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Schönheit des Banalen. Susanne Hefti fotografiert Tankstellen.

© Susanne Hefti

Newcomer der Fotografie in Berlin: Kapitalismuskritik statt Selfies

Das Haus am Kleistpark zeigt junge Dokumentarfotografinnen. Ihre Bilder stellen vielschichtige Fragen an unsere Gesellschaft.

Von Jonas Bickelmann

Die Fotografin Susanne Hefti hat sich als Motiv ihrer Dokumentarfotografie etwas ausgesucht, das es überall gibt, und das überall gleich aussieht: Tankstellen. Etwa 200 davon hat sie mit ihrer analogen Kamera fotografiert, alle befinden sich im Kosovo.

Kaum etwas scheint so eigenschaftslos wie eine Tankstelle, aber Heftis Aufnahmen vermitteln trotzdem eine starke Aussage: Gerade die Austauschbarkeit macht diese Orte der Dokumentation würdig.

Hefti ist eine von acht jungen Fotografinnen und Fotografen, deren Werke bis zum, 8. März im Haus am Kleistpark gezeigt werden. Alle zwei Jahre fördert die Wüstenrot-Stiftung vier junge Fotografen mit einem Stipendium. In der Ausstellung sind die Jahrgänge 11 und 12 zu sehen.

Auffällig: Viele der Bilder zeigen kaum Menschen. Verlassene Tankstellen von Hefti, menschenleere Unterkünfte für Geflüchtete, fotografiert von Alina Schmuch und Franca Scholz und Archivaufnahmen vermeintlicher Fluchtorte aus der DDR, ausgewählt von Jens Klein – ganz ohne Flüchtende.

Diese Arbeiten wirken wie eine Antithese zum Nachrichtenbild oder zur allgegenwärtigen Selfie-Kultur in den sozialen Medien.

Kapitalismuskritik auf dem Flachbildschirm

Susanne Heftis Aufnahmen entfalten vor allem im Nach- und Nebeneinander der grellbunten Tankstellendächer ihre inhaltliche Stärke. Plötzlich fällt ins Auge, dass sie nicht zu den großen Ölketten der Welt gehören, sondern andere Namen tragen: „Euro Benz“, „Bingo Benz“, „Petrol Company“, „Rama-Petrol“, „Al-Petrol“.

Und wenn sie Preisanzeigetafeln haben, steht darauf bei jeder Spritsorte „0,00“ oder „Welcome“.

Der bekannteste fotografische Referenzpunkt dürfte Ed Ruschas Serie „Twentysix Gasoline Stations“ von 1963 sein. Der Fotograf dokumentierte Tankstellen zwischen Los Angeles und Oklahoma City in einem Buch.

Heftis Medium hingegen sind zwei Flachbildschirme. Bei der jungen Fotografin tritt damit ein kapitalismuskritischer Kommentar in den Vordergrund. Plötzlich laufen über Bildschirme keine Werbebotschaften oder Ankündigungen, sondern eine sonst kaum beachtete Infrastruktur erhält neue Aufmerksamkeit.

Umgang mit Geflüchteten ist auch ein Thema

Hefti schildert im begleitenden Text, welche Geschichten im Kosovo über die Tankstellen kursieren: Sie dienten der Geldwäsche, seien Treffpunkte für Verbrecher und die dazu gehörenden Motels seien Schauplatz von Prostitution und Ehebruch.

Überhaupt gebe es im Kosovo erstaunlich viele Tankstellen: 1500. Bei den 1,8 Millionen Einwohnern kommt so eine Tankstelle auf 1200 Menschen. In Deutschland müssen sich etwa 5500 eine teilen.

Die ausstellenden Künstlerinnen haben sich für ihre Dokumentationen Zeit genommen, das sieht man den Aufnahmen an. Besonders interessant ist das Ergebnis, wenn sich Alina Schmuch und Franca Scholz so einem der größten Konfliktthemen unserer Zeit widmen: dem Umgang mit Geflüchteten ab 2015.

[Haus am Kleistpark. Di bis So 11-18 Uhr. Eintritt frei. Ausstellungsrundgang mit Kuratorinnen und Künstlern am 8. März um 15 Uhr.]

Sie zeigen nicht die Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, sondern leerstehende Büros wie das ehemalige Mannesmann-Gebäude oder den Flughafen Tempelhof, die zu Unterkünften für die Geflüchteten wurde.

Damit gelingt ihnen eine überraschende Verschiebung. Wo im nachrichtlichen Journalismus immer wieder sinkende Boote und verzweifelte Menschen zu sehen waren, rückt auf einmal in den Fokus, richten die Fotografinnen ihren Blick auf die deutsche Gesellschaft.

Anderer Fokus. Alina Schmuch zeigt Unterkünfte für Geflüchtete. Und stellt damit größere Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang.
Anderer Fokus. Alina Schmuch zeigt Unterkünfte für Geflüchtete. Und stellt damit größere Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang.

© Alina Schmuch

Schmuch und Scholz dokumentieren auch gegen Geflüchtete gerichtete Demonstrationen und Anwohner, die Unterkünfte vor dem Bezug besichtigen. Die Aufnahme der Geflüchteten wird so als politische Frage sichtbar, die weit über individuelle Schicksale hinausgeht.

Die Fotografinnen sind in der Lage, mit ihren Bildern zu zeigen, dass der Diskurs komplexer war, als oft dargestellt. Es geht nicht allein um flüchtende Menschen und um Hilfsbereite. Die Rollen sind vielschichtiger. Hefti, Schmuch und Scholz haben bewusst auf die Darstellung von Menschen verzichtet.

Joscha Steffens Arbeit „Nexus“ zeigt die Gesichter junger Menschen, oft sehr dunkel, stark verpixelt – auch hier das Gegenbild des perfekt ausgeleuchteten Selbstporträts. Die Menschen auf Steffens Fotos sind professionelle Computerspieler.

Split-Screen, Split-Self. Ein E-Sportler nach einer Partie.
Split-Screen, Split-Self. Ein E-Sportler nach einer Partie.

© Joscha Steffens

Der Fotograf deutet diese Szene als quasi-religiös. Auf den Porträts kommen die Gamer gerade zurück aus ihrer Avatar-Identität im Computerspiel.

Ihm gelingt eine Abbildung der Schwelle zur Virtualität – und zugleich ein subtiler Kommentar zum Leistungssport Gaming.

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