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Die Größte von allen. Fran Lebowitz stilisiert sich auch gern als Mode-Ikone.

© Rowohlt/Brigitte Lacomb

New York-Legende Fran Lebowitz: Austeilen nach allen Seiten

Fran Lebowitz lebt und liebt New York. Nun ist die blitzgescheite Autorin mit dem scharfen Humor in den USA auf Tour. Besuch ihres Heimspiels in der Town Hall.

Fran Lebowitz ist die sprichwörtliche in die Jahre gekommene New Yorkerin: hellsichtig, scharfzüngig, nie um das letzte Wort verlegen. Gerade ist die 71-Jährige in den USA auf Tour. Dabei promotet sie ihren auf Deutsch im März bei Rowohlt erschienenen Reader „New York und der Rest der Welt“.

In New York City gab sie Heimspiele in der zweimal ausverkauften Town Hall nahe des Theaterdistrikts, 1921 von Suffragetten ins Leben gerufen. 1500 Fans, die 80 Dollar und mehr bezahlt hatten, um dabei sein zu dürfen, bejubelten die Lebowitz-typische Mischung aus satirisch zugespitzten politischen und sozialen Kommentaren zum Zeitgeschehen und einem Hauch von Stand Up-Comedy.

Aus dem Stehgreif variiert sie ihre bereits 1978 formulierten Grundthesen

Sie geißelt den „wirklich dummen“ Ex-Präsidenten Donald Trump und sein katastrophales Handling der Corona-Pandemie. Kaum ein gutes Haar lässt die „lebenslange Demokratin“ aber auch an Joe Biden, obwohl sie ihm bisher einen guten Job bescheinigt. „Zu alt“ sei der 79-jährige amtierende Präsident, genauso wie Nancy Pelosi, die 82-jährige Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Dem noch recht frischen New Yorker Bürgermeister Eric Adams, auch er ein Demokrat, der gerade an den Fronten Gewaltkriminalität und Obdachlosigkeit hart durchgreift, wirft sie einen „Trump-ähnlichen Führungsstil“ vor. Dem wegen Vorwürfen sexueller Belästigung im Sommer zurückgetretenen Andrew Cuomo, den sie noch nie ausstehen konnte, aber gewählt hat, attestiert sie gute Chancen, seinen alten Job als Gouverneur zurückzuerobern, sollte er sich auf den letzten Metern noch als unabhängiger Kandidat ins Rennen werfen - wonach es derzeit aussieht. Wer kenne schon Kathy Hochul? Keiner wisse, wofür die amtierende demokratische Gouverneurin des Staates New York mit den bisher größten Wahlchancen eigentlich steht.

Fran Lebowitz teilt nach allen Seiten aus. Sie tönt, wie die Kurzkommentarspalten eines allerdings linken Boulevardblattes, das es in Amerika so nicht gibt. Was sie zur Cancel Culture zu sagen hat, bleibt indes vage. „Manchmal erwischt es auch die Falschen, meistens aber nicht.“ Sie verknüpft den Kulturkampf mit der Me Too-Bewegung und deren Erfolgen: „Harvey (Weinstein) ist im Knast!“ Sie habe immer schon von dessen sexuellen Vergehen gewusst, und: „Ich kenne fast alle 40 Männer, die bisher überführt wurden, persönlich.“

Im New Yorker Gespräch, am ersten Abend mit dem Dramatiker, Regisseur und Schauspieler Wallace Shawn und am zweiten mit Regisseur Martin Scorsese, dessen vor einem Jahr bei Netflix gezeigten Serie „Pretend it’s a City“ sie ihr gigantisches Comeback zu verdanken hat, schlägt Fran Lebowitz bereits geschickt Bögen zu ihrem Reader. Sie variiert aus dem Stehgreif ihre bereits 1978 in „Metropolitan Life“ und dann in "Social Studies“ (1981) dargelegten Grundthesen und Lieblingsmotive.

Diese beiden Standardwerke mit halbernsten Anleitungen zum Überleben in New York. Sie basieren überwiegend auf Geschichten, die sie für Andy Warhols Zeitschrift „Interview“ verfasste.

Fran Lebowitz im Gespräch mit Martin Scorsese (links).
Fran Lebowitz im Gespräch mit Martin Scorsese (links).

© Imago

Da geht es um gute Kunst und schlechte Kunst von Frans Gnaden, ihre vehemente Ablehnung von elektronischen Geräten aller Art (Computer, Fernsehgerät, heute: Handy), ihren Hass auf After-Shave-Lotion, Gepäckbänder an Flughäfen und Zimmerpflanzen. Sie gibt Leitfäden für angehende Erbinnen, Päpste und Hausbesitzer – in New York City ein heikles Thema, denn der ungeheure Reichtum einer kleinen Oberschicht hat die Stadt nachhaltig verändert und die Mieten in Manhattan, auf Fran Lebowitz’ Grund und Boden, ins Unermessliche steigen lassen.

Es scheint keinen zu stören, dass die Erkenntnisse der in New Jersey geborenen und aufgewachsenen, aber seit ihrem jugendlichen Ausbruch in Greenwich Village beheimateten Stilikone im Kern schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Ein mehrheitlich weißes, linksliberales Mittelklassepublikum goutiert sichtlich die Reminiszenzen an eine Zeit, als sich noch Barden, Beat-Poeten und bildende Künstler, die wirklich etwas zu sagen hatten und allesamt Motor der zeitgenössischen Künste wurden, im Village trafen und Projekte ausheckten, deren Folgen heute Kanon sind. Im Publikum wird auch die enge Verknüpfung der offen lesbischen Fran Lebowitz mit der queeren Protest- und Kunstszene deutlich. Viele der begabtesten Talente aus der Community sah sie in den Hochzeiten der Aids-Pandemie sterben.

Sie empfiehlt „Harlem Shuffle“ von Colson Whitehead

Fran Lebowitz steht bis heute konsequent für einen etwas anderen New York State of Mind als den von Billy Joel mit Massenappeal bei der hart arbeitenden Bevölkerung hymnisch besungenen. Sie kokettiert damit, nie vor Mittag das Bett zu verlassen und rekurriert auf nächtliche Stadtgänge, die seit Gentrifizierung und Corona nunmehr erschwert seien, weil kaum noch Bars und Restaurants wie in früheren seligen Zeiten durchgehend geöffnet sind. Dabei braucht die bekennende Nicht-Köchin die Gastronomie und das gesellige Beisammensein mit ihresgleichen.

Die im Zuge der Pandemie entstandenen holzgezimmerten Buden im Außenbereich, denen gerade der Fortbestand zugesichert wurde, kann sie allerdings nicht ausstehen. Die zögen nur die Ratten an und verhinderten, dass sie auf der Straße in Ruhe rauchen könne.

Fran Lebowitz schmückt sich mit ihrer seit Jahrzehnten andauernden Schreibhemmung, die belletristische Großtaten wie einen für spätestens 2004 angekündigten Roman bislang verhindert haben. Aber sie liest ununterbrochen und hortet in ihrer Wohnung 10.000 Bücher. Aktuell empfiehlt die jahrzehntelange enge Freundin von Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison „Harlem Shuffle“ von Colson Whitehead. Obwohl er damit den Pulitzer Preis gewonnen hat, was sonst eher nicht für Qualität spräche. Und Whiteheads Harlem eigentlich auf einem anderen Planeten liegt als die ihr vertraute Bubble im West Village.

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Offensiv propagiert Fran Lebowitz, die Marlboro-Light-Abhängige, das Rauchen im öffentlichen Raum. So eine Position ist mutig in New York, wo überall und seit der kürzlichen Legalisierung noch massiver, schwere Marihuana-Schwaden auch Nichtuser einlullen, Tabakkonsum aber verpönt ist.

Ihr Auftreten ist auf sympathische Art aus der Zeit gefallen. Fran Lebowitz gönnt sich seit Jahrzehnten ein Outfit aus maßgeschneiderten Herren-Jacketts, weißem Hemd, Jeans und Cowboystiefeln. Das war dem Trend-Magazin „Vanity Fair“ noch 2007 eine Anerkennung als eine der „most stylisch women“ wert. In dieser Gewandung stiefelt sie jetzt auf die Bühne und wird bejubelt wie eine Erscheinung aus dem guten alten noch intakten stilprägenden New York – ohne allzu viele störende Touristen, ohne die wiedergekehrten Heere der Obdachlosen, ohne sprunghaft angestiegene Gewalt- und Mord-Statistik.

Ein Abend mit Fran Lebowitz ist wie ein Weihefest für eine längst geplatzte Blase, an die man sich aber sehnsüchtig erinnert und deren Meriten eingeweihte New Yorker gerne hochhalten. Erstaunlich ist allerdings, dass diese nachgerade rituellen Beschwörungen der Artsy City New York auch andernorts Publikum ziehen. In den Vereinigten Staaten etwa in Chicago, Houston und Jersey City, dann auf Tour in Großbritannien und bestimmt auch bald in Berlin.

Mit Fran Lebowitz hat eine neue New York-Renaissance begonnen. Der vielfach gebeutelten Metropole tut das bestimmt gut.

Ute Büsing

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