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Haudrauf der speziellen Art: US-Präsident Donald Trump, hier mit Baseballschläger.

© imago images/Starface

Neues Buch über Trump: Weil Putin es vorgemacht hat

Die Autorin Masha Gessen untersucht, warum Trump mit seinen Lügen Erfolg hat. Und übersieht dabei, was er seinen Wählern verspricht.

Von Hans Monath

Kann einer wie Edward Gallagher ein Vorbild sein? Donald Trump hat den Navy-Elitesoldaten jedenfalls in den Status eines Helden erhoben. Dabei war der nach Aussagen von Kameraden „verdammt böse“, schoss im Irak auf „jeden, der sich bewegte“ und wollte „einfach so viele Menschen töten, wie er kann“. Als Gallagher von einem Gericht vom Vorwurf freigesprochen wurde, einen bewusstlosen Gefangenen mit einem Messer getötet zu haben, aber von der Marine unehrenhaft entlassen wurde, schaltete der Präsident der USA sich ein.

Per Twitter setzte Trump Gallagher wieder in seinen alten Rang und entzog dessen Strafverfolgern ihre Auszeichnungen. Auch der Marineminister verlor über der Auseinandersetzung seinen Job. Dabei hatte Gallagher auf Instagram ein Foto veröffentlicht, auf dem der Leichnam des Gefangenen und ein Messer zu sehen waren. Doch von moralischen Standards oder institutionelle Zuständigkeiten lässt sich Trump nicht bremsen, wie Masha Gessen in ihrem Buch „Autokratie überwinden“ über dessen Angriffe auf die Demokratie schreibt. Sie fordern ihn erst recht heraus. Er empfing den Menschenjäger in seiner Residenz in Mar-a-Lago und pries ihn als Helden.

Für die russisch-amerikanische Autorin verkörpert Gallagher „die Essenz“ von Trumps Präsidentschaft: „rohe, unkontrollierte Macht, eine Abneigung gegenüber Regeln, Gesetzen und Normen, und ein ungezügeltes Verlangen, aus Hass zu handeln“. Die 2019 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung ausgezeichnete Journalistin wurde als Kind einer jüdischen Familie, die später in die USA auswanderte, in Moskau geboren. Als Korrespondentin kehrte sie 1991 nach Russland zurück, berichtete über den Abschied vom Kommunismus und den Aufstieg Putins. Wegen der zunehmenden Repression gegen Homosexuelle zog Gessen, die in der Lesben- und Schwulenbewegung aktiv ist, 2013 nach New York City.

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Die These ihres neuen Buches lautet: Trump nimmt sich bei seinen Angriffen auf die Demokratie autokratische Führer aus Osteuropa und Russland zum Vorbild wie Wladimir Putin oder Viktor Orbán, die gleichsam eine „Blaupause“ für seinen Umgang mit Institutionen, Gegnern und Presse geliefert hätten. Dabei interessieren sie Kommunikations- und Machttechniken weit mehr als soziale oder politische Voraussetzungen.

Die waren bekanntlich seit dem frühen 20. Jahrhundert in den USA auf der einen, in Ungarn und der Sowjetunion beziehungsweise nach deren Ende in Russland völlig unterschiedlich. Während die US-Amerikaner rund 250 Jahre lang Erfahrung mit der Demokratie sammeln konnten, löste in Russland schnell die „gelenkte Demokratie“ den Sowjetstaat ab. Doch an die Segnungen der Gewaltenteilung glaubt Gessen angesichts der Attacke Trumps nicht mehr. „Die Institutionen werden euch nicht retten“, warnt sie ihre Leserinnen und Leser.

Dass US-Gerichte Trump schwere Niederlagen beigebracht haben, ist ihr keine Erwähnung wert – so bei den Einreisesperren für bestimmte muslimische Länder oder beim Umgang mit illegalen Migranten. Der Kongress reduzierte die von Trump geforderten Budgetmittel für die Mauer an der Grenze zu Mexiko, im Senat scheiterte die von ihm vorangetriebene Rückabwicklung der Krankenversicherung „Obamacare“.

Und erst kürzlich entschied der Supreme Court, das Antidiskriminierungsgesetz von 1964 schütze nicht nur Schwarze und Frauen vor Benachteiligung am Arbeitsplatz, sondern auch Schwule, Lesben und Transmenschen. Die Urteilsbegründung stammte von dem konservativen Richter Neil Gorsuch, den Trump selbst berufen hatte.

Erhellend ist Gessens Buch dort, wo es Trumps Kommunikationstechniken analysiert, die der faktischen Wahrheit eine eigene, trumpsche Wahrheit entgegensetzen – „alternative facts“, wie das seine Beraterin Kellyanne Conway nannte. Auch hier sieht die Autorin Parallelen zum Vorgehen Putins und Orbáns. „Trumps Lügen sind haarsträubend, weil sie keine Ausschmückungen oder Schönfärbereien einer gemeinsamen Realität der Amerikaner sind – mit dieser haben sie nichts gemein“, schreibt sie. An anderer Stelle nennt sie Trumps Angriff auf die Sprache „einen Angriff auf die Freiheit selbst“, denn sie zerstörten die Basis, auf der ein Austausch erst möglich werde.

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Die Reaktion der US-Qualitätsmedien kommt nicht gut weg bei Gessen: Instrumente wie Faktenchecks seien wenig durchschlagend, schreibt sie. Zwar überschritt Trump der „Washington Post“ zufolge schon im April 2019 die Marke von 10.000 Lügen. Doch gelte: „Während die Lüge laufend wiederholt wird, erfolgt der Faktencheck nur einmal.“ Dadurch beherrsche die Lüge den öffentlichen Raum. Für die Quellen von Trumps Macht interessiert sich Gessen leider gar nicht. Welche Rationalität seine Wählerinnen und Wähler bewog, ihm ihre Stimmen zu geben, bleibt unerklärt. Überhaupt ist die soziale Realität der USA in dem Buch ein großer blinder Fleck.

Gessens Werk gipfelt in einem Appell zu einem moralischen Aufstand für ein besseres Land, aber der wird wohl nur Gleichgesinnte aus dem linken Spektrum der Demokraten erreichen. Damit dürfte diese Untersuchung politisch ähnlich wirkungslos bleiben wie die von ihr so klug analysierten Faktenschecks. Ein Rezept zur Schwächung des Autokraten bleibt die Autorin schuldig.

Masha Gessen: Autokratie überwinden. Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Dedekind und Karlheinz Dürr. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 299 Seiten, 20 €.

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