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Der Berliner Schriftsteller Bov Bjerg

© Gerald von Foris/Ullstein Verlag

Neues vom "Auerhaus"-Autor: Bov Bjergs Roman "Serpentinen"

Schon jetzt einer der besten Romane dieses Frühjahrs: Bov Bjerg leuchtet mit seinem Roman "Serpentinen" die BRD noir aus.

So kurz und bündig lässt sich ein Film wie Hal Ashbys „Harold und Maude“ auch zusammenfassen, wie es der Erzähler von Bov Bjergs Roman „Serpentinen“ (Claasen Verlag, 267 Seiten, 22 €.) tut: „Der Kinofilm mit dem erhängten Jugendlichen“. Man könnte ergänzen: Die makabre Komödie mit dem Jungen, der ein Faible für den Tod, für Beerdigungen und überhaupt Friedhöfe hat, und der alten Dame, die eine Holocaust-Überlebende ist.

Ein Kultfilm voller schwarzer Humor – und sicher nichts für einen Menschen aus einer Familie mit vielen Selbstmördern. Vater, Großvater, Urgroßvater. „Erhängt, erschossen, ertränkt“.

Als er den Film in jungen Jahren mit einer Freundin schaut, fällt Bjergs Erzähler sofort wieder ein, wie er einst seinen Vater erhängt vorgefunden hatte. Und: „Der Vater war 44, als er sich aufhängte. Als ich endlich 45 war, war ich froh. Ich hatte ihn nicht umgebracht, doch ich war älter geworden als er, immerhin, Etappenziel erreicht.“

In Klagenfurt gewann den Deutschlandfunk-Preis

Noch ein paar Jahre älter dürfte er sein, als er nun mit seinem sieben-, achtjährigen Sohn einen Trip in seine Heimat macht, auf die schwäbische Alb, in die Gegend um Göppingen, wo sein Elternhaus steht, er zur Schule gegangen ist.

Diese Reise bildet den erzählerischen Rahmen für Bjergs Roman. Den Anfang von „Serpentinen“ hatte der Berliner Lesebühnenautor und Schriftsteller 2018 beim Klagenfurter Bachmann-Lesen vorgetragen, wofür er den Deutschlandfunk-Preis gewann. Schon damals war beim Hören und Mitlesen eine gewisse Beklemmung im Publikum zu spüren, eine Unsicherheit darüber, was für ein Schicksal Vater und Sohn miteinander verbindet.

Dieses Gefühl bestimmt nun die Lektüre des gesamten Romans. Bjerg erzählt eine beklemmende, düstere Geschichte. Zu lachen gibt es hier kaum etwas, keinen irgendwie befreienden, die Beklemmungen lösenden Humor.

Was nicht zuletzt an der zentralen Figurenkonstellation liegt: an dem Verhältnis des zweifelnden, sich aus diversen Gründen schuldig fühlenden, etliche familiäre Lasten mit sich herumschleppenden Vaters und des mit ihm reisenden, unschuldigen, die Realität des Lebens gerade erst vage erkennenden Sohnes. Der fragt zum Beispiel immer wieder, woran sein Großvater denn nun gestorben sei und zunächst stets die Antwort:„Er war krank.“

Der Vater trinkt, schlägt Mutter und Kinder

„Serpentinen“ ist ein Familienroman, allerdings ein sehr ungewöhnlicher, eine gleichermaßen zarte wie harte Väter-und-Söhne-Geschichte – und ein bisschen auch eine Gothic Novel mit Suspense-Momenten.

Bjergs Ich-Erzähler, der keinen Namen trägt, so wie auch sein Sohn nicht, „der Junge“, wie seine Frau, die Mutter des Jungen, die nur M. heißt, wie überhaupt alle Familienmitglieder, dieser Ich-Erzähler also begibt sich auf die Spuren von einst: auf die der etwas weiter entfernten Nazi-Vergangenheit seiner ursprünglich aus dem Brandenburgischen stammenden Familie väterlicherseits, und auch auf die Spuren der Familie seiner Mutter.

Unweigerlich landet er dabei bei den Zuständen in seinem Elternhaus, in dem der Vater getrunken, die Mutter und seine Kinder geschlagen und sich schließlich erhängt hatte.

Auch die Nachbarn spielen mit herein. Sie wiederum tragen Namen, heißen Ralf Beck, Martin Deichmann oder Wolfgang und haben ähnliche, nicht minder schlimme Probleme mit ihren Vätern. Womöglich wäre es für sie alle besser gewesen, überlegt Bjergs Erzähler einmal, „wenn sie die Männer ihrer Mütter getötet hätten. Ein Messer in den Hals, einen Föhn in die Badewanne, es hätte einfach sein können. Die Schweinereien nicht mehr hinzunehmen. Das Dulden nicht mehr zu erben.“

Auch Figuren aus "Auerhaus" kommen vor

BRD noir ist das hier, eine Bundesrepublik, die fast noch dunkler erscheint als bei Autoren wie Frank Witzel oder Heinz Strunk, als bei Andreas Maier oder Jakob Arjouni, seien es nun die sechziger, siebziger oder achtziger Jahre. Der Mörder in mir ist der Mörder in dir, um es mit den Smashing Pumpkins zu sagen, in den schon etwas helleren neunziger Jahren.

Die Mörder und die Monster, sie sind oft einfach die Familienmitglieder. Und Nazis sowieso, das bekommt hier bisweilen schon fast etwas Obsessives. Was kann man da nur tun: „Den Vater umzubringen oder den Stiefvater, das war die Befreiung. Doch was sollte einer tun, wenn er sich selbst umbrachte?“

Bei den Rückblenden wird irgendwann deutlich, dass Bjerg mit „Serpentinen“ auch eine Art Fortsetzung seines Erfolgs- und Adoleszenzromans „Auerhaus“ geschrieben hat.

In dessen Mittelpunkt: eine Wohngemeinschaft von Jugendlichen, die größtenteils kurz vor dem Abitur stehen, deren Miteinander sowie die Freundschaft zwischen Höppner, dem „Auerhaus“-Helden, und dem depressiv veranlagten, kurz vor dem Suizid sich befindenden Frieder. Auch andere „Auerhaus“- Figuren tauchen auf; als kleiner, versteckter Hinweis wird der Erzähler einmal zumindest mit dem Namen „Höppner“ angesprochen. Was den Sohn zutiefst irritiert. Denn Höppner hat, wie später herauskommt, den Namen seiner Frau angenommen.

Die Dose Bier ist stets mit dabei

So verwirbelt Bjerg zumindest auf der Oberfläche den Romanvorgänger mit der Familiengeschichte seines Erzählers und dessen erwachsener Gegenwart als eigentlich erfolgreicher Soziologe in Berlin mit einer nicht minder erfolgreichen, als Juristin tätigen Frau und dem gemeinsamen Sohn.

Doch unter dieser Oberfläche ist „Serpentinen“ ein ganz anderer Roman als „Auerhaus“: vom Ton her, der stilistischen Vielfalt, der konsequent düsteren Atmosphäre, dem Stoff. Die urbane Sozialisierung hat jedenfalls wenig geholfen: Die väterlichen, großväterlichen Schatten sind zu groß. Die Dose Bier ist auf der Tour stets in Reichweite, es gibt Ungeduld, Schreierei und Unnachgiebigkeiten, da ist ein Kissen, mit dem der Junge im Schlaf leicht getötet werden könnte.

Und Bjerg hat zudem eine Art böses Über-Ich installiert: die große Brille, in Versalien geschrieben, die den Vater häufiger mal auf seine eigentliche Absicht hinweist mit Sätzen wie „Sie wollten ihn verletzen“ oder „Das war die Generalprobe?“

Unentwegt hat man Angst um dieses Kind, so hält Bjerg die Spannung aufrecht, wie gezielt und gewollt das gewesen sein mag.

Gekonnt ist, wie Bjerg erinnerte Vergangenheit und erzählte Gegenwart verschränkt, in Form von oft kurzen Absätzen, wie er bestimmte Motive auf eben jenen Serpentinen durch seinen Roman schlängeln und kurven lässt, rhythmisch wiederholt: von den Hinweisen auf die Erdzeitalter- und Gesteinschichten über die frisch bezogenen Kissen und einem roten Schienenbus bis hin zu einem Erlebnis, das der Erzähler mit seinem Vater hatte, als sie sich um den Esstisch verfolgten und zumindest einmal Spaß hatten.

"Der Trübsinn wehte nicht fort"

Bov Bjerg schreibt eine schmucklose, durchaus auf Effekte zielende Prosa (man merkt da seine Lesebühnengeschultheit), er versteht sich auf kurze, treffsichere Dialoge, und nur manchmal wirken die in Versalien geschriebenen Wichtigwichtigworte störend groß, zu offensichtlich, gerade weil das Stilmittel der Wort- und Motivwiederholungen augen- und sinnfällig genug ist.

Und fast unmerklich reicht Bjerg überdies mit wenigen Worten oder Sätzen hie und da andere Themenkomplexe in seinen Roman: das Verhältnis von Sprache und Zugehörigkeit, von Sprache und Sein, von Stadt und Land.

Die Herkunft, die wird man nicht los, gegen die gibt es keine Chance, die findet sich auch in der DNA des Nachwuchses wieder: „Der Trübsinn wehte nicht fort. Ich war nicht fähig, dem Jungen Stärke zu geben. Ich konnte ihn nicht immunisieren. ich hatte alles falsch gemacht. Vorbei. Das Scheitern war zu Ende. Ich ließ den Jungen nicht allein.“

Solche Sätze lehren stets aufs Neue das Gruseln. Und das Ende dieses Romans, der so radikal wirkt, so eindrücklich nachhallt und sicher zu einem der besten dieses Frühjahrs, wenn nicht gar Jahres zählen dürfte? Wird nicht verraten. Nur dass von einer Erlösung, von einer Befreiung der Herkunftsfesseln nicht wirklich die Rede sein kann.

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