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Die Berliner Rap-Gruppe K.I.Z.

© Christoph Voy

Neues K.I.Z-Album: Auf den Trümmern das Paradies

Die Berliner Krawall-Rapper K.I.Z versuchen es auf ihrem Album "Hurra, die Welt geht unter" auch mal ohne Ironie. Ein Treffen.

Vor zehn Jahren hatte sicher die Hälfte aller Berliner Oberstufenschüler das Album „RapDeutschlandKettensägerMassaker“ der Band K. I. Z in ihrem Besitz, ohne je die CD gekauft zu haben. Heute erhalten Journalisten von ihrem neuen Album noch nicht mal eine Rezensionskopie mit Wasserzeichen, sondern werden zur listening session in eine Kreuzberger Büroküche gebeten. Ist das jetzt Aufstieg oder doch schon Fall?

„Das kommt darauf an, wie du’s siehst“, antwortet Tarek und gähnt. K. I. Z sind müde. Am Vortag sind sie bei „Rock am Ring“ vor 80 000 Zuschauern aufgetreten, zusammen mit Rap-Acts wie Trailerpark oder der Antilopen Gang. „Das hatte Splash-Feeling“ sagt DJ Craft in Anspielung auf das große Hip-Hop- und Reggae-Festival.

So weit ist Deutschrap gekommen, ohne dass es Reibungen geben würde, wie etwa in Glastonbury, wenn Kanye West als Headliner auftritt. Nicht nur kommerziell ist Deutschrap ganz vorne, sondern auch künstlerisch. Eine ganze Reihe Alben – „Russisch Roulette“ vom Ex-Dealer Haftbefehl, „Alles Brennt“ von den wilden Moralisten Zugezogen Maskulin oder jüngst „Baba aller Babas“ vom knasttraumatisierten Hedonisten Xatar – sind nicht nur musikalisch auf Augenhöhe mit allen vorstellbaren Referenzgrößen, sondern stellen auch die dringliche Frage: „Wie geht Deutschland mit seinen Ungewollten um?"

K.I.Z starteten mit satirischen Pornoproll-Fantasien

An diese Erfolge – in den Feuilletons und in den Charts – soll „Hurra die Welt geht unter“ anknüpfen. Es ist das fünfte Album von K. I. Z – die MCs Tarek, Nico und Maxim sowie DJ Craft – die noch zu Hochzeiten des Aggro-Berlin-Labels anfingen. Sie selbst erschienen auf dem Berliner Straßenlabel Royal Bunker und hatten die Strategie, Rap-Klischees gleichzeitig zu bedienen und zu dekonstruieren.

Über die satirische Absicht ihrer Penispornoprollfantasien gab es nie einen Zweifel, die Frage war nur, ob alle den Gag verstehen und wie witzig er war. Bei „Rock am Ring“ wurden sie 2007 jedenfalls wieder ausgeladen und das Musikmagazin „Intro“ weigerte sich, über sie zu berichten. Es waren unschuldigere Zeiten, als man noch provozieren konnte.

Heute wollen K. I. Z andere Tabus brechen. „Hurra die Welt geht unter“ wird als ein „ernstes“ Album angekündigt. Und tatsächlich zeigt sich nach dem Eröffnungsstück „Wir“ – inklusive einer doch eher fragwürdigen Holocaust-Punchline – das Thema der Platte. Es geht um Kapitalismus, Abhängigkeiten und soziale Vergletscherung. „Armut heißt bei Klassenfahrt zu Hause bleiben und Adidas mit vier Streifen“ bringen sie es im Song „Geld“ auf den Punkt. Das Bild ist betont lebensnah und doch nicht penetrant – und irritiert genau deswegen, weil es als Sozialkritik über sich hinaus verweist, aber ohne zweite ironische Ebene. Es ist Kritik, auf die dann gleich Selbstkritik folgt: „du kaufst dir diesen Hit und das Geld kommt zu mir zurück“. Selbst Kunst, die Probleme aufzeigt, ist Teil des Problems.

Aber K. I. Z richten sich nicht in diesem Defätismus ein. Sie thematisieren menschliche Grausamkeiten von Nationalismus bis Kindesmissbrauch. Was früher oft nur Textur oder schlimmstenfalls Vorlage für eine Schock-Pointe war, ist heute Teil eines gesellschaftskritischen Rundumschlags. Auch die bekannte Horrorcore-Soundästhetik trägt zu dieser Beklemmung bei. Dahinter steht offensichtlich echte Empörung. Aber Nico zuckt nur mit den Schultern: „Wir fanden diesmal Themensongs einfach interessanter“. Maxim will sich noch nicht mal auf das Format festlegen: „Es könnte wie ein Konzeptalbum wirken, aber das ist Ansichtssache.“

Denn so eindeutig die Anklagen auf ihrem Album sind – im Song „Boom Boom Boom“ ruft Tarek mit Verzweiflung in der Stimme „Denkt ihr die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen mit dem großen Traum, im Park zu dealen?“ – so zurückhaltend ist die Band, irgendeine Lesart vorzugeben. Ziel ist immer noch die Irritation. „Bei diesen Themen fand ich es um einiges verstörender, das mal direkt zu sagen. Wenn man etwas in einen Witz verpackt, bleibt manchmal nur der Witz übrig“, erklärt Maxim den neuen Zugang der Band.

„Das Lied des Gefangenen, der langsam seinen eigenen Käfig liebt“ hat David Foster Wallace einmal die Gefahren von Ironie beschrieben. „Hurra die Welt geht unter“ zeigt den Weg einer Band, die aus diesem Gefängnis ausgebrochen ist und vorsichtig in der Welt herumtappst. Denn bei allem ehrenhaften Furor sind diese Momente einer neuen Ernsthaftigkeit mitunter furchtbar unbeholfen, vor allem, wenn sie nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist. Dann wird es nämlich richtiggehend pathetisch, wie im Trennungssong „Freier Fall“ und bei Zeilen wie „meine treue Begleitung ist meine Einsamkeit“.

Im Song „AMG Mercedes“ wendet sich die Band an all die „Straßengangs und Bonzencliquen“, die ihre Jugend beschwert haben: „Ich war fünf Jahre Opfer – ihr die 50 Jahre danach“. Damit sind sie näher dran als früher am Coming of Age-Tonfall von Kollegen wie Casper oder Kraftklub, mit denen sich K. I. Z das Management teilen. Alle drei machen Rap auch für Leute, die sonst keinen Rap mögen.

Immer schön dekadent bleiben

Eines der großen Themen von K. I. Z ist die Dekonstruktion von Sexismus, in der Gesellschaft und im Hip-Hop. Dass sie Feministen sind, würden sie aber nie sagen. Sie wollen ihre Überzeugen nicht in platte Slogans packen und keine Bewegung vertreten. Nur einmal erlauben sie sich eine Parole. Mit Bezug auf den 68er- Spruch „unter Steinen wartet der Sandstrand“ entwerfen sie im Titeltrack, der das Album abschließt, die Idee einer „netten Welt“, wie Nico es ausdrückt. In dieser Welt gibt es keine Pässe, keine Drogen, keine Pornos – „auf den Trümmern steht das Paradies“.

Haftbefehl hat die Erlösung in vager Religiosität gefunden, Xatar in Konsum. Zugezogen Maskulin, deren Album insgesamt schärfer und beißender ist, bieten erst gar keinen Ausweg an. K.I.Z auch nicht, aber sie haben immerhin eine Vision. Dass in dieser Vision eigentlich kein Platz für ihre Musik ist, spielt keine Rolle – im Gegenteil, das macht diese andere Welt ja überhaupt erst zum Paradies.

Bis es so weit ist, fahren K.I.Z aber weiter den Dekadenz-Film. „Kinder, wenn ihr Ecstasy nehmt, müsst ihr beim Detoxen am nächsten Tag am besten nur koksen“, rät Maxim zum Abschluss des Gesprächs, und Nico ergänzt: „Und unser Album kaufen!“ Ganz witzig – und der letzte Beweis, dass die bessere Welt noch auf sich warten lässt. Im Paradies gibt es schließlich keine Promosessions.

„Hurra, die Welt geht unter“ erscheint am 10.7. bei Vertigo Berlin/Universal. Konzert: 18.12. Max-Schmeling-Halle.

Fabian Wolff

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