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In Rostock geboren, in Berlin zu Hause: Rapper Marteria, 34.

© Paul Ripke

Neues Album von Marteria: Fall aus dem All

Der Berliner Rapper Marteria hat den aktuellen Deutschrap-Boom angestoßen und trifft mit seinen Songs das Lebensgefühl einer Generation. Am Freitag erscheint sein viertes Album „Roswell“.

Schöne Männer sind selten im deutschen Hip-Hop. Es gibt Straßenpoeten mit rüdem Rüdencharme, Schluffi-Loser mit Außenseiterappeal oder melancholische Selbsterkunder. Aber kaum einen, der sich wie A$AP Rocky „pretty motherfucker“ nennen könnte. Bis auf Marteria. Sein Modelgesicht – als junger Mann modelte er ein paar Jahre in New York – ist nicht der einzige Grund für die Sonderposition, die der aus Rostock stammende Berliner Rapper im deutschen Hip-Hop-Geschäft einnimmt.

Er ist freundlich, aber ohne falsches Lächeln. Er geht ehrlich mit seinen Schwächen um, ohne sein Publikum vollzubluten. Seine Musik will immer das Jetzt einfangen, ohne Trends hinterherzuhechten. Und hinter der souveränen Könner- Fassade steckt ein echter Freak – mit einem Bein immer im galaktischen Nebel, der stark nach Marihuana riecht. Auf dem am Freitag erscheinenden vierten Marteria-Album „Roswell“ möchte er all diese Facetten zusammenführen.

Die Platte läutet eine neue Phase in der Karriere von Marten Laciny ein, der unter dem Namen Marteria den aktuellen Deutschrap-Boom angestoßen hat. Seine beiden „Zum Glück in die Zukunft“-Alben waren kommerziell erfolgreich und musikalisch nach vielen Jahren Billo-Beats von Aggro Berlin fast schon visionär. Er beschrieb ein Leben zwischen Easyjet und Burn-out, Agenturjob und Partyhedonismus. Das Produktionsteam The Krauts, bekannt für seine Arbeit an „Stadtaffe“ von Peter Fox, schuf den passenden Begleitsound, der noch müheloser Pop und Rap verband, als es zur gleichen Zeit das Label Chimperator in Stuttgart etwa mit Cro tat.

Bürgerlicher Slacker als Gesellschaftsflaneur

Diese Art von Hip-Hop erschien irgendwie respektabel, und wenn er auf die Dauer etwas penetrant gut gelaunt klang, dann zeigte das nur, wie gut der 34-Jährige das Lebensgefühl seiner Generation eingefangen hatte. Mit kecken Kiffergags und Kopf-hoch-Gesten hat Marteria die Nachfolge der Fantastischen Vier angetreten, auf deren Label Four Music er nun gelandet ist. Ohne akute Abstiegsangst und trotzdem nicht sorgenlos, der bürgerliche Slacker als Gesellschaftsflaneur.

Ob dieses Lebensgefühl ganz Berlin beschrieb oder nur ein kleines Gebiet entlang der U8, kann wohl nur großstadtsoziologisch geklärt werden. Doch auf „Roswell“ erkundet Marteria Konsumlust, Ekstase, Kater und immer lauter werdende Zweifel an der Tag-Nacht-Routine mit einer überzeugenden persönlichen Note.

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Auf seiner Single „Zum König geboren“ musste er sich 2009 Urlaub unter Palmen noch erträumen, inzwischen ist er reich und ein Star. Das reflektiert er jetzt zwar, aber der Vorabsingle „Das Geld muss weg“ – unterlegt mit den derzeit unvermeidlichen Reggaeton-Beats – gelingt der Sprung vom gut gelaunten Prassertum zur Konsumsatire leider nicht.

Ansonsten schafft Marteria den Spagat. So packt er etwa in „Tauchstation“ eine Absturz-Erfahrung in Strophen, die offen genug sind, um von seinen Fans als Selbstbeschreibung auf Twitter gepostet werden zu können. Das ist keine Berechnung, sondern Marterias Essenz. Manchmal landet er damit sogar beim Kitsch, etwa mit dem Sinnspruch-Aufbaurap der „Jeder Mensch ist cool“-Hymne „Links“.

Marsimoto hat nur einen Kurzauftritt

Aber auch dieser Tiefpunkt kann nicht verbergen, dass Marteria eigentlich für eine andere Art von Rap brennt: Hip-Hop- Surrealismus mit Psychedelic-Touch auf den Spuren von Del Tha Funkee Homosapien oder dem deutschen Neunziger-Act Doppelkopf. Für grünneblige Galaxiedurchquerungen war bisher immer Marterias verstrahlter kleiner Bruder Marsimoto zuständig, mit grüner Maske und grünem Daumen. Dieses Nebenprojekt („Der Ring der Nebelungen“) machte Marten Laciny auch bei Hip-Hop-Puristen beliebt. Immerhin hatte er den Segen von Produzentenlegende Madlib, von dessen Projekt Quasimoto er sich den Kniff der hochgepitchten Stimme abgeschaut hatte.

Bis auf einen Sekundenauftritt bleibt Marsimoto auf „Roswell“ stumm, es ist Marteria selbst, der aus dem All auf die Welt fällt und überhaupt nicht mag, was er sieht. Die Alien-Metapher spielt er zu Beginn auf drei Songs durch. Sie ist wichtiger Bestandteil des Afrofuturismus und verliert leider an Wucht, wenn es statt um Diaspora und Vertreibung nur um allgemeine „weirdness“ als Distinktionsmerkmal geht. Aber das Bild von Rostock als Roswell bleibt hängen.

Marteria rappt aus der Sicht eines Geflüchteten

Seine Heimatstadt, in der er in den frühen neunziger Jahren über seinen älteren Bruder mit Rap in Kontakt kam, bekommt einen Song, genauso wie New York, wo Laciny Ende der Neunziger als Model arbeitete und obsessiv den Rap-Radiosender Hot97 hörte. Es die Ruhe vor dem Sturm, denn in der Skyline stehen immer noch die zwei Türme.

Von diesem Sturm handelt der letzte Track des Albums: In „Elfenbein“ geht es um den Weg eines Geflüchteten nach Deutschland. Es ist der aktuellste einer ganzen Reihe von Deutschrap-Songs, die sich dem Thema nähern. Dies geschieht stets beschreibend, wohingegen Marteria den Sprung in die Ich-Erzählung, in die Rollenprosa wagt. Zum Schluss erkennt er also doch, dass es noch andere Geschichten als die eigene gibt und größere Probleme als das Leerlaufleben. Und er versucht, diese Geschichten zu erzählen, etwas tollpatschig zwar, aber doch ernsthaft. Auch das macht Marteria zur Stimme einer Generation.

„Roswell“ erscheint am 26.5. bei Four Music. Konzert: 25.5., 20 Uhr, Cassiopeia Berlin (ausverkauft). Film „Anti Marteria“ ab 7.6. auf www.antimarteria.com

Fabian Wolff

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