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Ulrich Khuon leitet das Deutsche Theater seit 2009.

© Marcus Brandt/picture alliance/dpa

Neugier und Empathie: Ulrich Khuon wird 70 Jahre alt

Blick hinter die Kulissen: Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, feiert an diesem Sonntag seinen 70. Geburtstag. Eine Gratulation.

Hochdeutsch kann er ja eher nicht, der Intendant des Deutschen Theaters. Er spricht schwäbisch. Oder ist es badisch, der gebürtige Berliner kommt da immer durcheinander?! Manchmal sagt er zu mir: „Weisch, Uli ...“ Das macht ihn in manchen Kreisen, auch jenseits des Prenzlauer Bergs, wo er seit 2009 mit seiner Frau lebt, verdächtig. Da möchte man doch den argwöhnischen Lokalpatrioten mit Fontane zurufen: „Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner!“ Stuttgarter also auch. Da ist Khuon nämlich 1951 geboren worden.

Studiert hat er erst (ein bisschen) Jura, dann (so richtig) Theologie und Germanistik. Beide Fächer scheinen mir sehr gute Voraussetzungen für einen späteren Intendanten zu sein. Das eine Fach ist gut fürs differenzierte Menschenbild, das andere fürs differenzierte Lesen.

Aber erst mal wurde er ja Kritiker bei der „Badischen Zeitung“, wechselte dann allerdings bald die Seiten, rüber in die Theaterpraxis. In Konstanz war er zunächst Chefdramaturg, dann fünf Jahre Intendant. Es folgten die Stationen Hannover und (eher unhanseatisch) umjubelte neun Jahre am Hamburger Thalia Theater.

Schließlich 2009 der Ruf nach Berlin, wo ihn das selbstbewusste DT-Ensemble freudig und die Öffentlichkeit mit der in dieser Stadt besonders ausgeprägten Mischung aus neugierig und kiebig empfing. Max Reinhardts Weltruhm ist ja schon ein bisschen her, und dennoch werden (fast) jedem kulturellen Neuzugang hier erst mal die Flügel gestutzt: Elbe oder Isar, Hauptsache, Berlin! Andi Möller möge mir die Paraphrase verzeihen ...

Ulrich Khuon geht auch bei schlechtem Wetter zum Adventssingen

Anfangs hat Khuon das ruppige Berliner Klima womöglich unterschätzt, aber sehr bald hat er sich ganz eingelassen auf die neue Heimat. Als echter Fan geht er mit Schal zu Alba, den Eisbären oder in die Alte Försterei, zum Adventssingen auch bei schlechtem Wetter.

Er, der Wessi, interessiert sich nicht nur pflichtschuldig qua Amt, als Intendant des ehemaligen DDR-Nationaltheaters, auch für den Ostteil der Stadt mit seinem reichen kulturellen wie komplizierten gesellschaftlichen Erbe. Er ist tatsächlich mittlerweile so was wie ein Gesamt-Berliner geworden, aus Neugier und Berufung.

Was ist eigentlich ein guter Intendant, was muss der können? Viel, sehr viel. Es gibt ja zwei Grundtypen: den Regisseur, der mit seiner Arbeit den Stil des gesamten Hauses prägt, zum Beispiel Dieter Dorn in den 1980/90ern in München oder Frank Castorf in Berlin, und den sogenannten Manager-Intendanten – ein kaltes Wort, das zu Uli so überhaupt nicht passt.

Er bemüht sich für unser Theater um etwas, das auch ich künstlerisch wie politisch wichtig finde: ganz unterschiedliche Stimmen zu entdecken, zu fördern und kritisch zu begleiten. Ob dies nun Regisseure, Schauspieler oder Autoren sind. Die Vielfältigkeit, die sich in unserer Gesellschaft immer mehr ausprägt mit ihren unterschiedlichen Menschenmöglichkeiten und Biografien, zeigt sich eben auch in unserem Spielplan, den sehr verschiedenen Regiehandschriften, den Schauspieler-Individualitäten.

Khuons anarchische Seite

Dies als „Gemischtwarenhandlung“ abzuqualifizieren, wie es mir auf einer Premierenfeier mal von einem Kritiker zugemurmelt wurde, halte ich für völlig verfehlt. Ulis graue Sakkos und Pullover, sein Bürger-Look, mögen einen oberflächlichen Betrachter dazu verleiten, seine Neugier aufs Extreme, seine Fähigkeit, sich auf die ausgeprägtesten Egos einzulassen, die bei Regisseuren oft noch kräftiger sind als bei Schauspielern, zu unterschätzen.

Er hat durchaus eine erst nach längerem Kennenlernen zu entdeckende anarchische Seite, offenbar nicht unüblich bei Stuttgartern, wie man gerade in den letzten Jahren im Positiven wie im Negativen erfahren konnte.

Er ist, was ja kein Widerspruch ist, konfliktbereit und treu. Er möchte die persönlichsten Handschriften an unserem Haus versammeln, auch wenn das mitunter (aus sehr unterschiedlichen Gründen) nicht unkompliziert ist: Serebrennikov, Rasche, Hartmann beispielsweise.

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Er hat sich lange und schließlich erfolgreich um einen großen Still-Genauen wie Jossi Wieler bemüht oder um den Solitär Pollesch. Diese Offenheit ist nicht Beliebigkeit, sie ist unbedingt Programm. Er kann mit vielen sehr Unterschiedlichen sehr gut, und das nicht aus Indifferenz, sondern aus neugieriger Empathie.

Unser Intendant ist ansprechbar, für jeden am Haus. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber, wenn ich an manch anderes Haus denke, überhaupt nicht. Der ansprechbare Uli kann allerdings auch schon mal explodieren. Als ich vor ein paar Jahren am Tag nach einer, wie ich fand, völlig verkorksten Premiere zufällig in seinem Büro war und in einem Nebensatz meinte, ich als Intendant würde den Quatsch sofort absetzen, lief er innerhalb einer gefühlten halben Sekunde knallrot an und brüllte: „Du bist aber nicht der Intendant!“ In einem Asterix-Comic wäre der bedauernswerte römische Legionär in irgendeine Ecke geweht worden.

„Du bist aber nicht der Intendant!“

Er ist anständig. In meinen rund 40 Jahren am Theater habe ich leider öfter die Erfahrung gemacht: So mancher, der sich besonders vehement als dem (auch politisch) „Guten und Wahren“ verpflichtet äußert, ist im kleinen, alltäglichen Umgang oft überraschend autoritär und hierarchisch denkend. Khuon nicht.

DT-Schauspieler und Gratulant: Ulrich Matthes.
DT-Schauspieler und Gratulant: Ulrich Matthes.

© Privat

Er ist das Gegenteil des „alten weißen Mannes“, wenngleich er jetzt 70 wird. Er ist sich seiner Macht durchaus bewusst, geht mit ihr aber behutsam um. Zwei fürs Klima an unserem Haus relevante Beispiele: Als das Ensemble mal zwei Kollegen, von denen er sich trennen wollte, zur Seite sprang, nahm er die Kündigungen wieder zurück.

Ich fand das ausgesprochen souverän, ein anderer Chef hätte vielleicht eine Schwächung seiner Autorität befürchtet. Die Bedeutung des Ensembles, zumal an diesem Haus mit einer jahrhundertealten Tradition der Spielerpersönlichkeiten, ist ihm ein zu hütendes Programm.

Nicht nur eine Geste, sondern für viele meiner Kollegen von existenzieller Bedeutung und nicht selbstverständlich an anderen Häusern war sein Entschluss, den Gästen, denen durch Corona ihre verabredeten Vorstellungen wegbrachen, die Gagen weiterzuzahlen und sich darüber als Präsident des Deutschen Bühnenvereins (das war er bis vor Kurzem auch ein paar Jahre lang) mit Kollegen notfalls auch zu zoffen. Kunst und sozialer Umgang, Mut zum Experiment und Solidarität schließen sich für ihn nicht aus, ja bedingen einander.

Khuon zahlte den Gästen die Gagen, auch bei ausgefallenen Vorstellungen

Jetzt hat dieser große Ermöglicher und Menschenfreund ab Herbst, nach dieser für uns alle traurigen, wirklich deprimierenden Spielzeit, nur noch zwei Jahre als Intendant. Während all der theaterlosen Monate ist er trotzdem immer in sein Büro gefahren, um zu arbeiten, ansprechbar zu sein, der technischen Mannschaft ein bisschen Mut zu machen und natürlich auch fürs eigene Gefühl.

Für uns Schauspieler war und ist die Zeit ohne die Energie der Vorstellungen oder das kreativ-soziale Miteinander der Proben echt hart. In den paar Wochen im vergangenen Herbst, als wir wieder spielen konnten, gab es auf der Bühne (ich habe es am eigenen Auge erlebt) wie im Zuschauerraum (so wurde mir erzählt) öfter feuchte Augen beim Applaus.

Beide Seiten freuten sich so sehr, dass sie einander wiederhatten. Und Uli? Er war oft der Unbändigste von allen! Er war froh über die 99 Prozent Platzausnutzung, machte immer wieder mit Feuereifer Pläne , die dann kurz darauf erneut umgeworfen werden mussten. Dann machte er halt neue. Das Licht in seinem Büro leuchtete jedenfalls sehr oft auch am frühen Abend noch auf den verwaisten Vorplatz hinaus.

Weisch, Uli: Glück ist, sich seiner Fähigkeit entsprechend zu verausgaben. Nicht von mir, von Karl Marx. Und, ganz einfach: Du kannst das, was du mit so viel Einsatz tust. Insofern dürfen wir uns Ulrich Khuon als einen glücklichen Menschen vorstellen. Ich gratuliere dir von Herzen.

Ulrich Matthes

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