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Mehr als bloße Hipsterpose. John Moods braucht keine ironische Distanz.

© Andie Riekstina

Neues Album von John Moods: „So Sweet So Nice“ ist ein unwiderstehliches Ohrwurmbündel

Der Berliner Songwriter John Moods verneigt sich mit seinem wundervollen zweiten Album vor dem Soft Pop der Achtziger. Da werden selbst in Neukölln die Augen feucht.

Mit ausgestellter Schrulligkeit ist man in Berlin nur all zu oft konfrontiert. Vor allem in Neukölln, wo jeder zweite Passant mit hyperironischem Kleidungsstil und grotesken Frisuren herauszustechen versucht – und gerade dadurch im Meer der ausgebeulten Second-Hand-Garderoben unterzugehen droht. Am östlichen Ende des Tempelhofer Feldes, so erzählt man sich in anderen Bezirken gerne, sind die Netzhäute ausgetrocknet vor lauter Augenzwinkerei.

Oberflächlich betrachtet, scheint John Moods das Klischee der Hipsterpose vollends zu bestätigen: Mit Vokuhila, Strähnchen und Nerdbrille wirkt der 36-Jährige wie aus der Retro-Zeitmaschine gefallen. So abwegig ist das auch nicht, schließlich verneigt er sich mit seinem neuen Album „So Sweet So Nice“ (Mansions and Millions) vor dem sentimentalen Soft Pop der Achtziger.

Als Jonathan Jarzyna wuchs der in Süddeutschland geborene Songwriter in Berlin auf. Hier gründete er im Winter 2010 zusammen mit der New Yorkerin JJ Weihl die Indieband Fenster, die längst zum liebgewonnenen subkulturellen Interieur der Hauptstadt gehört.

Vor einigen Jahre wanderte Jarzyna allein an der spanischen Mittelmeerküste bis nach Portugal. Von der iberischen Selbsterfahrungsreise kehrte er als John Moods zurück. Unterwegs hatte er Material für ein ganzes Soloalbum auf seinem Smartphone aufgenommen. „The Essential John Moods“ hieß das 2018 veröffentlichte Debüt.

Der nicht gerade bescheidene Titel stand im angenehm humorvollen Kontrast zu den zurückgenommen Kompositionen, die er mit flehender Falsettstimme garnierte. Die Songs liefen sogar in erfolgreichen TV-Serien wie „High Maintenance“ oder „High Fidelity“.

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„Als John Moods bin ich in der Lage, mich auf mich selbst einzustellen und meiner Intuition zu folgen, ohne zu sprechen“, erklärte er jüngst in einem Interview. „Ich versuche, diese besonderen Melodien aus den Tiefen des unterbewussten Radiosenders einzufangen und zu hören, was das Herz will.“ Um die Signale für das Zweitwerk „So Sweet So Nice“ zu empfangen, zog er sich in ein polnisches Landhaus zurück.

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In der Einöde der Provinz verstärkte er die unwiderstehliche Sogwirkung seiner Lieder noch einmal. „New Skin“ eröffnet das Album, und tatsächlich hat man das Gefühl, einer vertonten, künstlerischen Häutung beizuwohnen. Zarte Synthieeinsprengsel umspielen einander, bis sich die ersten Hooks herausschälen und den Hörnerv belagern. In seiner verschrobenen Sanftmut erinnert das an Bon Iver. Doch kaum eingelullt, zucken schon die flinken Tanzfüßchen.

Der federnde Titeltrack „So Sweet So Nice“ würde in jeder 80s-Pop-Playliste herausstechen. Das große Gespür für Groove und Melodien setzt sich in der unbeschwerten Ausgelassenheit von „Without You“ und „Talk To Me“ fort. Selbst in „Ordinary Music“, das zwischen wehmütigen Panflöten und aufjaulendem Saxofon-Solo changiert, hört das Wippen im Bein nicht mehr auf. Erst die Americana-Klänge von „All You Gotta Do Is Wait“ am Ende der ersten Hälfte laden kurz zum Schließen der Augen ein.

John Moods braucht keine ironische Distanz

Das Album ist ein Diptychon aus zwei EPs. Der erste Teil „So Sweet“ erschien im April, „So Nice“ komplementiert nun die LP . „Ich liebe das Konzept der Dualitäten als Paradoxe, die einander brauchen“, erklärt John Moods. Schließlich messen erst die Wechselbeziehungen zwischen Gegensätzen die Tiefe des Lebens aus. Licht und Dunkelheit, Gut und Böse, Sommer und Winter. Auf A- und B-Seite trifft das hier eher nicht zu.

Vielmehr sind es die scheinbaren Widersprüche zwischen Boden und Luft, geerdeten Grooves und ätherischer Leichtigkeit, Ausgelassenheit und Melancholie, die Jarzyna in Gestalt von funkigen Licks, psychedelischem Folk und umschmeichelnden Yacht- Rock-Synthies vereint. In dieser opulenten Klanglandschaft verknotet das tolle Songwriting die Melodien zu einem Ohrwurmbündel. Das vom Wah-Wah-Pedal getriebene „In A New Way“ fasst als später Höhepunkt alle Stärken in einem der schönsten Popsongs des Jahres zusammen.

Und wie war das jetzt mit der Hipsterpose? Nein, John Moods braucht keine ironische Distanz. „So Sweet So Nice“ ist ein so wundervolles Album, dass die Augen auch am östlichen Ende des Tempelhofer Feldes wieder feucht werden. Und hoffentlich nicht nur da.

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