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Woher kommst du? Kinder von Migrantenfamilien werden das immer wieder gefragt, obwohl sie hier geboren sind.

© dpa

Kultur: Nicht auffallen, hart arbeiten

Die neuen Deutschen: Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu sind Einwandererkinder, die den Aufstieg zu erfolgreichen Journalistinnen geschafft haben. In einem Buch erzählen sie nun, wie schwer es für Migranten ist, in der Bundesrepublik anzukommen.

Neulich bei Olympia: Der 22-jährige Augsburger Sideris Tasiadis sitzt im ARD-Studio und gibt Gerhard Delling ein Interview. Kurz zuvor hat er im Kanuslalom die Silbermedaille gewonnen. Höflich erzählt der junge Mann von seinen Gefühlen und seinem Sport. Gegen Ende des Gesprächs geht es plötzlich um seine Eltern, und Delling findet: „Das müssen wir vielleicht mal kurz erklären, das sind beides Griechen, aber Sie sind in Augsburg geboren und haben auch gleich gesagt, sie wollen definitiv für Deutschland starten.“

Deutsche Athleten, die nicht Müller oder Becker heißen, sind zwar spätestens seit Podolski, Özil und Co. nichts Neues mehr, dennoch geht es selbst bei Stars selten ohne öffentliche Herkunftsforschung ab. Das Gleiche erleben rund 16 Millionen weitere Menschen in diesem Land, die sich – oftmals von völlig Unbekannten – schon beim Kennenlernen die Frage „Woher kommst du?“ anhören müssen. Und jedes Mal schwingt dabei mit: Du gehörst hier nicht selbstverständlich dazu. Wie schmerzhaft und unverschämt diese Frage ist, davon vermitteln Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu in ihrem Buch „Wir neuen Deutschen“ ein anschauliches Bild. Die drei stammen aus Einwandererfamilien und sind Politikredakteurinnen bei der „Zeit“. Sie empfinden, dass sie trotz allem, was sie beruflich erreicht haben, „nicht Teil des Ganzen sind“. Es ist ein Gefühl des „Immer-anders-Bleibens“, das daher rührt, dass die deutsche Mehrheitskultur auf Eindeutigkeit fixiert ist und hybriden Biografien irritiert gegenübersteht. Das drückt sich auch in dem Begriff „Migrationshintergrund“ aus, den die Autorinnen als „merkwürdiges Wortungetüm“ bezeichnen.

Khuè Pham, 1982 in Berlin geboren, studierte an der Londoner School of Economics.
Khuè Pham, 1982 in Berlin geboren, studierte an der Londoner School of Economics.

© Verlag/Thies Rätzke

Sie schlagen stattdessen die Bezeichnung „neue Deutsche“ vor und schreiben: „Es ist kein Pass, der jemand zum neuen Deutschen macht, es ist nicht sein Erfolg oder das Ergebnis eines Einbürgerungstests – es ist ein Selbstbewusstsein, das wir genährt haben aus Wut und Stolz. Wut, weil wir das Gefühl haben, außen vor zu bleiben; weil es ein deutsches Wir gibt, das uns ausgrenzt. Und Stolz, weil wir irgendwann beschlossen haben, unsere eigene Identität zu betonen.“ Wie sich diese Identitäten bei Bota, Pham und Topçu entwickelt haben, erzählen sie in teils sehr persönlichen Anekdoten und Erinnerungen.

Mitunter wirkt das wie ein alternativer Blick auf die „Generation Golf“, deren bürgerliche Seite Florian Illies im Jahr 2000 so trefflich beschrieben hat. Allerdings gehen die Berichte der etwas jüngeren Autorinnen über reines Befindlichkeitsgeplauder hinaus, einfach weil ihren Familien die sorglose Selbstverständlichkeit im Land von Playmobil und „Wetten dass..?!“ fehlte. Wenn Özlem Topçu etwa die missglückten Bemühungen ihres Vaters beschreibt, sie für ein Karnevalsfest als Clown zu verkleiden, ist das zwar rührend, aber vor allem traurig. Denn es zeigt, wie ignorant die deutsche Gesellschaft gegenüber Gastarbeitern und ihren Kindern in den achtziger Jahren war. Keine Lehrerin, auch kein Elternteil kam auf die Idee, etwas für die türkischen Familien völlig Fremdartiges wie Karneval oder Wandertag zu erklären. Die Einwanderer waren lost in cultural differences.

Alice Bota, 1979 in Polen geboren, kam 1988 mit den Eltern nach Deutschland. F
Alice Bota, 1979 in Polen geboren, kam 1988 mit den Eltern nach Deutschland. F

© oto: Verlag/Thies Rätzke

Auf dieses Dilemma reagierten sie größtenteils mit einer Wegduck-Taktik nach dem Motto: Nicht auffallen und hart arbeiten. So war es auch bei den Akademikereltern der 1979 im polnischen Krapkwowice geborenen Alice Bota. Die Übersiedlung nach Deutschland war ein traumatischer Einschnitt im Leben des damals achtjährigen Mädchen, dessen Vornamen von Alicija zu Alice umgewandelt wurde – Ausdruck des hohen Anpassungswillens ihrer Eltern, die sich zunächst mit Hilfsjobs durchschlugen. In ihre Tochter, die bald besser Deutsch als Polnisch sprach, setzten sie große Hoffnungen.

Ähnliche Erfahrungen machte die in Berlin geborene Khuê Pham, deren vietnamesische Eltern ihr einschärften: „Du musst doppelt so viel leisten wie die Deutschen, weil du Ausländerin bist.“ Wenn die Tochter mit der Note Zwei nach Hause kam, waren sie unbeeindruckt, nur Einser zählten. So demonstriert das Buch, welch immenser Druck auf Einwandererkindern lastet, denn ihre Karrieren stehen immer auch stellvertretend für ihre Eltern.

Doch indem die Kinder diesen Aufstiegswünschen entsprechen und sich in die deutsche Kultur einfinden, entfernen sie sich gleichzeitig von ihren Eltern. Ein Gefühl der Zerrissenheit entsteht, und nicht selten kommt es zum Kulturkampf im Wohnzimmer, wenn Themen wie Ausgehen oder Übernachten bei Freunden anstehen. Alice Bota spricht vom Verrat an ihrer Heimat, weil sie „das Polnische in sich hergegeben hat“, womit vor allem das Vermeiden ihrer Muttersprache gemeint ist. Die Integration hat einen Preis, doch die Autorinnen beklagen sich nicht darüber. Sie konstatieren nur, wie es bei ihnen gelaufen ist. Dazu gehörte auch die Maxime „Scheitern ist keine Option“. Die Logik lautet: Wer etwas erreicht, hat das Recht, hier zu sein, wer dem Land etwas bringt, kann „deutsch“ sein.

Özlem Topcu, 1977 in Flensburg geboren. Auch sie kennt Wut und Stolz als identitätsstiftendes Lebensgefühl.
Özlem Topcu, 1977 in Flensburg geboren. Auch sie kennt Wut und Stolz als identitätsstiftendes Lebensgefühl.

© Verlag/Thies Rätzke

Das bedeutet auch, dass die Erfolglosen automatisch draußen bleiben. Sie sind immer die „Ausländer“, die „Migrantenkinder“, die „Anderen“ eben. Diese auch von Thilo Sarrazin popularisierte Aufspaltung lehnen die drei Journalistinnen ab, die sich auch nicht als positive Ausnahmen vereinnahmen lassen wollen. Stattdessen zeigen sie, wie unsinnig und gefährlich es ist, dass im letzten Jahrzehnt das „Fremde“ mit „Muslime“ gleichgesetzt wurde. Die Folge: „Weil viele Menschen Muslime nicht als Teil der Gemeinschaft sehen wollen oder können, werden deren Probleme, die eigentlich handfeste soziale sind, zu kulturellen gemacht. Wenn man die Probleme der Muslime als soziale anerkennen würde, müsste man akzeptieren, dass sie die gesamte Gesellschaft angehen.“ Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu tragen mit ihrem Buch jedenfalls zur Erhöhung der interkulturellen Kompetenzen bei. Und es wäre schon ein Erfolg, wenn ihre biodeutsche Leserschaft die reflexhafte „Woher stammst du?“-Frage etwas seltener stellt. Nadine Lange

Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu: Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen. Rowohlt-Verlag. 175 Seiten, 14,95 €.

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