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Die Sänger Sasha und Xavier Naidoo führen durch die Preisverleihung.

© Arya Shirazi

Neustart beim Musikpreis Echo: Ein bisschen spannender wird es

Heute werden in Berlin die Echos verliehen. Mit neuen Regeln und Jurys solle der Musikpreis attraktiver werden. Doch der kommerzielle Erfolg bestimmt weiterhin das Spiel.

Die Königin darf nicht mitmachen. Es wird an diesem Donnerstagabend keinen Showauftritt von und keine Trophäen für Helene Fischer in der Messe Berlin geben. Und das, obwohl dort die Echo-Verleihung stattfindet. Eine Veranstaltung, die die Schlagerpop-Sängerin zuletzt so dominierte, dass sie einigen bereits als Helene-Fischer-Festival galt. Seit 2011 war die „Atemlos“-Sängerin immer nominiert und mit insgesamt 16 Preisen ausgezeichnet – Rekord.

Ein Echo ohne Helene Fischer. Wie kann das sein? Maßgeblich für die Nominierungen sind die Jahrescharts des Vorjahres. Die ersten fünf Plätze sind qualifiziert. Helene Fischer kam mit der Deluxe-Ausgabe ihres Weihnachtsalbums auf Platz vier.

Allerdings hat sie für die einfache Version schon einmal einen Echo bekommen, was seit diesem Jahr eine erneute Nominierung ausschließt. Bei Fischers Erfolgsalbum „Farbenspiel“ (2013) galt diese Einschränkung noch nicht, weshalb sie dafür zweimal hintereinander den wichtigsten deutschen Musikpreis abräumte.

Diesmal gibt es neun Echo-Kategorien weniger

Die neue Regel für die Qualifikation, zu finden im Kleingedruckten der Vergaberichtlinien, ist eine von mehreren Veränderungen bei der seit 1992 vergebenen Auszeichnung. Erstmals wirken nun Fachjurys an der Mehrzahl der Entscheidungen mit, es gibt statt 31 nur noch 22 Kategorien, und anstelle einer Liveübertragung in der ARD zeigt Vox nun einen Tag später die Zusammenfassung. Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), der den Echo vergibt, erklärt die Reform so: „Letztes Jahr wurde der Echo zum 25. Mal verliehen. Das war für uns ein wichtiges Jubiläum, das wir noch mal in der bewährten Form gefeiert haben. Danach begannen im Verband die Diskussionen über eine Neuausrichtung, bei der es darum ging, wie der Echo spannender und überraschender gestaltet werden kann.“

Im letzten Jahr wurden einige Mittelfinger gezeigt

Ebenfalls eine Rolle gespielt haben dürfte die immer lauter vorgetragene Kritik am Echo sowie diverse kleinere Skandale der Vorjahre. Neben der Fischer-Dominanz hatte auch der Umgang mit der Rechtsrock-Band Frei.wild wiederholt Unmut ausgelöst. War das aus Südtirol stammende Quartett, dem auch Musiker mit deutschem Pass angehören, 2013 noch von der Nominiertenliste gestrichen worden, weil andere Nominierte mit Boykott gedroht hatten, gewann es im vergangenen Jahr den Echo in der Kategorie „Rock/Alternative national“.

Nach der Verkündung wurde im Saal kurz gemurrt, worauf Frei.wild-Sänger Philipp Burger auf dem Weg zur Bühne mit einem ausgestreckten Mittelfinger reagierte. Gleich zwei Mittelfinger zeigt im Anschluss der Indie-Popper Bosse bei seinem Showauftritt: „Und die hier gehen raus an alle Nazischweine“, rief er. Ein bisschen Aufregung ist ja immer gut, aber der Frei.wild-Echo und die selbstgerechte Rede des Sängers verhagelten dann doch vielen den Abend. Durch die zeitversetzte Fernsehausstrahlung lassen sich solche Momente in Zukunft zumindest etwas glätten.

Das Votum von Fachjurys fließt ins Ergebnis ein

Frei.wild sind diesmal wieder in der Kategorie Rock/national nominiert, neben den nicht minder umstrittenen Böhsen Onkelz, deren „Memento“ zudem in der Kategorie Album des Jahres antritt. Dort gehen auch Udo Lindenberg, Andrea Berg, Metallica und die Rolling Stones ins Rennen. Wer gewinnt, entscheiden nicht mehr allein Chartpositionen, Verkäufe sowie das Votum der BVMI-Mitglieder. Ab jetzt zählen zu je 50 Prozent das Abschneiden in den Charts und das Votum von Fachjurys. Diese werden vom Verband eingeladen und bestehen aus Label- und Medienvertretern sowie Musikerinnen und Musikern. Dass einige Nominierte wie Andrea Berg, Mark Forster und Xavier Naidoo gleichzeitig in den Jurylisten auftauchten, also theoretisch für sich selber stimmen konnten, wurde in der Fachpresse bereits heftig kritisiert. Laut Florian Drücke hatten sie jedoch in diesen Kategorien kein Stimmrecht.

Irritiert von den Juryzusammensetzungen zeigt sich auch der Berliner Popkritiker und Autor Jens Balzer, der zunächst mitstimmen wollte. Er wurde in die Jurys für Album, Hit und Newcomer des Jahres berufen. Doch als sich das Prozedere abzeichnete, stieg er wieder aus – genau wie eine Reihe weiterer Medienkollegen. „Wenn in der Kategorie Newcomer nur Leute wie Die Lochis oder Kerstin Ott zur Auswahl stehen, aber nicht mal ein Musiker wie Drangsal auftaucht, ergibt das für mich keinen Sinn“, begründet Balzer seine Entscheidung. Die Nominierungen allein an den Charts auszurichten, sei unzureichend. „Es wird nur abgebildet, was kommerziell erfolgreich ist, aber nicht was künstlerisch interessant ist.“ Eigene Vorschläge der Jurymitglieder mittels Wildcards könnten für mehr Vielfalt sorgen.

Die Bühnenshow ist in diesem Jahr sehr männerlastig

Die Sänger Sasha und Xavier Naidoo führen durch die Preisverleihung.
Die Sänger Sasha und Xavier Naidoo führen durch die Preisverleihung.

© Arya Shirazi

Die Echo-Organisatoren halten jedoch an der Hitparaden-Orientierung fest. BMVI-Geschäftsführer Drücke sagt: „Die Ausrichtung an den Charts gehört zur DNA des Preises. Irgendeine Form von Vorauswahl muss es schließlich geben, und da sind die Charts doch sehr demokratisch, denn sie zeigen, was die Fans wirklich konsumieren. Sie sind außerdem ein guter Indikator für Trends. Wieso soll das nicht die Grundlage für die Nominierungen sein?“

Aus der Sicht seines Verbandes, der die Interessen von rund 250 Tonträgerherstellern und Musikunternehmen vertritt, die über 80 Prozent des deutschen Musikmarkts repräsentieren, ist das nachvollziehbar. Beim Echo wollen die Unternehmen ihre Erfolge feiern. Künstlerische Innovationen oder von der Kritik gefeierte Entwicklungen sind zweitrangig. Immerhin gibt es mit dem „Kritikerpreis national“ eine Echo-Kategorie, in dem die Nominierungen chartfrei durch die Jury zustande kommen.

Udo Lindenberg und die Toten Hosen treten auf

Hier ist Jens Balzer weiter Mitglied, denn das intransparente Verfahren des Vorjahres, in dem der Singer-Songwriter Joris zum Sieger erkoren wurde, ist korrigiert worden. Diesmal stehen die Antilopen Gang, Beginner, Drangsal, Moderat und Roosevelt zur Wahl, womit zumindest drei jüngere Acts und mit Moderat auch ein international konkurrenzfähiges Trio dabei sind.

Auffällig ist die Männerlastigkeit dieser Auswahl, die sich beim Echo-Bühnenprogramm fortsetzt. Moderiert wird der Abend von den Sängern Sasha und Xavier Naidoo. Auftreten werden insgesamt 30 Personen, davon lediglich zwei Frauen (Beth Ditto und als Gast bei Linkin Park: Kiiara). Die Toten Hosen, Udo Lindenberg, Adel Tawil, Rag’n’Bone Man – Typen sind Trumpf bei der Gala. Florian Drücke kommentiert diese Schieflage so: „Es sind jedes Jahr aktuelle Künstlerinnen und Künstler in der Show, manchmal mehr Männer, manchmal mehr Frauen.“ Im Jahr 2017 eine wenig befriedigende Erklärung, zumal die Popmusik derzeit so stark von weiblichen Stars geprägt ist. Seien es in Deutschland Helene Fischer, Andrea Berg und Sarah Connor oder international Adele, Beyoncé und Rihanna.

Bald kommt ein neues Album von Helene Fischer

Ähnlich schwer tat sich in Sachen Frauenpräsenz der im vergangenen Jahr erstmals vergebene Preis für Popkultur, eine Art Echo-Alternative, über die eine große Fachjury entscheidet. Bei der von Bernd Begemann moderierten Preisverleihung im Tempodrom wurden vier von fünf Live-Auftritten von Männern bestritten, die Nominierungen dominierten sie ebenfalls. Immerhin gibt es für den Vorstand neuerdings eine Frauenquote.

Beim Echo wird es 2018 sicher wieder weiblicher zugehen, denn Helene Fischer bringt im Mai ein neues Album heraus. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es die deutschen Charts für den Rest des Jahres dominieren. Mindestens eine Echo-Nominierung ist Fischer also sicher. Ungewiss bleibt nur, ob sich die Fachjurys auch für sie begeistern können. Ein wenig spannender geht es also ab jetzt tatsächlich zu.

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