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Elch vom Hansaplatz. Das frühgeschichtliche Skelett wurde 1956 beim Bau der U-Bahn gefunden.

© dpa

Neues Museum: Unter dem Pflaster liegt der Tand

Schätze aus der Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit: Das Neue Museum hat seine ständige Ausstellung in der dritten Etage völlig überarbeitet und präsentiert sie am Sonntag. Damit ist das Haus endlich komplett eingerichtet.

Warum die Männer einander die Schädel eingeschlagen haben, wissen die Archäologen nicht. Tausende müssen es gewesen sein, die vor etwa 3300 Jahren rund 150 Kilometer nördlich von Berlin mit Keulen, Pfeil und Bogen aufeinander losgingen. Das Schlachtfeld wurde erst 1996 entdeckt, als ein Schlauchbootfahrer auf dem Flüsschen Tollense in Mecklenburg-Vorpommern einen menschlichen Oberarmknochen fand, in dem eine Pfeilspitze aus Feuerstein steckte. Seit ein paar Jahren suchen Wissenschaftler die Flussniederung systematisch ab. Überreste von mehr als hundert Opfern des Gemetzels, viele mit erkennbaren Kampfverletzungen, wurden schon geborgen.

Erst im vergangenen Jahr legten Archäologen eine mit Knochen und Schädeln dicht gespickte Bodenschicht frei, die nun als großes Wandrelief im Neuen Museum ausgestellt ist. Mit moderner Technik wurde die Grabungsstelle gescannt, die Daten in einen 3-D-Drucker eingefüttert. So beamt die Neupräsentation der Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum, die unter dem Titel „Steinzeit. Bronzezeit. Eisenzeit“ am Sonntag eröffnet wird, das Publikum nicht nur zurück in die älteste Menschheitsgeschichte. Sie gibt sich zugleich topaktuell.

Fünf Jahre lang haben die Ausstellungsmacher um Museumsdirektor Matthias Wemhoff experimentiert, damit der Spagat gelingt. Denn einerseits gehört das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte zu den drei weltweit bedeutendsten historischen Sammlungen dieser Art. Andererseits reicht es eben nicht, die uralten Faustkeile, Tonscherben, Schwerter und Perlenketten einfach nur in Vitrinen zu legen, um die Besucher zu begeistern. Schon gar nicht, wenn die Zeugen der Frühgeschichte im Neuen Museum mit Stars wie Nofretete um Aufmerksamkeit konkurrieren. Die Unsicherheit war so groß, dass die sogenannte „Ebene 3“, das oberste Ausstellungsgeschoss, bei der Wiedereröffnung des Museums 2009 nur provisorisch möbliert wurde.

Der Berliner Boden gibt seine Schätze preis

Mit 2,5 Millionen Euro vom Bund ist nun eine Dauerausstellung entstanden, die sich nahezu perfekt in die Räumlichkeiten einfügt. Der veränderte Ausstellungsrundgang beginnt jetzt dort, wo er bisher endete: im Roten Saal mit einer Rückblende in die komplexe Geschichte der Sammlung. Unter dem historischen Deckengewölbe stehen Vitrinenschränke aus dem 19. Jahrhundert, gefüllt mit Tongefäßen, Schwertern, Helmen, Schmuck. Über die einzelnen Objekte erfährt man in diesem auratischen Ambiente wenig, wohl aber über die Verdienste von Sammlern wie Heinrich Schliemann oder Rudolf Virchow. Die Schädel, die nach dem Tod des berühmten Arztes ins Museum kamen, tragen alle dessen Initialen R. V. auf dem Stirnknochen. Beiläufig erfährt man, dass der Erste Weltkrieg nicht nur massenweise Knochen und Waffen unter die Erde gepflügt, sondern auch die Berliner Sammlungen um prähistorische Fundstücke bereichert hat.

In dieser Rückblende ist der Sprung in die Jetztzeit schon angelegt. Im folgenden Raum: ein topmoderner Vitrinen- Quader mit der Aufschrift „Archäologie in Berlin“. In erleuchteten Schaufenstern sind überwiegend Fundstücke aus jüngster Zeit ausgestellt, wie der 2008 am Schlossplatz geborgene Zinnsarkophag des brandenburgischen Adligen Konrad von Burgsdorff. Man lächelt über Münzen, die ausländische Touristen früherer Jahrhunderte in Berlin-Mitte verloren haben, über eine Federbrille aus dem 18. Jahrhundert oder den gewaltigen Gallenstein eines Bestatteten. Museumsdirektor Matthias Wemhoff, zugleich oberster Landesarchäologe, kann sich über die vielen Baustellen in der Nachbarschaft nur freuen: „Berlin ist ein wunderbares Archäologieerwartungsland.“ Der Ausstellungsraum ist so eingerichtet, dass er durch neueste Fundstücke laufend aktualisiert werden kann.

Schon in der Vorzeit gab es Klimawandel. Der Elch vom Hansaplatz zeugt davon.

Elch vom Hansaplatz. Das frühgeschichtliche Skelett wurde 1956 beim Bau der U-Bahn gefunden.
Elch vom Hansaplatz. Das frühgeschichtliche Skelett wurde 1956 beim Bau der U-Bahn gefunden.

© dpa

Das imposante Skelett des „Elchs vom Hansaplatz“ wurde schon 1956 beim U- Bahn-Bau gefunden. Das Auftauchen der Tiere in unserer Gegend war eine Folge des dramatischen Klimawandels in der Steinzeit, mit erheblichen Veränderungen der Fauna und Flora – mit der also auch schon die Menschen damals zu kämpfen hatten! Um ihr Leben anschaulich zu machen, schreckten die Ausstellungsmacher vor nichts zurück. Wie im Panoptikum des 19. Jahrhunderts wird neben dem deformierten Schädel eines Neandertalers eine vollplastische, ungemein lebendig wirkende Gesichtsrekonstruktion gezeigt. Drollig sind Ausstellungstexte, die Pfeil und Bogen als „Spitzentechnik im Wandel“ und Geweihe als „Qualitätsrohstoffe mit Showeffekt“ vorstellen.

Die Erfindung des Bronzegusses war eine technische Revolution, die ein neues Zeitalter einleitete wie später Buchdruck und digitale Datenübertragung. In einer Vitrine hängen akkurat aufgereiht gut 150 nahezu identische Axtklingen, in einer anderen sieht man geborgene Gussformen für Pfeilspitzen. Auch Schmuck und religiöse Symbole wurden in der Bronzezeit auf diese Weise als Massenprodukte hergestellt. Die Ausstellungsmacher haben hier klug aus dem Vollen ihrer Sammlung geschöpft. Die reich gefüllten Vitrinen bilden eine Enfilade, an deren Ende ein geheimnisvolles Unikat schimmert: der 1996 erworbene spitze Goldhut, rund 3000 Jahre alt. Die filigranen Ornamente belegen, dass bereits die Bronzezeitgelehrten hoch entwickelte astronomische Kenntnisse besaßen.

Das, was dieser grandiosen Rauminszenierung noch folgt, wirkt etwas lieblos abgearbeitet. Die Eisenzeit in Mitteleuropa überschneidet sich zeitlich mit der griechischen und römischen Antike. Damals kam ein weitläufiger Technologietransfer und Kulturaustausch zwischen Ostsee und Mittelmeer in Gang, was an den ausgestellten Waffen und Tongefäßen der Hallstadtkultur, der Kelten, Skythen oder Lausitzer Kultur abzulesen ist. „Wir hätten zu jeder Vitrine einen Roman schreiben können“, sagt Matthias Wemhoff. Trotzdem fehlt diesem Bindeglied zu den unteren Etagen des Neuen Museums eine unmittelbar zündende Idee.

Mit der neuen Präsentation ist das Haus nun vom Untergeschoss bis zum Dach komplett eingerichtet. Fehlt bloß noch der neue Empfangsbereich, die James-Simon-Galerie. Deren Fundamentierung durch eine eiszeitliche Auswaschung tief im Spreesumpf ist zu einer kostspieligen Dauerbeschäftigung für Bautaucher geworden. Seit der pompösen Grundsteinlegung 2013 ist zumindest über dem Wasserspiegel nicht viel passiert. Doch nach einem Spaziergang durch 40 000 Jahre menschlichen Erfindungsreichtum ist man optimistisch gestimmt, dass es irgendwann auch für dieses ehrgeizige Projekt einen Eröffnungstermin geben wird.

Die Dauerausstellung „Steinzeit. Bronzezeit. Eisenzeit“ wird am Sonntag, 29. Juni ab 11 Uhr mit einem Familientag eröffnet. Programm: www.smb.museum

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