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Die Sängerin Mai Horlemann lebt in Friedenau. „Endlich allein“ ist ihr erstes Album seit 20 Jahren.

© Mike Wolff

Neues Album von Mai Horlemann: Im Bett bleiben gilt nicht

Sie gehörte zu den Stimmen des Neuen deutschen Chansons, dann kamen die Kinder. Jetzt ist die Berliner Sängerin Mai Horlemann wieder da.

Der Vorsatz zieht: Keine Angst vor Bedenken! Probieren! Wer es durchhält, so zu leben, dem kann auch als Künstlerin nichts mehr passieren. Es ist die Jahreslosung von Mai Horlemann. Einer Sängerin, die eine Weile weg war vom Fenster und die nun mit wohltemperiertem Alt und einem acht Titel umfassenden Mini-Album ein knappes, schönes Comeback hinlegt. „Endlich allein“ lautet der Titel, was angesichts der zwanzig Musiker, die sie auf dem Klavier, Fagott, Cello oder Sousaphon begleiten, eher symbolisch zu verstehen ist.

Ende der neunziger Jahre gehört Mai Horlemann zu den prägnanten Stimmen des Neuen deutschen Chansons made in Berlin. So wie Popette Betancor oder Cora Frost. Doch statt weiter an der Solokarriere zu basteln, gründete sie mit zwei Kolleginnen das Musikkabarett-Trio „Womedy“ und tingelte kreuz und quer durchs Land. Dann verschwand sie Mitte der 2000er Jahre von der Bühne. Ihre Spur verlor sich da, wo sich die von vielen Künstlerinnen verlieren – in den Mühlen des Alltags.

Der spielt im Fall von Mai Horlemann in einer gutbürgerlichen Seitenstraße in Friedenau, wo die schmale Brünette an diesem Vormittag sturmfreie Bude hat. Die Kinder sind in der Schule. Letztere waren der Grund für die Bühnenpause oder, wie Mai Horlemann das formuliert, „die Unvereinbarkeit von Familie und diesem Beruf“. Ein Satz, den sicher viele Sängerinnen unterschreiben können, nur haben immer noch viel zu wenige den Mut, ihn wie Horlemann in ihre Vita zu schreiben. Weil jedoch existenzielle Zweifel so zu ihren Liedtexten gehören wie die Butter zum Brot, gibt es für sie keinen Grund, künstlerische Geradlinigkeit vorzutäuschen.

Horlemanns Vater war ein Vordenker der 68-er

In der melancholischen Ballade „Müde“, die sie schon mit Mitte 20 geschrieben hat und die jetzt – in neuem musikalischen Gewand – wie die Bestandsaufnahme einer Frau in mittleren Jahren klingt, ist das wunderbar nachzuhören. Begleitet von ihrem Pianisten Frank Helfrich und einem Streicherinnenquartett singt sie von einer trägen Frau, die einfach nicht aufstehen mag: „Was hab’ ich nicht alles nicht gemacht? Zu was hab’ ich’s nicht alles nicht gebracht?“ Es ist eine ernste, im Gegensatz zu „Rindfleisch in Schweinfurt“ kein bisschen kabarettistische Nummer, die vom ewig unabänderlichen Bedauern erzählt, nur ein Leben leben zu können – und dafür auch noch das Bett verlassen zu müssen. „Gnadenlos verrinnt die Zeit / doch ich bin noch nicht so weit / ich bin zu müde.“

In dem stimmungsvollen Video, das auf ihrer Homepage zu sehen ist, treten neben der Sängerin ein Mädchen und eine Greisin als junge und alte Ausgabe Horlemanns auf. Eine gewisse Familienähnlichkeit ist unverkennbar. Ja, bestätigt die Sängerin den berührenden Effekt, das seien ihre Mutter und ihre Tochter. Das ist nun wieder ein guter Nebenaspekt der familiären Bühnenpause: Die Statistinnen für Videodrehs gibt’s frei Haus.

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Das Gedenkjahr „Fünfzig Jahre Studentenrevolte“schlägt sich allerdings nicht in Horlemanns Familienkalender nieder. Obwohl die Chanteuse aus dem West-Berliner 68er-Adel stammt. Ihr lange verstorbener Vater war Jürgen Horlemann, einer der Vordenker der Bewegung. Der Autor und Verleger gründete 1970 die maoistische KPD/AO. Ihre Mutter Renate Horlemann und er trennten sich bereits, als die Tochter vier Jahre alt war. Später sei ihre Mutter dann mit Grips-Gründer Volker Ludwig verbandelt gewesen, was ihr viele Theaterbesuche beschert habe, erzählt Mai Horlemann. Und eine antiautoritäre Erziehung? Nein, schüttelt sie den Kopf, aber „Müde“ sei durchaus auch ein Lied über ihre Mutter, die viel verschoben und verschlafen habe. „Ich habe sie viel im Morgenmantel erlebt.“

Das kann Mai Horlemann, die einer melodisch swingenden Nummer den ambitionierten Arbeitstitel „Meisterwerk“ gegeben hat – und eine leidenschaftliche Läuferin ist –, nicht passieren. „Die Eitelkeit ist ein großer Motor“, begründet sie die Notwendigkeit, jetzt, wo die Kinder größer sind, wieder durchzustarten. Und überhaupt ist ihr das Texten das wichtigste Bedürfnis. Auch gern für andere Interpreten. „Die Gema soll schließlich mal meine Rente bezahlen.“

Das Komponieren überlässt sie ihrem Arrangeur Frank Helfrich. Warum? Im Wohnzimmer steht doch ein schwarz lackiertes Klavier. „Das spiele ich aber nicht“, sagt sie mit bedauerndem Blick. Auch aus diesem Defizit hat Horlemann eine Nummer gemacht, wie alsbald offenbar wird.

Sollen doch die Teenies ihre Pophymnen haben

Testläufe des neuen Programms „Endlich allein“ hat sie im vergangenen Jahr schon im BKA-Theater und im Grünen Salon absolviert. Doch weil eine Bühnenshow stetes Ausprobieren und Üben erfordert, tritt sie regelmäßig in der Scheinbar auf, um die Nummern für das Solo in der Ufa-Fabrik zu polieren.

Zwei Tage später auf der Monumentenbrücke in Schöneberg. Graupel rieselt, Dunkelheit drückt, ein Passant stapft mit hochgeschlagenem Mantelkragen vorüber. „Mensch, lass dich doch nicht von einem Bauchredner ärgern!“, spricht er lautstark ins Handy. Das sind so Sätze, wie man sie nur auf dem Weg in die Scheinbar hört, jener Schöneberger Minibühne, deren Open Stage allwöchentlich von donnerstags bis sonntags zum Versuchslabor aufstrebender und altbekannter Kleinkünstler wird.

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Rappelvoll ist es drinnen ja gerade nicht. Und der junge Typ mit der Klampfe, der zum Auftakt Knittelverse singt, steht sichtlich noch am Anfang der Karriere. Nach dem fernsehbekannten Comedian Masud Akbarzade ist als Dritte Mai Horlemann dran. „Die schönste Sängerin, die auf einer Bühne in der Monumentenstraße steht“, harft der nicht mehr ganz taufrische Moderator und merkt an: „Ich kenne sie schon, seit ich hier auf der Bühne stehe!“ Aua, wer so einen Ansager hat, braucht keine Feinde mehr.

Auftritt Mai Horlemann in Jeans und Blümchenbluse. Der erste Satz ist ein Lacher. „Wenn ich vor vier Jahren angefangen hätte, Klavier zu spielen, könnte ich schon vier Jahre Klavier spielen.“ Na bitte, das Identifikationsangebot ist schon mal angenommen. Es folgen ein Monolog über erfolgreiche Frauen und das mit munterem Akkordeon-Geschunkel arrangierte Lied „Wir sind nicht mehr zwanzig, so ein Glück / wir wollen doch voran und nicht zurück“. Sollen doch die Teenies ihre Pophymnen haben, bestätigt der Applaus Mai Horlemann, die Kernkompetenz des Mittelalters ist Selbstironie.

„Endlich allein“ erscheint am 9. 2. bei Timezone, Konzert am 23. 2. in der Ufa-Fabrik, Viktoriastraße 10–18, Tempelhof

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