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Vor den digitalen Urlaubsansichten sieht auch Poirot (Kenneth Branagh) plötzlich winzig aus.

© Disney

Neuverfilmung von "Tod auf dem Nil": Die Rückkehr der Mumie

In Kenneth Branaghs Neuverfilmung des Agatha-Christie-Klassikers „Tod auf dem Nil“ ist Meisterdetektiv Hercule Poirot nur Statist.

Als Kenneth Branaghs „Mord im Orient-Express“ vor vier Jahren herauskam, diagnostizierte die „Vanity Fair" einen schwer missratenen Kriminalfilm. Die Hauptfrage dieses Genres lautet gewöhnlich: Whodunit? Der Kritiker ermittelte Regisseur und Poirot-Darsteller Branagh eindeutig als Hauptschuldigen dieses cinematografischen Übergriffs auf das Werk Agatha Christies. Doch Branagh hatte Komplizen. Mit Hilfe seines Drehbuchautors Michael Green und seines Art-Directors sei es ihm gelungen, aus der Vorlage „ein aufgeblasenes Projekt der Eitelkeit“ zu machen.

Sollte es alte Kritiken geben, die bereits die Filme der Zukunft besprechen? Denn „Mord im Orientexpress“ war vergleichsweise kurzweilig, hatte mitunter sogar Esprit. Schon als der Film noch gar nicht in den Kinos war, drohte der Regisseur, weiter zu machen. 55 Millionen Dollar hat er gekostet, über 350 Millionen spielte er ein, weltweit.

Dieser Film ist genauso manieriert wie der Bart des Protagonisten

Bei „Tod auf dem Nil“ haben wir es also in jeder Hinsicht mit einer Wiederholungstat zu tun. Alles ist größer geworden diesmal: neben Budget und Opulenz auch die latente Langeweile des Zuschauers. Und Kenneth Branaghs Schnurrbart! Doppelt nach oben gezwirbelt an beiden Seiten. Hat also vier Enden. Der Befund lautet: „Tod auf dem Nil“ ist genauso wie der Bart des Hercule Poirot, ungemein ambitioniert ins Leere zielend.

In der kongenialen Verfilmung von 1978 war Sir Peter Ustinov der Meisterdetektiv Hercule Poirot. Es ist schon verrückt, gegen Ustinov antreten zu wollen. Der bespielte mindestens drei Ebenen auf einmal, Branagh nur eine. Für einen Poirot ist das zu wenig.

Allerdings trägt Agatha Christie eine Mitschuld am Debakel. Das halbe Buch, ist schon vorbei, und es gibt noch immer keine Leiche. Die Autorin überspielte dies, in dem sie die Geschichten der späteren Nilkreuzfahrer erzählte. Auch in John Guillermins Verfilmung von 1978 vergaß man über den Konstellationen der Beteiligten beinahe, dass die Hauptzutat noch fehlte.

Partner wechsel dich - ein Tanz genügt

Ein nicht sehr reiches Mädchen liebt einen nicht sehr reichen jungen Mann und hofft, dass ihre vermögende Freundin das Paar etwas sponsort, doch kurz darauf sind ihr Verlobter und die vermögende Freundin ein Paar. Das ist der Anlass für die Hochzeitsreise ins Reich der Toten. Eins muss man Branagh lassen. Die Beweislast dieses folgenschweren Partnerwechsels übergibt er einem einzigen Tanz, nein zwei Tänzen: Einer ist so erotisch wie der andere.

Zuerst tanzt Emma Mackey als Jacqueline de Bellefort mit Armie Hammer als Simon, dann hält er Gal Gadot als Millionenerbin Linnet Ridgeway Doyle im Arm. Bei einem Walzer wäre gewiss nichts geschehen, aber den Londoner Club der 1930er Jahre dominiert eine einzige Stimme, die der schwarzen Sängerin Salome Otterbourne (großartig: Sophie Okonedo). In ihr liegt die kürzestmögliche Übersetzung der Sprache der Erotik in die der Musik. Ein Mann verlässt eine Frau also binnen eines einzigen Tanzes und wir sehen es zugleich in Emma Mackeys Augen.

In „Mord im Orientexpress“ waren die glänzendsten Namen des internationalen Kinos beteiligt von Penélope Cruz bis zu Johnny Depp. Armie Hammer ist dagegen inzwischen ein beschädigter Name, die Vorwürfe mehrerer Frauen gegen ihn reichen von „emotionalem Missbrauch“ bis zu Vergewaltigung.

Endlich ist die Leiche da. Aber es ist beinahe egal

Vielleicht hätte auch Branagh Hammer fallen gelassen, wäre der Film nicht schon fertig gewesen. Der verlassenen Jackie widerfährt ebenfalls emotionaler Missbrauch, gewiss. Und weil sie nicht glauben kann, was ihr geschah, verfolgt sie das Paar bis an den Nil. Vielleicht weiß es ohnehin jeder, aber der Vollständigkeit halber sei es erwähnt: Die sich ewig verfolgt fühlende Millionenerbin Linnet Ridgeway Doyle ist schließlich die Leiche, aber da ist es schon beinahe egal.

Zur Rechtfertigung lässt sich überhaupt nur eines sagen: Keine Nilkreuzfahrt könnte es mit den Panoramen dieses Films aufnehmen. Dagegen wirken die An- und Aussichten in der Verfilmung von Guillermin wie eine Elbe-Schiffsreise zwischen Coswig und Wittenberge. Branaghs Komplizen sind wieder die gleichen. Green hat das Drehbuch geschrieben, Haris Zambarloukos war der Kameramann. Er ist der Zirkusartist unter den Kameraleuten.

Die Perspektivwechsel sind enorm. Wir befinden uns am Grund des Flusses und im nächsten Augenblick hoch über ihm, sehen das blaue Band mit dem schmalen grünen Küstenstreifen Richtung Khartum laufen. Schon in „Mord im Orientexpress“ meinte man Istanbul und die Karpaten zum ersten Mal wirklich zu erblicken. Oder vielmehr: ihren Mythos.

Natürlich ist in beiden Filmen so gut wie nichts echt, sieht dafür aber umso echter aus – dank Computertechnik. Das Filmteam war nie in Ägypten ( zu unberechenbar seit 2011), man drehte in den Longcross-Studios bei London. 16 Wochen soll der Nachbau des Tempels von Abu Simbel gedauert haben. Und der Dampfer „Karnak“ lag in einem riesigen Wassertank, konnte allerdings weder richtig schwimmen noch manövrieren. Doch was für ein Schiff! Dagegen wirkt Branaghs Poirot wie ein Statist im eigenen Film. Gegen die Ausstattung hat das Ensemble keine Chance. „Tod auf dem Nil“ bekommt selbst etwas Ägyptisches, Totenreichhaftes. Um nicht von einer cinematografischen Mumie zu sprechen.

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