägt. Mit der Wirklichkeit hat sie allerdings nur wenig zu tun. Denn Staudeks Skulptur ist erst 1910 entstanden, zehn Jahre nach dem Tod des Philosophen, als angebliche Überarbeitung der Gipsmaske, die Curt Stoeving zwei Tage nach dessen Ableben vom Gesicht des Toten abgenommen hatte.

Weil Stoeving hauptsächlich Maler war, unterliefen ihm dabei einige Fehler. Die Nase steht schief, eine Braue hat sich gespalten. Doch Elisabeth Förster-Nietzsche, alleinige Nachlassverwalterin ihres Bruders, missfiel das Abbild auch deshalb, weil es in ihren Augen zu sehr das Hinfällige, Schwache und Kranke an ihm betonte. Deshalb ließ sie nachbessern.

Schwach sollte er nicht aussehen

Jetzt aber ist in Basel eine Totenmaske wiederaufgetaucht, die jahrzehntelang verschollen war und als einzige authentische Wiedergabe gelten kann. Zusammen mit den anderen beiden Masken wird sie in der Ausstellung „Übermensch – Friedrich Nietzsche und die Folgen“ (bis 22. März im Historischen Museum Basel) erstmals überhaupt öffentlich gezeigt. Zu sehen ist Nietzsche mit den ausgezehrten Zügen eines Schwerkranken, keine Spur von Löwenmähne oder Denkerstirn.

Rudolf Saudeks 1910 entstandene Maske stilisiert den Philosophen zum Kämpfer mit Denkerstirn.
Rudolf Saudeks 1910 entstandene Maske stilisiert den Philosophen zum Kämpfer mit Denkerstirn.

© Historisches Museum Basel

Nach seinem geistigen Zusammenbruch in Turin von 1889 hatte der Philosoph die letzten elf Jahre seines Lebens als Pflegefall verbracht, zunächst in psychiatrischen Kliniken in Basel und Jena, dann in der Obhut von Mutter und Schwester. Angefertigt wurde die Totenmaske offenbar 24 Stunden nach Nietzsches Tod von seinem Cousin Adalbert Oehler, einem Juristen, der später zum Düsseldorfer Oberbürgermeister aufsteigen sollte.

Nietzsches „Übermensch“-Begriff wird im Englischen mit „Superman“ übersetzt. Zum Meisterdenker selbst passt die Superhelden-Rolle nicht. Vor 150 Jahren, 1869, zum Philologie-Professor an die Universität Basel berufen, musste er dieses Amt zehn Jahre später aufgeben, weil er an Migräneanfällen, Magenkrämpfen und Kurzsichtigkeit litt. Von seinen Büchern verkauften sich nur wenig hundert Exemplaren, der von der Schwester gesteuerte Kult um ihn begann erst nach seinem Tod.

Hitler pilgert ins Nietzsche-Archiv

Elisabeth Förster-Nietzsche ist berüchtigt für ihre Verfälschungen und Retuschen am Werk des Bruders. Die von ihr herausgegebene Schrift „Der Wille zur Macht“, kompiliert aus fragmentarischen Notizen, ist, so Ausstellungskurator Benjamin Mortzfeld, „Nietzsches wirkmächtigstes Werk, das aber nicht von Nietzsche stammt“. Die Schwester stilisierte den Philosophen zum Apologeten des Kriegerischen, eine Sicht, an die die Nationalsozialisten mit ihren sozialdarwinistischen Thesen anknüpfen konnten. Hitler, der ins Nietzsche-Archiv pilgerte, erfand zum Über- noch den Untermenschen hinzu.

Von der Aufregung über die Wiederentdeckung der Maske war die Besitzerfamilie überrascht, die sich vor Austellungsbeginn beim Museum meldete. „Verschollen, wieso? Wir haben sie doch“, sagten sie. Anonym bleiben wollen sie trotzdem.

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