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Abel Tesfaye alias The Weekend, 30.

© Universal

Neues Album von The Weeknd: Einsam im Luxusloft

Der kanadische R’n’B-Star The Weeknd inszeniert sich auf seinem dritten Album „After Hours“ als geplagter aber kaum reumütiger Sünder.

Von Jörg Wunder

Es gibt vermutlich schlechtere Orte, um die gegenwärtige Krise in sozialer Isolation auszusitzen als eine 800-Quadratmeter-Junggesellenbude mit Dachterrasse, Pool und atemberaubendem Blick über Los Angeles. Andererseits können sich vier Schlafzimmer momentan ebenso falsch anfühlen wie eine Profiküche, die zur Bewirtung von Baseballmannschaften geeignet wäre.

Erst 2019 hat sich der R’n’B-Superstar The Weeknd für über 20 Millionen Dollar die spektakuläre Immobilie in seiner Wahlheimat L.A. zugelegt, und es gehört zu den vielen Widersprüchen dieses Künstlers, dass er sie auf seinem neuen Album „After Hours“ (Universal) bereits desillusioniert thematisiert: „Twenty mill’ mansion, never lived in it / Zero edge pool, never dipped in it“ singt The Weeknd auf „Snowchild“, dem am stärksten autobiografisch eingefärbten Stück eines Albums, das generell Züge einer Lebensbeichte trägt.

Zeitlupenhafte Beats und schläfrige Vocals

Auf „Snowchild“ skizziert The Weeknd mit vielen popkulturellen Anspielungen seine erstaunliche Karriere, die in zehn Jahren einen Niemand aus Kanada zum Global Player des Pop gemacht hat.

Als Abel Tesfaye, der 1990 in Toronto geborene Sohn eines aus Äthiopien eingewanderten Ehepaars, 2011 in schneller Abfolge drei Mixtapes veröffentlicht, gilt er als R’n’B-Nerd, dessen von zeitlupenhaften Beats und schläfrigen Vocals dominierte Songs wenig Mainstream-Potenzial besitzen.

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Nicht zuletzt die Erfolge seines Landsmanns und Förderers Drake verhalfen jedoch einer Reihe von Musikern – darunter Frank Ocean und The Weeknd – zu hohen Chartplatzierungen, die inhaltlich und stilistisch einen Gegenentwurf zur Masse der hedonistischen Bling-Bling-Apologeten anstreben.

Ironischerweise wird ihre Attitüde zum alternativen Role Model, was sie verdienstmäßig in Sphären katapultiert, die genau jenen turbomaterialistischen Lebenswandel ermöglichen, den sie gerade noch in Frage gestellt haben.

Bei The Weeknd durchzieht diese Ambivalenz seine gesamte Karriere: Der kommerzielle Durchbruch, der ihm 2015 mit dem zweiten Album „Beauty Behind the Madness“ gelingt und den er ein Jahr später mit „Starboy“ wiederholt, beschleunigt den Lifestyle-Irrsinn mit Partys, Sex, Drogen und Statussymbolen und saugt ihn in einen Strudel aus Entfremdung und Schuldgefühlen.

Gestörtes Verhältnis zu Frauen

So zumindest thematisiert es Tesfaye in seinen Songs. Man könnte das für eine Inszenierung halten, doch die autodestruktive Intensität seines Narrativs klingt echt. Ein zentrales Thema ist dabei Tesfayes gestörtes Verhältnis zu Frauen. Seine On-Off-Beziehungen mit Topmodel Bella Hadid und Sängerin Selena Gomez versorgen die Klatschportale mit Gerüchten und sind doch nur die Spitze des Eisbergs. In bisweilen verstörend misogynen Texten besingt er ausführlich seine Sexerlebnisse und geriert sich als emotionaler Verlierer des seriellen Austauschs der Körperflüssigkeiten.

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Diese Perspektive bestimmt auch die neuen Songs, in denen echtes Bedauern mitschwingt. Offenbar hat hier jemand kapiert, dass das ziellose Herumvögeln ein Grund dafür sein könnte, dass es mit der einen, die wichtig ist, nicht geklappt hat.

Schon die Songtitel sprechen Bände: So fürchtet sich der Erzähler vorm Alleinsein nach dem Rausch („Alone Again“), bittet vergeblich um Verzeihung („Too Late“), ist sich seines wenig liebenswerten Charakters bewusst („Hardest To Love“), ermuntert die von ihm Betrogene, sich wieder ins Leben zu stürzen („Scared To Live“) und hofft, als sie es tut, dass sie nicht über ihn hinwegkommt („Save Your Tears“).

Das Lamento kulminiert in zwei sechsminütigen Emo-Brechern: „Escape From LA“, in dem er sich vom Schauplatz seiner Misere wegwünscht, nicht ohne gegen die Zurückgelassenen nachzutreten („LA Girls look all the same … the same work done on their face“), sowie das Titelstück, das sich zum finalen Liebesflehen aufschwingt („Where are you now when I need you most? / Sorry that I broke your heart“) und in der bitteren Erkenntnis gipfelt: „Cause this house is not a home“.

The Weeknd kommt ohne Gäste aus

Wenn diese Nabelschau eines Multimillionärs auch Normalsterbliche erreicht, liegt das nicht nur daran, dass sie ein Gefühl von Verzagtheit und Desorientierung spiegelt. Sondern vor allem daran, dass The Weeknd seinen Selbstekel in eine verführerische Form gegossen hat.

Ein Schlüssel zum Gelingen des knapp einstündigen Albums liegt im Verzicht auf das im R’n’B und Hip-Hop übliche Defilée der Gaststars: Tesfaye, der bereits mit Ed Sheeran, Lana Del Rey, Pharrell oder Beyoncé gesungen hat, übernimmt ganz allein den Part am Mikro, was „After Hours“ einen homogenen Flow verleiht. Tesfayes körperlos schwebender, oft ins Falsett kippender und mit Autotune manipulierter Gesangsstil ist ähnlich unverwechselbar wie die Raptechnik von Kanye West. Beide setzen nicht auf Virtuosität, sondern auf eine aus der Selbstbeschränkung resultierende Wiedererkennbarkeit.

80er-Saxofon-Exzesse

Musikalisch orientiert sich The Weeknd am Synth-Pop der 80er Jahre in seinen diversen Schattierungen. Vangelis’ düstere Klangschwaden aus dem „Blade Runner“-Soundtrack wabern durch mehrere Songs, aber auch Michael Jacksons federnder „Thriller“-Groove oder furchtlose 80er-Saxofon-Exzesse finden Nachhall. Das Klangbild ist dabei keineswegs nostalgisch, sondern in der Fluidität diverser Instrumentalspuren ganz im hier und jetzt.

Selbst eindeutige Verweise wie das Elton-John-Zitat in „Scared To Live“ oder der Beat von A-has „Take On Me“ in der fantastischen Single „Blinding Lights“, dem besten Stück des Albums, werden ins klangliche Zwielicht einer Platte gezogen, dessen illustre Produzentenschar (darunter der unvermeidliche Max Martin) ganze Arbeit geleistet hat.

Am Ende der emotionalen Tour de Force ist The Weeknd völlig ausgelaugt und säuselt zu schäumenden Keyboards „Until I Bleed Out“, so der Titel des letzten Stücks. Der sexual predator, als den er sich vor kurzem noch im furiosen Netflix-Thriller „Uncut Gems“ porträtiert hat, wirkt wie eine ferne Erinnerung. Kein Wunder, der Film spielt im Jahr 2012.

Im Frühjahr 2020 sitzt The Weeknd allein in seinem goldenen Käfig und sinniert über seine Sünden. Tauschen möchte man mit ihm nicht. Ihm dabei zuhören aber sehr wohl.

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