zum Hauptinhalt
Kuratorin Birgit Jochens und Gestalter Klaus-Dietrich Schulze zeigen das Kinderbuch „Artige Kinder“ von Anna Michaelis. 

© Bernd Settnik/dpa

Neues Kinderbuchmuseum in Kleßen: Gereimte Pädagogik

Von Buffalo Bill bis „Peterchens Mondfahrt“: Das Kinderbuchmuseum in Kleßen gibt einen Überblick über die Entwicklung des Kinderbuchs von der Aufklärung bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts.

Die riesige Eiche im Ehrenhof von Schloss Kleßen hat Theodor Fontane gewiss schon gesehen, als er dem Herrn von Bredow 1889 bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg seine Aufwartung machte.

Seit Kurzem hat davor in einem ochsenblutrot gestrichenen Haus das „Kinderbuchmuseum im Havelland“ geöffnet. Hier präsentiert der Unternehmer Hans-Jürgen Thiedig die bedeutendsten Stücke seiner Kinderbuchsammlung.

Zwei Räume zeigen die Entwicklung des Kinderbuchs an ausgesuchten Stücken, zwei Räume sind für Sonderausstellungen reserviert. 

Aus über 1000 Büchern aus 300 Jahren hat Birgit Jochens, die langjährige Direktorin des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf, rund 200 Titel ausgesucht, die einen guten Überblick über die Entwicklung des Kinderbuchs von der Aufklärung bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts geben.

Erster Bestseller von 1658

Der erste Longbestseller unter den deutschen Kinderbüchern war Johan Amos Comenius' „Orbis sensualiium pictus“ („Die sichtbare Welt“) in einer Ausgabe von 1712, die Erstausgabe erschien 1658. 

Für Comenius war das Kind ein „Nicht-Erwachsener“, der gleichwohl auf sein Leben als Erwachsener vorbereitet werden musste. So wurden ihm alle Dinge der Welt zwischen Schöpfung und jüngstem Gericht auf Deutsch und Lateinisch sowie in Bildern erklärt.

Die ersten Kinderbücher standen ganz im Zeichen der Aufklärung, der Bildung und Belehrung. Erste Zeichen von Humor und Unterhaltung bietet Ambrosius Gabler in seinen „Skizzen physischer und moralischer Gegenstände für die Jugend in 24 Kupfertafeln“ von 1795.

Das neue KInderbuchmuseum im Havelland in einem ehemaligen Kossätenhaus in Kleßen.
Das neue KInderbuchmuseum im Havelland in einem ehemaligen Kossätenhaus in Kleßen.

© Rolf Brockschmidt

Auf einem Bild geht es um die fünf Sinne: Die Mutter riecht an der Blume, der Vater am Tabak und ein Kind hält sich die Nase zu wegen des Nachttopfs.

[Jetzt noch mehr wissen: Mit Tagesspiegel Plus können Sie viele weitere spannende Geschichten, Service- und Hintergrundberichte lesen. 30 Tage kostenlos ausprobieren: Hier erfahren Sie mehr und hier kommen Sie direkt zu allen Artikeln.]

Spaß machten auch die beweglichen Bilderbücher von Lothar Meggendorfer, die sich nicht nur durch schöne Illustrationen, sondern auch durch eine ausgefeilte Zugmechanik auszeichneten. Auch Pop-Up-Bücher gab es schon zum Ende des 19. Jahrhunderts, wie das prächtige Buch über Buffalo Bill und den Wilden Westen zeigt.

Aber es gab auch Bücher bemühter Damen, die mehr schlecht als recht gereimte Pädagogik zum Besten gaben, wie Adele Gräfin von Bredow-Görne mit ihrem Bändchen „Kinderscherze“, die als lokaler Hinweis aus der Nachbarschaft mit ihrem moralisierenden Buch ausgestellt ist.

Nach dem Ersten Weltkrieg ändert sich die Tonlage. Illustratoren orientieren sich an den aktuellen Kunstströmungen wie dem Jugendstil, Lesefibeln bilden jetzt mehr die Realität ab, so etwa die „Hansa-Fibel“ von Otto Zimmermann, die er speziell für Hamburger Kinder mit lokalen Motiven verfasst hat. 

Dabei bindet er auch den lokalen Wortgebrauch und den Dialekt ein – ein Meilenstein in der Entwicklung der Fibeln.

Flucht in eine heile Welt

Andere verstiegen sich zu Kriegspropaganda in Fibelform, 1915 erschien „Deutsches Kriegs-ABC. Lustige Zeichnungen von Emil Stahl“. Zu den Entdeckungen gehört das seltene Kinderbuch „Der Spielzeugschrank“ von 1934 mit Illustrationen von Emmy Zweybrück zu einem Text von Edwin Redslob, dem Mitgründer von Tagesspiegel und Freier Universität.

Tagesspiegel-Mitgründer Edwin Redslob hat zu den Bildern von Emmy Zweybrück 1934 den Text geschrieben - es blieb sein einziges Kinderbuch.
Tagesspiegel-Mitgründer Edwin Redslob hat zu den Bildern von Emmy Zweybrück 1934 den Text geschrieben - es blieb sein einziges Kinderbuch.

© Rolf Brockschmidt

Zurzeit ist auch die Sonderausstellung „Eine Kindheit wie im Bilderbuch? Die Nachkriegszeit in der Erinnerung von Zeitzeugen“ zu sehen. Die Menschen in der Region wurden aufgerufen, ihre Erinnerungen an die Nachkriegszeit aufzuschreiben, um sie mit den damals auf dem Markt befindlichen Kinderbüchern zu vergleichen. 

Bücher wie „Peterchens Mondfahrt“ waren populär, die Älteren werden sich erinnern. Die Wirklichkeit sah anders aus und viele wollten von Krieg und Leid nichts mehr wissen, flüchteten sich in eine heile Welt. 

„Schöne Bücher“ statt Nachkriegswirklichkeit

Die Zeitzeugenberichte sprechen eine andere Sprache: Da gibt es die Geschichte von einem russischen Pferdewirt, einem Kriegsgefangenen, mit dem die Kinder des Hofes gut auskamen, als die Rote Armee kam, wurde er als Verräter erschossen. Eine andere Zeitzeugin sprach von der Hungersnot, da die russischen Panzer die Aussaat zerstört hatten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kinderbuchverlag in Ost-Berlin eine gute Adresse für zeitgemäße Literatur.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kinderbuchverlag in Ost-Berlin eine gute Adresse für zeitgemäße Literatur.

© Rolf Brockschmidt

Zwei Verlage in Ost und West versuchten nach dem Krieg gegenzusteuern. Zum einen der Kinderbuchverlag in Ost-Berlin und der West-Berliner Felguth-Verlag. Beide versuchten, Kindern anspruchsvolle und zeitnahe Literatur zu bieten. Der Kinderbuchverlag orientierte sich dabei stark an Kinderbüchern aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und aus China, die stilbildend wirkten.

Von 1945 bis 1950 wagte der Felguth-Verlag in West-Berlin einen kritischen Neuanfang in der Kinderliteratur. Autoren und Illustratoren waren um eine realistische Schilderung der Verhältnisse bemüht.
Von 1945 bis 1950 wagte der Felguth-Verlag in West-Berlin einen kritischen Neuanfang in der Kinderliteratur. Autoren und Illustratoren waren um eine realistische Schilderung der Verhältnisse bemüht.

© Rolf Brockschmidt

Der Felguth-Verlag konnte mit seinen einfach gedruckten und gehefteten Titeln nach der Währungsreform nicht mehr mithalten, die Menschen wollten „schöne Bücher“ für ihr neues Geld. In Felguths Büchern ist die Nachkriegswirklichkeit zu sehen, Trümmer werden nicht ausgespart.

Das Kinderbuchmuseum ist eine Bereicherung für die Kulturlandschaft im Großraum Berlin/Brandenburg, lenkt es doch den Blick auf einen Teil des Literaturbetriebs, der gerne übersehen wird.
[Schulweg 2, 146728 Kleßen-Görne. Mittwoch bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, Eintritt 5 Euro, ermäßigt 2 Euro.]

Zur Startseite