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Computer aus. Gestrandete Passagiere auf dem Flughafen Barcelona.

© Lluis Gene/AFP

„New Dark Age“ von James Bridle: Tod durch GPS

Der britische Künstler und Autor James Bridle beschreibt in seinem Buch „New Dark Age“, wie verhängnisvoll die zunehmende Abhängigkeit von der Software ist.

Man kennt ihn vielleicht wegen seiner Faszination für Drohnen. James Bridle, britischer Künstler und Autor, hat die Umrisse der unbemannten Flugkörper mit kräftigem weißen Strich auf Straßen und Plätzen fixiert: Sie sind da, auch wenn man sie nicht sieht.

Der Mann ist nicht bloß ein politischer Künstler. Er hat laut seiner Internetseite Computer Science und Cognitive Science in London studiert und über künstliche Intelligenz promoviert. Beides gemeinsam – künstlerische Begabung und analytischer Verstand – sind in dem Buch „New Dark Age“ zu einem faszinierenden Text geworden. Denn schreiben kann Bridle auch und, seinen Thesen zum Trotz, durchaus erheiternd.

Gewiss: Sein Ausgangspunkt ist, wie bei so vielen Autoren, eine weit ins Politische hineinreichende Technikskepsis. Wie der Klimawandel habe auch die Technologie alle Lebensbereiche erfasst, schreibt er. Diese Entwicklung sei „katastrophal“ und „eine Folge der Unfähigkeit, die Unruhe stiftenden und vernetzten Ergebnisse unserer eigenen Erfindungen zu begreifen“. In seiner Skepsis ähnelt Bridles Buch dem Standardwerk von Evgeny Morozov, der in „Smarte neue Welt“ 2013 dargestellt hat, wie das Netz die Freiheit verändert und begrenzt.

Morozov kritisierte damals den Datensammelwahn, die Bequemlichkeit und die Naivität derer, die den segensreichen Folgen der Digitalisierung bis hin zu angeblich demokratiefördernder Wirkung das Wort redeten. Bridle will sechs Jahre danach auf etwas anderes hinaus.

Die Technologie von heute, ihre weltverändernde Wirkung und ihre Verortung in der „Cloud“ führe die Menschen nicht zusammen, sondern vertiefe die Abstände zwischen ihnen. Er bringt dies auf Begriffe wie „schwindender Konsens“, „versagende Wissenschaft“, „reduzierte Vorhersagehorizonte“ und „öffentliche und private Paranoia“.

Die Gefahren von zu großem Vertrauen in rechengenerierte Information

Das alles sollen Folgen hocheffektiver Rechnertechnologien sein? Für James Bridle sind es die Konsequenzen eines Weltverständnisses, das nicht auf der Höhe der Technologie ist, weil es der Technologie zu sehr vertraut. Ein Beispiel aus dem Luftverkehr, einem extrem auf die Rechenleistung von Computern angewiesenen Netzwerk: Flughäfen sind zu Gebäuden geworden, die ohne funktionierende Computerisierung schlagartig ihren Zweck verlieren.

Ein Check-in wäre beim Ausfall der Rechner so wenig möglich wie eine verlässliche Sicherheitskontrolle, an der man sich mit seinem Reisepass oder Personalausweis identifizieren kann. „Der einzig akzeptierte Gebieter über diesen Vorgang ist die Software“, schreibt James Bridle: „Infolgedessen annulliert ein Softwareausfall den Status des Gebäudes als Flughafen und verwandelt es in einen riesigen Schuppen voller wütender Menschen.“

James Bridle, offenbar fasziniert von flugfähigen Maschinen, bringt zur Stärkung seiner These weit spannendere Beispiele als Google mit seinem De-facto-Monopol oder Facebook, das „die gesellschaftlichen Beziehungen unwiderruflich umgestaltete“. Eindrücklicher sind Bridles Beispiele vom „automation bias“, einer Haltung, bei der Menschen einer automatisierten, rechnergenerierten Information höheren Wert beimessen als ihrer eigenen Wahrnehmung. Das kann tödlich enden – wie für die Passagiere eines Flugzeugs, das 1983 von der sowjetischen Luftwaffe abgeschossen wurde.

Der Autopilot versagte, doch die Crew ignorierte eine Reihe von klaren Hinweisen darauf, bis hin zum schlechten Funkverkehr durch den Kurswechsel, der aus dem sicheren Luftraum hinausführte. Andere tragische Irrtümer, etwa im Death Valley in der kalifornischen Mojave-Wüste, haben laut Bridle dazu geführt, dass die Ranger dort „Tod durch GPS“ vermerken: So kann es kommen, wenn man sich im ungeeigneten Fahrzeug und ohne ausreichende Wasserversorgung allein vom Navigationssystem leiten lässt. Die seit Langem herrschende Tendenz: „Berechnung ersetzt bewusstes Denken.“

Eine Welt aus „Stahl und Draht“

Wohin Technikgläubigkeit und ein schwindendes Weltverständnis führen können, untersucht Bridle an zehn Begriffsfeldern, darunter „Klima“, „Komplexität“, „Konspiration“ und „Cloud“. Eher schlicht und dennoch erwähnenswert ist der Zusammenhang zwischen dem Energieverbrauch des Internets und der Stromerzeugung. Das endlose Streamen von Serien gehört, so gesehen, nicht zu den umweltfreundlichsten Freizeitbeschäftigungen.

Faszinierender sind Bridles Gedanken zur zunehmenden Komplexität der Welt durch ihre Vernetzung. Schließlich besteht sie aus „Stahl und Draht“, wie Bridle schreibt – es ist eine in gut gesicherten Hallen und auf Büroetagen untergebrachte Infrastruktur.

Im Zuge eines Kunstprojekts erforschte Bridle in Tagestouren das „System der Überwachungseinrichtungen“, die die Londoner City kontrollieren. „Auf zwei ganztägigen Spaziergängen fotografierte ich mehr als 1000 Kameras und musste dafür auch noch eine Festnahme und eine polizeiliche Verwarnung erdulden.“ Bedeutet Sicherheit, stets gesehen und bald mit Leichtigkeit elektronisch identifiziert zu werden?

Und doch ist das „New Dark Age“ kein apokalyptisches, sondern ein bewegendes Buch. Gerade Bridles Faszination für Technik, Wissen, Nachdenken machen Mut, „dass wir unser Augenmerk auf das Hier und Jetzt richten und nicht auf die illusorischen Versprechungen computergestützter Vorhersage, Überwachung, Ideologie und Repräsentation“.
[James Bridle: „New Dark Age. Der Sieg der Technologie und das Ende der Zukunft.“ Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2019. 320 S., 25 €.]

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