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Schlichte Gestaltung wie immer. Das Cover der jüngsten Ausgabe.

© nybooks.com

"New York Review of Books": Doppelt hält besser

Nach dem Abgang von Ian Buruma: Die "New York Review of Books" bekommt eine neue Doppelspitze. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Fast ein halbes Jahr lang herrschte Totenstille. Nachdem die „New York Review of Books“ (nybooks.com) im vergangenen September unter dem Druck von innen und außen ihren Chefredakteur Ian Buruma vom Hofe gejagt hatte, sah es so aus, als würde die Stelle erst einmal verwaist bleiben. In einer Ausgabe mit dem Schwerpunkt „The Fall of Men“ hatte Buruma einen Text des kanadischen Popmusikers und Moderators Jian Gomeshi ins Blatt gebracht, von dem sich Teile der Redaktion und eine damit vorab online konfrontierte Leserschaft vor den Kopf gestoßen fühlten.

Der wegen sexueller Übergriffe in mehreren Fällen angeklagte, vor Gericht aber freigesprochene Gomeshi beklagte nicht ohne Selbstmitleid die Verstoßung aus allen beruflichen und sozialen Zusammenhängen. Sein Essay war, so fragwürdig er sein mochte, ein Dokument. Als solches verteidigte es Buruma mit einer Hartnäckigkeit, die man ihm als schwerwiegende Unsensibilität auslegte. Nur 16 Monate nach seinem Amtsantritt war die „NYRB“, die Robert B. Silvers von ihrer Gründung im Jahr 1963 an bis zu seinem Tod im März 2017 geleitetet hatte, die ersten vier Jahrzehnte davon zusammen mit der 2006 verstorbenen Barbara Epstein, wieder führungslos.

Die „NYRB“ ist nicht nur eine Legende, die Martin Scorsese und David Tedeschi in der HBO-Dokumentation „The 50 Year Argument“ in ihrer ganzen intellektuell stimulierenden Unberechenbarkeit porträtierten. Sie ist, obwohl sie sich äußerlich im vierspaltigen Umbruch mit sparsamen Illustrationen kaum verändert hat, vor allem eine hochlebendige Zeitschrift. Mit einer weltweit verbreiteten Auflage von rund 150 000 Exemplaren im Druck und als E-Paper hat sie ein ungewöhnlich treues Publikum – und in der erschöpfenden Breite und Sorgfalt, mit der sie ihre politischen und kulturellen Themen verhandelt, wenig Konkurrenz.

Selbstzerstörung anderer Blätter

Der „New Yorker“, die andere große US-Legende, setzt als Magazin auf die elegante Reportage, während die „NYRB“ aus der Rezension aktueller Bücher heraus essayistische Welten baut. Die über 100 Jahre alte „New Republic“ ist schwer gezaust, seit Facebook-Mitbegründer Chris Hughes sie 2012 kaufte und gegen den Widerstand der Redaktion zu einem Multimedia-Organ umbaute. Er verlor dabei auch den charismatischen Starkritiker Leon Wieseltier, der 2017 seinerseits alle Jobs verlor, als er die sexuelle Belästigung von früheren Mitarbeiterinnen eingestehen musste. So fand auch Wieseltiers Zeitschrift „Idea“ kurz vor Veröffentlichung der ersten Nummer ein abruptes Ende. Und „n+1“, lange als jugendlicher Gegenentwurf zur „NYRB“ gerühmt, gehört mittlerweile zur normalen Vielfalt der amerikanischen Magazinlandschaft.

Zumindest was Altersfragen betrifft, muss sich die „NYRB“ vorerst keine Gedanken machen. Mit der 32-jährigen Emily Greenhouse und dem 33-jährigen Gabriel Winslow-Yost präsentierte der 74-jährige Eigentümer und Verleger Rea Hederman am vergangenen Montag eine neue Doppelspitze, die an das seinerzeit ungefähr ebenso alte Duo Epstein-Silvers anknüpfen soll. Beide waren Assistenten von Bob Silvers. Während Winslow bei der „NYRB“ blieb und dort ein Comics-Imprint gründete, machte sie zuletzt einen mehrjährigen Umweg über den „New Yorker“. Als Editor-in-large steht den beiden Literaturwissenschaftlern Daniel Mendelsohn zur Seite, ein langjähriger Autor des Blattes, der schon als Nachfolger von Silvers gehandelt worden war. Mit Ian Buruma teilt der Altphilologe, dessen hinreißendes Memoir über seinen Vater und Homers Odyssee gerade auf Deutsch im Siedler Verlag erschienen ist, unter anderem einen Job am Bard College in Upstate New York.

Ob sie größere Eingriffe für nötig halten, muss sich zeigen. Mit einem eigenen täglichen Online-Angebot ist die „NYRB“ neben den mehrheitlich bezahlpflichtigen Angeboten aus dem Hauptblatt auch im Netz gut sichtbar. Ohnehin muss man der „NYRB“ zubilligen, dass sie in ihrer kopflosen Zeit nicht weniger Aufregendes für den Kopf hergestellt hat als zuvor. Das sollte für die Neuen wenigstens eine kleine Beruhigung sein.

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