zum Hauptinhalt
Stereo Total

© Paul Cabine

Neues Album von Stereo Total: Fehler vom Feinsten

Stereo Total haben gerade ihr zwölftes Lo-Fi-Popalbum veröffentlicht. Es ist wie immer toll. Ein Hausbesuch.

Viel Zeit gibt es an diesem Dienstagnachmittag nicht, um mit Brezel Göring und Françoise Cactus von Stereo Total über ihr neues Album „Les Hormones“ zu sprechen. Dies ist zwar nicht das Adlon, nicht Hollywood, sondern nur die Wohnung der beiden in Kreuzberg, am anderen, unbekannten Ende der Dresdner Straße, gewissermaßen im Hinterhof des Oranienplatzes; und Stereo Total sind auch nicht Rihanna oder wenigstens Herbert Grönemeyer, sondern eine Band, die von sich behauptet, dass sie „nie berühmt werden, sondern immer nur Musik machen wollte“. Und die manche ihrer Songs bezeichnet als „Klänge aus einer Ära, in der Virtuosität noch nicht erfunden war.“

Nach einer halben Stunde muss trotzdem Schluss sein. Der Mann von Stereo Totals Plattenfirma, der die ganze Zeit dezent in der Küche werkelt, mahnt zur Eile. Die nächste Kollegin sei da. Reicht doch, findet er. So ist nun mal das Musikbusiness mit seinen Interviewtagen, könnte man anfügen – egal wie hoch der Berühmtheitsgrad der jeweiligen Band ist, egal, dass man mit Stereo Total in einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten in deren früheren Wohnungen am Maybachufer und in der Oranienstraße in Kreuzberg oder der Wollinerstraße in Mitte schon ohne Zeitdruck gesessen, geredet und Alan-Vega-, Sigmund-Freud-Experience- oder Golden-Showers-Platten vorgespielt bekommen hat. Und egal, dass es allein deshalb viel zu besprechen geben müsste, weil Stereo Total seit ihrem letzten Album „Françoise vs Brezel“ vier Jahre haben verstreichen lassen, um wieder neue Songs aufzunehmen.

Andererseits: Übermäßig viel hat sich dann auch wieder nicht getan. Was nur positiv gemeint ist. Brezel Göring und Françoise Cactus sehen wie immer super aus: Brezel ist schlaksig-dürr, trägt ein T-Shirt seiner aktuellen Lieblingsband Pisse aus Hoyerswerda, Françoise ist vielleicht eine Spur fülliger geworden. Sie sind entspannt – und sie nehmen, routiniert wie sie in den 20 Jahren ja auch geworden sind, das mit den Interviews mal ernster, mal weniger ernst. Kommt immer auf den Gesprächspartner an.

Das neue Album ist toll. Kling wie immer.

Weshalb sie gleich zu Beginn fragen, gut gelaunt, ein bisschen misstrauisch: „Hast du überhaupt die Platte gehört?“ Na klar, was sonst? „Sie ist toll, sie klingt wie immer“, gestehe ich, und Françoise entfährt ihr typisches, prustend-knarziges Lachen, in das Brezel meckernd-hell mit einstimmt. „Wir bilden uns ein, dass es jedes Mal etwas ganz anderes wäre, und wenn wir es später hören, merken wir: Ach so, ist ja doch dasselbe“, sagt Françoise und unterstreicht dieses Eingeständnis mit einer Geschichte: „Letztes Jahr haben wir ein Best-of-Album für ein englisches Label herausgebracht, ,Yéyé Existentialiste’, mit 28 Stücken. Die stammen von all unseren Alben und passen sehr gut zusammen, wie aus einem Guss, kein Problem“.

Ja, und wieder gibt es großes Gelächter im Salon der Göring-Cactus-Wohnung, der vollgestellt ist mit Vinyl-Platten, mit Büchern, und an dessen Wänden überall Zeichnungen von Françoise hängen. Um einiges ernster fügt sie aber an: „Eine Band muss sich einfach treu bleiben. Warum sollen wir eine Rockplatte machen? Das ist nicht unser Ding, das passt nicht zu Stereo Total. Außerdem gibt es genügend gute Rockbands.“

Also: „Les Hormones“ ist ein super Stereo-Total-Album, ihr zwölftes inzwischen. Man könnte sagen: Das beste seit „Oh Ah“, dem Debüt der Band von 1995. Oder auch: das beste seit „Françoise vs Cactus“. Ein Album mit lauter Hits. Alle Stücke pendeln zwischen niedlich und kaputt, zwischen Pop, Garage und Chanson, zwischen Surf und Sixties-Science- Fiction, oft haben sie einen smarten Mitgröl-Refrain. Der Sound von Stereo Total basiert auf Cactus’ Schlagzeugspiel und Görings Gitarre, angereichert mit ein paar Synthies und diversen anderen elektronischen Gimmicks. Stimmlich dominiert Françoise Cactus, die immer noch so zu singen vermag, als sei sie gerade in ihren frühen Pieps-Zwanzigern und plane die Gründung der Lolitas (ihre erste Band, nachdem sie Mitte der achtziger Jahre aus der französischen Provinz nach West-Berlin gekommen war).

Madame Cactus träumt vom Pampelmusen-Busen

Lieder über Mädchen mit Komplexen, wilde Partys, zerbrochene Lieben, übers Gewinnen und lieber noch übers Verlieren, über SM-Sex oder katholische Erziehungsmethoden, dazu ein zauberhaftes Instrumentalstück: Es ist alles dabei, was Stereo-Total-Fan-Herzen begehren. Und wenn Cactus mit ihrem nach wie vor unüberhörbar französischen Akzent in einem der deutschsprachigen Stücke (neben englischen, französischen und drei japanischen) singt „Ich hätte gern eine Wespentaille, ich hätte so gern verrückte Beine, einen Pampelmusen-Busen, eine Pfirsichhaut, einen Erdbeer-Mund“ oder: „Ich möchte jemand anderes sein als ich“, dann ist sie zugleich Schauspielerin und Grande Dame mit dem Herzen eines Riot Girls. Also immer ganz sie selbst.

Abermals lacht sie lauthals, als sie beantworten soll, was den Ausschlag für das Einspielen dieses Albums gegeben habe: „Ey, Alter, habe ich zu Brezel gesagt, wir haben schon länger keine Platte gemacht, hast du ein paar Ideen?“ Oder wenn Brezel zu erläutern versucht, dass dieses Album ohne Computer und quasi live produziert worden sei: „Wir haben alles komplett in unserem Keller aufgenommen, Fehler konnten wir keine mehr verbessern. Für mich ist das viel interessanter, da gibt es keinen Überdruss.“

Natürlich hätte man an diesem Nachmittag gern noch besprochen, wie das so ist mit dem Altern im Underground? Ob es nicht eine Sehnsucht bei Stereo Total nach dem völlig Anderen gibt, danach, jemand anders zu sein, einen Überdruss an der Album-Interview-Tour-Routine? Aber das könnte auch Projektion sein, zumal Brezel wie eh und je ein Hoch auf Fehler singt, auf die „anarchische Unordnung“, auf „das Besondere an den alten Sachen“, nämlich „dass sie mal nicht funktionieren“.

Außerdem ist die Zeit ja abgelaufen! Was Brezel nicht davon abhält, eine abschließende Wohnungsführung zu machen. Er zeigt Françoises Bilder, seine Bücher aus dem März- und dem Martin- Schmitz-Verlag und drückt mir eine Pisse-7-Inch-Single in die Hand, er hat die Band selbst produziert. Beim Abschied sagt Françoise: „Wenn du mehr Fragen hast, kannst du ja noch einmal vorbeikommen, außer der Reihe“. Immer gern. Wird gemacht!

„Les Hormones“ ist bei Staatsakt erschienen. Nächste Konzerte: 20. u. 24.4., Lido

Zur Startseite