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Von Doo-Wop bis Soul. Das junge Ensemble der Frankie-Valli-Show in der Bar jeder Vernunft.

© Janek Coppenhagen

Neustart in Bar jeder Vernunft: Berlin Boys - Show mit den Hits von Frankie Valli

Tipi am Kanzleramt und Bar jeder Vernunft spielen wieder: Michael Hellers Feelgood-Show „Oh what a Night!“ feiert den Sixties-Sound von Frankie Valli.

Dieser Donnerstagabend hat schon zu Beginn sein Happyend. Einfach, weil er stattfinden kann. Fünfzehn Monate nach dem ursprünglichen Premierentermin steigt die dreimal verschobene Eigenproduktion der Bar jeder Vernunft „Oh what a Night!“.

Die meisten der „Greatest Unknown Hits“ von Frankie Valli, die das Gesangsquartett begleitet von einer fünfköpfigen Band darbietet, entpuppen sich schnell als Ohrwürmer. Nur, dass sie das vergnügungshungrige Publikum – einziger Wermutstropfen der Feelgood-Show – nicht mitsingen darf. Verboten. Aerosole!

Anders als in Wembley singt keiner mit

Anders als im Wembley-Stadion klappt das hier auch. Wie der ganze hygienische Impf-, Test- und Identitätsnachweis-Parcours im Garten der Bar jeder Vernunft. Nie gab es im notorisch kuscheligen Spiegelzelt neben dem Haus der Berliner Festspiele so viel Sitzfreiheit wie jetzt.

Die ausgedünnte Platzanzahl des Hygienekonzepts erlaubt gerade mal 104 der sonst üblichen 230 Sitze. Im Schwesterzelt, dem Tipi am Kanzleramt, das parallel den seit November eingestellten Amüsierbetrieb wieder aufnimmt, sind es derzeit 225 statt 530 Plätze.
Als dann noch Impresario Holger Klotzbach bei der freudig erregten Begrüßung des wiedergekehrten Publikums Ionisierungsanlage und Belüftungstechnik preist, fühlt man sich sicher wie in Abrahams Schoß. Ein wichtiger Faktor für kleine Privatspielstätten, die auch im Herbst auf die Traute der Leute bauen.

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Und weiterhin auf die Überbrückungshilfen des Bundes und des Berliner Senats, für die sich Holger Klotzbach ausführlich bedankt. „Ohne diese großzügige Unterstützung gäbe es die beiden Zelte nicht mehr“, sagt er und freut sich, niemand aus seiner Truppe habe kündigen müssen und seinerseits von niemandem eine Kündigung erhalten zu haben.

Junge Talente machen lassen

Nach dieser herzerwärmenden Vorrede kann die Gaudi losgehen. Das Best-of-Frankie-Valli-Minimusical hat der Berliner Musicalmacher Michael Heller ausgeheckt und inszeniert. Zusammen mit dem Choreografen Christopher Bolam und Lutz Deisinger, dem Künstlerischen Leiter von Bar und Tipi, der die jungen Talente machen ließ.

Dafür, dass die falsettigen Songs von Frankie Valli und seiner Formation The Four Seasons bestes Sixties-Retromaterial sind, kommt die Chose ziemlich fresh rüber. Das liegt zum einen an der zeitlosen Qualität von tollen Songs wie „Beggin“, „Oh What A Night“, „The Sun Ain‘t Gonna Shine Anymore“, „Can‘t Take My Eyes Off Of You“ oder „Silence Is Golden“. Und zum anderen an den Jungs, die Michael Heller gecastet hat.

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Lorenzo Di Girolamo, Rafael Albert, Paul Gerritsen und Jan Großfeld sind nicht als uniforme Boyband der Sechziger inszeniert. Sondern als Viererbande aus erkennbaren Individuen, wie man das inzwischen nicht nur im Off-Musical so macht. Lorenzo gibt den sonnigen Falsett-König mit Frankie-Valli-typischem Italo-Charme, beide teilen den entsprechenden Migrationshintergrund.

Paul, der sonst als Tänzer an der Komischen Oper auftritt, präsentiert sich als smarter, schwuler Ami mit dem Beinamen „Barbra Streisand“. Der moppelige Rafael macht den seriösen Schwiegermutterliebling und erzählt von seiner Zeit auf einer katholischen Lehranstalt.

Mit dem Sixpack raus aus Lüneburg

Und Schönling Jan hat es gerade noch geschafft, samt seinem Sixpack aus Lüneburg rauszukommen. Als Castingopfer einer „Dirty Boy Band“ zeigt der Musicaldarsteller überzeugend, dass er zu schön ist, um Rappen zu können. Diese „persönlichen“, stets auf einem Song zulaufenden Geschichten bilden das Korsett des ersten Akts. Nach der Pause ist dann Frankie Vallis Lebensgeschichte dran, die man viel besser bei Wikipedia nachlesen kann. Gott sei Dank toppt der Musik- deutlich den Moderationsanteil.

Rockige und groovige Rhythmen

Sonst wäre auch die fünfköpfige, hinter Plexiglas verbannte Band zu wenig ausgelastet, die mit viel Drive und etwas zu großer Lautstärke durch die Medleys fegt. Bandleader Micky Bister schlägt auch mal rockige und groovige Rhythmen an, so dass der Sound nicht im nostalgischen Shubiduba vierstimmigen Männergesangs erstarrt.

[Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf, "Oh what a Night!" läuft bis 15. August, Di-Sa 20 Uhr, So 19 Uhr]

Richtig witzig sind die Choreografien, die die Jungs im Minimalbühnenbild aus vier variabel einsetzbaren Kartons und Mikros in Bewegung halten.

Versetzte Schlangenbewegungen der Oberkörper, intensiver Armeinsatz in alle Richtungen und wenige, aber feurig ausgeführte Tanzschritte und Drehungen und fertig ist die Illusion einer ständig betanzten Bühne.

Dass sich die drehen lässt, sorgt für Geschwindigkeit bei den Kostümwechseln. Roter Samt, blauer Samt, Goldsakko, Glitzersakko, erstaunlich, wie viel Variationsmöglichkeiten so ein Smoking hat.

Die Musik gibt uns Halt

Zwei Stunden gehen wie im Flug vorbei, Lorenzo und Paul sammeln die meisten Gesangssternchen. Und bevor das Publikum mit Fußgetrappel applaudiert, teilt Rafael noch mit, dass es das Frankie-Valli-Musical „Jersey Boys“ einst zum Broadway Hit und einer Verfilmung gebracht hat.

So wird es mit „Oh what a Night!“ wohl nicht kommen, aber Rafaels Satz „Am Ende ist es die Musik, die uns Halt gibt, die uns immer weiter machen lässt“, den können in diesem Moment Bühne und Saal unterschreiben.

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