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Totentänzchen. Caligula (Constanze Becker) trägt auch mal gern Partyklamotten.

© dpa

Neustart am Berliner Ensemble: Das Kettensägen-Palaver

Neue Intendanz, neue Zeit: Das Berliner Ensemble startet mit „Caligula“ und Camus. Aber der alte Poltergeist ist noch nicht vertrieben.

Brecht kommt ja noch. Und für die nächsten Wochen sind viele neue und neuere Stücke angesagt, also: Gegenwart. Das Wort wirft Oliver Reese, der neue Intendant des Berliner Ensembles, gern ins Gespräch und weckt damit hohe Erwartungen. Dabei ist es das Selbstverständliche, das verloren ging oder zu billig interpretiert wird; so war es ja oft am alten BE, im Theater der bloßen Behauptung.

Aber was heißt das, Gegenwart? Gibt es ein ernst zu nehmendes Theater, das vielleicht nicht gegenwärtig wäre? Natürlich sind auch Sophokles, Molière und Shakespeare geistesgegenwärtig und auf eine geheimnisvolle Art physisch präsent – das macht ihren Rang aus, ihre Klasse. Das zeichnet überhaupt Theater aus. Dass es seine eigene Zeit hat, wenn es die Kraft dazu findet. Dafür gibt es schließlich auch mal Leitungswechsel an den Bühnen. Sie können der Selbstvergewisserung dienen, was das eigentlich alles soll – die Spielpläne, die Dramaturgie, Profilierung und Positionierung.

Schönheit und Herrschaft

Oliver Reese hat eine klare Ansage gemacht: Bei ihm stehen Schauspieler und Stücke im Vordergrund. Er beginnt mit Albert Camus und „Caligula“, dem Gedankendrama eines 25-Jährigen, der anno 1938 von der Provokation und Schönheit absoluter Herrschaft träumt. Der Cäsar will den Mond, er will Naturgewalt sein, einen Sinn im Menschsein mit Gewalt erzwingen. Die ultimative Künstlerfantasie: Leben und sterben lassen, töten und zuschauen, wirken wie ein Gott.

Im Zweiten Weltkrieg, unter dem Eindruck der deutschen Besatzung, drängte es Camus, den Text zu ändern, umzuschreiben. Zu viel von diesem „Theater der Grausamkeit“, wie es bei Antonin Artaud heißt, war Realität geworden. Die Faschisten aus dem Norden lehrten „Caligula“ also Moral. Leid und Elend, Verschleppung und Tod von Millionen Menschen beendeten das nihilistische Gedankenspiel und die Begeisterung für eine fatalistische Logik der Gewalt.

Monster mit Glatze

Ist das nun ein Stück Gegenwart? „Regieren heißt stehlen. Ich werde ehrlich stehlen.“ Und: „Wir wollen die Volkswirtschaft von Grund auf umkrempeln“. Und: „Ihr habt endlich einen Kaiser bekommen, der euch die Wahrheit wahrhaftig lehrt – in der ihr schon lange lebt“. Solche Sätze machen hellhörig. Sie werden in der „Caligula“-Inszenierung wie Plakate hochgehalten. Ja klar, dieser Caligula ist ein Populist. Und er, sie, es will geliebt sein – das Monster mit Glatze, die junge Frau, das trotzige Kind, der brutale Kerl. Constanze Becker reißt all die denkbaren und möglichen Seiten und Schatten der Überfigur an, aber mehr nicht. Sie wütet unter Wert. Antú Romero Nunes lässt etwas anderes als Chargieren nicht zu.

Der Regisseur entscheidet sich von der ersten Szene an für die Farce. Verzweifelte Clowns, grell geschminkt und halb angezogen, halb nackt (Kostüme: Victoria Behr), suchen den irren Cäsar. „Nichts.“ Das wiederholen sie wie ein Mantra. Nichts. Der Vorhang ist noch unten. Annika Meier steht an der Rampe und zieht unwahrscheinliche Grimassen. Man kennt sie aus Herbert Fritschs Volksbühnenmeisterwerken. Bei einem Fritsch ist das Chargieren höchste Kunst, während Nunes dem Ganzen ein Bedeutung geben will. Er tut wichtig.

Unsere Zeit ist schrecklich, irre, es regieren wild gewordene Idioten, und die Menschen haben sie auch noch in Wahlen legitimiert. Heißt für das Theater hier: immer schön grell und laut sein und böse. Caligula mit Kettensäge, ein Wald von Orgelpfeifen (Bühne: Matthias Koch), Nebel und sonstige Effekte. Zum Text und seinen Fassungen dringt man nicht vor. Camus’ Schauspiel, versendet in Sprechblasen. Es ist so nicht herauszubekommen, was in diesem „Caligula“ zu entdecken wäre; das Stück ist immerhin 80 Jahre alt. Man müsste ihm einmal zuhören können, aber das ist bei diesem Gebrüll leider nicht möglich. Die Akteure stehen unter hohem Inszenierungsdruck.

"Ave Maria" auf der Blockflöte

Warum nur so laut? Wer schreit, hat unrecht. Heißt es nicht so? Wer schreit, ist unecht. Das Problem haben auch viele Inszenierungen von Frank Castorf. Der Lautstärkeregler ist kaputt, das Theater lässt sich einfach nicht mehr leise drehen. Aber wenn die Verdreher der Wahrheit, die Faktenmischer, wie Caligula, die Atmosphäre verpesten – würde man nicht gern einem Camus und seinen Gedanken folgen, Worten zur Abwechslung und zum Protest vertrauen?

Einmal tritt Caligula/Constanze Becker mit Zöpfen und Blockflöte auf und bläst lammfromm „Ave Maria“. Ein andermal steht sie als Diva allein auf leerer Bühne in ihrem Gewand und schmachtet Friedrich Hollaenders „Wenn ich mir was wünschen dürfte“. Aber gern: All das Fratzenziehen und Horrorstarren, das Durchprobieren gefährlicher Tonlagen führt jedenfalls nicht dazu, dass der Tyrann zur Bedrohung wird. Es bleibt ein Clownzirkus, in dem neben Constanze Becker und Annika Meier vier aufgekratzte Typen (Oliver Kraushaar, Aljoscha Stadelmann, Patrick Güldenberg, Felix Rech) reichlich Theaterblut verspritzen und mit Text jonglieren. Und dann ziehen sich die kaputten Spaßmacher noch eklige Gummimasken übers breit verschmierte Gesicht. Das Gegenwärtigste in dieser Produktion liegt darin, dass sie ihrem Text keine Luft zum Atmen lässt.

Nostalgie des Aufbruchs

Es ist ja nur die erste Premiere eines großen Eröffnungsreigens. Man muss nicht allzu schwer enttäuscht sein nach diesen gut anderthalb Stunden. Keiner weiß, wie das hier alles ausgeht, und anders als mancher Kollege genießt Oliver Reese Kredit. Im Rang verfolgt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Treiben, im Parkett sitzen, nicht weit voneinander entfernt, André Schmitz, Tim Renner und Klaus Lederer, die Kulturpolitiker der letzten Jahre. Auch ein Berliner Ensemble.

Und im Theaterdonner des „Caligula“, in dem heftigen Deklamieren und Paradieren scheint plötzlich ein alter Geist auf. Der will so schnell nicht weichen. Wie gut, dass es jetzt losgeht am BE. Aber im Auftakt steckt – pardon – ein Stück Peymann. Wer hätte das gedacht!

Weitere Vorstellungen am 29. September und am 1., 2., 10. und 17. Oktober

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