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Robert Habeck zieht aus der Pandemie Schlüsse für sein neues Buch.

© Kay Nietfeld/dpa

Neues Buch des Grünen-Chefs: Robert Habeck will eine Politik ohne Predigt und Zeigefinger

In seinem neuen Buch "Von hier an anders" legt Robert Habeck die Theorie für seine künftige Politik vor - und verlässt dabei klassische Themen der Grünen.

Mut zur Selbstironie muss man Robert Habeck schon attestieren. Denn wem, wenn nicht ihm selbst, dem schon häufig ein Hang zum Predigen vorgeworfen wurde, sollte das Buch eröffnende Zitat der irischen Band U2 gelten? It’s hard to listen while you preach. Die Grünen und ihr Parteichef wollen 2021 nicht mehr predigen. Die Zeit des erhobenen Zeigefingers – von Veggieday bis Flugscham – ist vorbei. Stattdessen wird das System in Frage gestellt. Und so trägt Habecks neues Buch folgerichtig den Titel: „Von hier an anders – eine politische Skizze“.

Der 51-Jährige beginnt seine Erzählung am Vorabend des ersten Lockdowns, wie er in einen ausgebuchten, aber leeren Nachtzug von München nach Hamburg steigt. Eben noch der Trubel der Bierzelte im bayerischen Kommunalwahlkampf, nun Ruhe für Reflexion.

Seine Problemanalyse reduziert Habeck dabei nicht allein auf die Pandemie. „Die Corona-Krise traf nun wirklich nicht auf eine intakte Welt, sondern eine, die schon im Dauerkrisenmodus war“, schreibt er und zählt globale Hitzewellen, den Syrienkrieg, populistische Machthaber, rechte Morde und die Flüchtlingskrise auf. Auswirkungen von der Finanz- bis zur Klimakrise kulminieren für ihn in der Pandemie: „Die Lehre aus der Corona-Krise ist, dass etwas sichtbar wurde, was vielleicht erklären kann, woher die Dynamik der Spaltung in der Gesellschaft kommt.“

Diese Zerrissenheit der Gesellschaft steht im Zentrum seiner Ausführungen. Hergeleitet von den Worten Barack Obamas am letzten Tag seiner Amtszeit. Mit Donald Trump auf der Schwelle des Weißen Haus fragte der scheidende US-Präsident seine Mitarbeiter: „What if we were wrong?“ Auch Habeck treibt die Frage um, welche Schattenseite seine linksliberale Politik mit sich bringt. Welche Menschen und Wahrheiten er übersieht. „Blinde Flecken“ nennt er das.

Besonders ausführlich beschreibt er seinen blinden Fleck in der Bildung. Zwar stiegen in Deutschland die Bildungsausgaben seit 2010 um 30 Prozent, doch das Geld werde kaum in den Primärbereich, sondern in die weiterführenden Schulzweige gesteckt. „In Deutschland wird im Bildungssystem gespart, bevor die Weichen gestellt sind.“

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Die Folge: Auf der einen Seite würden immer mehr Menschen studieren und vom Bildungsaufstieg profitieren. Auf der anderen Seite blieben die Menschen mit einfachen Schul- und Berufsabschlüssen zurück, die die soziokulturelle Benachteiligung spürten. Aufstieg der Einen auf Kosten des Abstiegs der Anderen. Habeck hat dafür einen Begriff: Paternostereffekt. Ein Aufzug, der nur nach oben fährt, weil andere Kabinen auf dem Weg nach unten sind.

"Von hier an anders" fasst rund 380 Seiten.
"Von hier an anders" fasst rund 380 Seiten.

© promo

Ähnliches beobachtet Habeck im Zusammenhang mit der Globalisierung. Zwar sei das weltweite Wohlstandsniveau gestiegen, doch profitieren davon nicht alle. Zwar habe er Freunde, die in Kopenhagen, London und Wien ein gutes Leben führen, doch gebe es neben der grünen Klientel auch die Menschen in den anderen Kabinen des Paternosters: Pflegekräfte, Erntehelfer, Arbeiter aus den alten Industriezweigen. Habeck sieht ihre Probleme, äußert Verständnis. Lösungen hat er nicht immer parat. Stattdessen Weisheiten, dass er eine andere Globalisierung wolle, keine De-Globalisierung. Da kommt er wieder ins Predigen.

[Robert Habeck: Von hier an anders. Eine politische Skizze. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 384 Seiten, 22 €.]

Große Worte auch beim richtigen Umgang mit AfD-Wählern. „Toleranz“, „Reden“, „keine Ideologie“ – dann ist er schon mitten in einer Kapitalismuskritik, eine Seite später schreibt er über das Plastik in den Weltmeeren. Von der Sächsischen Schweiz zum Pazifik – bei Habeck geht es manchmal sehr schnell. Richtig konkret wird er selten.

Habeck will Hartz IV überwinden

Etwa, wenn er Harzt IV überwinden will und dafür eine Garantiesicherung ohne Sanktionen und Vermögensprüfung vorschlägt. Auch eine Vermögenssteuer, Investitionen in den öffentlichen Raum und sozialökologische Zölle fordert er.

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Die Theorie für seine Politik hat Robert Habeck in diesem Buch vorgelegt. Erkennbar bleiben Schwerpunkte auf klassisch sozialdemokratischen Themen. Bildung, Ungleichheit, Arbeit. Oft bleibt es, wie der Titel andeutet, bei einer Skizze.

So ist es am Ende ein Buch mit einem gefestigten linken Konzept, bei dem Habeck vom Sound her versöhnlich bleibt. Kein Zeigefinger, fast keine Attacken. Wenn man so will, ein Buch, mit dem sich der grüne Parteichef jede Koalition offenhält. Denn nach Macht, daran lässt er keinen Zweifel, strebt er. „Gerade progressive Kräfte müssen Macht wollen, Macht auch können und dabei Institutionen respektieren.“

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