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Nick Cave im Admiralspalast

© dpa

Nick Cave in Berlin: Nicht mal der Teufel kann ihn bremsen

Tolle Platte, fantastisches Konzert: Nick Cave hat im Berliner Admiralspalast sein neues Album "Push the Sky away" vorgestellt - und seinem spindeldürren Astralkörper artistische Verrenkungen abgerungen.

Von Jörg Wunder

Am Nachmittag vor dem exklusiven „Launch Event“ im Admiralspalast, einem von nur vier (in Rekordzeit ausverkauften) Konzerten weltweit, gibt es über das neue Album von Nick Cave and the Bad Seeds eine kleine Fachsimpelei unter Musikredakteuren: Kollege Bartels, der es im „Soundcheck“ bei Radioeins vorstellen darf, ist nach dem ersten Hören noch nicht überzeugt. Kurz vor dem Auftritt kommt eine euphorische SMS: Er ist nun doch „hin und weg“, die Platte sei ein „Meisterwerk, die beste seit ,Tender Prey’“. Eine Ansage, denn „Tender Prey“, mit der Cave 1988 seine Berlinphase abschloss, ist satte 25 Jahre alt, und in der Zwischenzeit war der Australier nicht faul: „Push the Sky away“ ist Caves zehntes Album seither, das Nebenprojekt Grinderman und etliche Filmmusiken nicht eingerechnet. Für uns Fortysomethings, vor allem jene, die irgendwann in den Achtzigern in Berlin gestrandet sind, hat Nick Cave eine ähnliche Bedeutung wie Neil Young für die zehn Jahre Älteren: ein Monolith, dessen Musik einen Lebensabschnitt geprägt hat.

Und was Crazy Horse für Neil, sind die Bad Seeds für Nick: eine treue Schar von exzellenten Musikern, deren Status über den Rang von „Begleitern“ weit hinaus reicht. Zwar ist von der Urbesetzung der 1982 gegründeten Band keiner mehr fest dabei, doch auch die aktuellen Seeds, darunter als primus inter pares der formidable Violinenderwisch Warren Ellis, sind seit über 15 Jahren eine verschworene Gemeinschaft. Da kann man sich schon mal für die Aufnahmen Stones-mäßig in einem alten Herrensitz in Südfrankreich einmieten und sich von der dortigen Plattensammlung inspirieren lassen.

Den entspannten Spirit der Sessions fängt ein zehnminütiger Film ein, der vor dem Konzert gezeigt wird: Cave mit Textkladde und im Stehen, Sitzen, Liegen Gesangslinien testend, die anderen auf ihren Instrumenten improvisierend – tatsächlich ist „Push the Sky away“ ein Album, das trotz klarer Songkonturen den Geist des Abenteuers atmet. Das krawallige Brimborium, das seine letzten Alben durchzog, ist einem subtilen, maliziösen Groove gewichen, der schon die Werke um 1990 auszeichnete. Zu diesen wie mit edelstem Samt ausgeschlagenen Arrangements singt Cave so zärtlich, so suggestiv wie sehr lange nicht. Live stellen vor allem die auf Loops aufbauenden Songs wie „Wide Lovely Eyes“ oder „We Real Cool“ die sechs Seeds vor Herausforderungen, die man sonst eher von den Hinterbänklern eines Sinfonieorchesters kennt. Da müssen Aushilfsgitarrist Ed Kuepper, einst Mitglied der legendären australischen Punkband The Saints, oder der für die Mini-Tour heimgekehrte Ur-Seed Barry Adamson schon mal minutenlang tatenlos vor ihren Instrumenten ausharren, ganz zu schweigen von den fünf Streichern und dem achtköpfigen Kinderchor, die brav auf ihre Einsätze warten.

Beim Konzert wird das komplette Album gespielt

Aber das Zusammenspiel des immerhin 20 Seelen starken Patchwork-Ensembles ist nicht nur exzellent, die Truppe wird auch vom leutseligen Zeremonienmeister Cave aufs Galanteste umgarnt. Ein Höhepunkt des ersten Konzertteils, in dem das komplette Album in originaler Reihenfolge gespielt wird, ist der hypnotische Schleicher „Jubilee Street“, der zum furiosen Finale hin immer mehr Fahrt aufnimmt. Da hält es Cave kaum noch am Boden: „I’m transforming, I’m vibrating, I’m glowing, I’m flying“ schreit er immer entrückter und schleudert seinen spindeldürren Astralkörper artistische Verrenkungen. Auch der „Higgs Bosom Blues“, eine achtminütige surreale Litanei, bei dem das titelgebende Gottesteilchen, Luzifer und der (tot?) im Pool treibende Körper von Miley Cyrus in einem an Dylan erinnernden Gedankenstrom verstrudelt werden, hat das Zeug zum Klassiker. Nach einer knappen Stunde ist die Albumpräsentation vorbei. Den Reaktionen des fachkundigen Fanpublikums gemäß dürfte die Platte einen Ehrenplatz in Caves Œuvre einnehmen. Danach ist es Zeit für ein wenig Repertoirepflege. Der Meister lässt sich nicht lumpen und serviert lässig Highlights aus einem von schroffen Gegensätzen geprägten Gesamtwerk. Da reibt sich der rabiate Postpunk von „From Here To Eternity“ vom 1984er Debütalbum, zu dem Ellis wie ein irrer Dirigent vor dem Streichquintett rumspringt, am Zeitlupen-Glamrock des 20 Jahre jüngeren „O Children“. Da zerschellt das fragile „Love Letter“, bei dem Cave zum einzigen Mal in die Pianotasten greift, am destruktiven Todesblues „Your Funeral, My Trial“. Dass die Fans des 55-Jährigen mitgealtert sind, wird einem bei Krawallnummern wie „Deanna“ und „The Mercy Seat“, beide von „Tender Prey“, klar: Hierzu wären damals die Fetzen geflogen. Nun wird zwar die Faust oder das lichte Haupthaar geschüttelt, ansonsten aber ist gepflegtes Mitwippen der altersgemäße Ausdruck von Begeisterung. Zur plüschigen Palastatmosphäre passt der exquisite Schunkler „The Ship Song“ sowieso besser. Doch so gemütlich wollen wir nicht auseinander gehen. Drum schleudert uns Nick noch eine wutverzerrte Version von „Stagger Lee“ ins Gesicht, jener bitterbösen, zu den Urmythen der Popmusik gehörenden Mörderballade von einem so verdorbenen Erzschurken, dass ihn nicht mal der Teufel bremsen kann. Als der ihn aus seinem verderbten Erdendasein abholen will, ballert ihm Stagger Lee „four bullets in his motherfucking head“. Während Ellis ein letztes Höllensolo aus der Fiedel schabt, kotzt Cave eine Kaskade von Schimpfwörtern ins Mikrofon. Gut, dass der Kinderchor da bereits schlafen geschickt wurde. Tolle Platte, fantastisches Konzert. Der Cave-Man ist zurück.

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