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Im Jahr 2018 entstand Völkers kontrastierende Ansicht des Tempodroms.

© Martin A. Völker

Neustart für eine Galerie: Berlins Himmel spiegelt sich in den Pfützen

Poetisch, pulsierend, kaputt: Die junge Galerie Nüüd hat sich auf Fotografie spezialisiert. Gründer ist der Anwalt Henner Merle.

Es ist kein schöner Anblick, aber doch ein faszinierender. Wenn Martin A. Völker in der Neuköllner Anzengruberstraße fotografiert, erscheint mindestens ein Zigarettenstummel in seinem Motiv. Erst beim zweiten Blick kommt die Frage auf: Was macht die Kippe im Bild? Völker zeigt den Himmel, die oberen Stockwerke von Häusern, eine Baumkrone. Die Einsicht kommt allmählich – seine Kamera war auf den Asphalt gerichtet, die Stadt spiegelt sich in der Pfütze, die Aufnahme ist ein Gebilde aus Reflexen mitsamt dem Müll auf der Straße.

Völker wiederum kennt man als Autor ästhetischer Schriften. Im Internet findet sich ein Hinweis auf seine Tätigkeit als Direktor für das Disgusting Food Museum, in dem sich Besucher:innen vor den Essensgewohnheiten anderer Länder und Kontinente ekeln können. Als Fotograf wird der Berliner eben erst sichtbar – und auch das verbindet ihn mit der Galerie Nüüd, in der die überwiegend schwarz-weißen, zwischen 2018 und dem vergangenen Jahr entstandenen Impressionen erstmals zu sehen sind. Henner Merle hat seine Räume erst im September eröffnet. Mit abstrakt architektonischen Gemälden und Papierarbeiten von Marco Kaufmann.

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Frisch in der Kunstszene ist Merle dennoch nicht unterwegs. Der Fachanwalt, der die Galerie (noch) im Teilzeit-Modus betreibt, leitete bereits in den neunziger Jahren die Galerie ZFF: Ein Ort, den Ostkreuz-Fotograf:innen wie Arno Fischer oder Sibylle Bergemann als Zentrum für ihr Medium angeregt hatten und wo sie ausstellen konnten. Später kuratierte Merle die Ausstellung „Berlin Wonderland“ zum gleichnamigen Buch von Anke Fesel und Chris Keller mit. 2016 gründete er Fine Art Berlin Project Spaces als Galerie ohne feste Adresse an immer anderen Pop-up-Orten.

Über das Galerie im Erdgeschoss befindet sich die Rechtsanwaltskanzlei

Darauf hat Merle keine Lust mehr, sein Engagement für die zeitgenössische Kunst fließt nun in ein zum klassischen white cube umgebautes Erdgeschoss mit einladender Glasfront. Die Kanzlei befindet sich im selben Haus in der Kronenstraße, der Vermieter war angetan von der Idee. Und auch ohne Kolleg:innen in unmittelbarer Nähe – zur Galerie FeldbuschWiesnerRudolph gelangt man allerdings in fünf Minuten – empfindet Merle die ersten Monate als inspirierenden Auftakt. Trotz Pandemie.

Mit sieben Künstler:innen hat er begonnen, und nicht immer ist klar, was etwa die klassisch figurativen Bronzen von Reinhold Petermann mit Kaufmanns Farbflächen oder Völkers Fotografie verbindet. Die Auswahl, erklärt der Galerist, rekrutiere sich aus seiner Historie als Kunstvermittler, dessen Vorlieben sich stetig neu justieren, ohne dass er alles andere gleich über Bord gehen lässt.

Mit Martin A. Völker hat die Galerie Nüüd eine gute Wahl getroffen

Völker jedenfalls erweist sich als gute Wahl, seine Streifzüge fördern vielschichtige Impressionen zutage, in denen das roughe Berlin der 80er auf eines der Gegenwart trifft. Manchmal fotografiert er direkt ins Schaufenster und fängt im selben Moment die Kulisse auf der gegenüber liegenden Seite ein. Dann wieder macht Völker Bilder aus fahren Zügen, die das Geschehen hinter den – gern mit Schmodder oder Folie bedeckten Scheiben – poetisch verunklaren.

[Galerie Nüüd, Kronenstr. 18; bis 19. März, Do–Sa von 13–19 Uhr]

Einige seiner Aufnahmen hat er schließlich farbig eingefärbt, was ihnen einen Pop-Art-Effekt verleiht. Doch immer schimmert das schöne, hässliche, nervöse oder melancholische Potenzial seiner Geburtsstadt durch. Die Preise der Arbeiten pendeln zwischen 250 und 2000 Euro.

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