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Leaks, Lieder, Literatur. Der Blumfeld-Musiker Jochen Distelmeyer, 48 Jahre.

© Sven Sindt/Promo

Neues Album von Jochen Distelmeyer: Hinter der Musik

Man muss nicht immer auf den Kick warten: Jochen Distelmeyers schönes, intimes Coverversionen-Album „Songs From The Bottom, Vol.1“.

Was soll das denn jetzt, fragte man sich sorgenvoll, als vor Wochen die Veröffentlichung dieses Albums von Jochen Distelmeyer angekündigt wurde, „Songs From The Bottom, Vol. 1.“ Kein wirklich neues Album, sondern eins mit Coverversionen. Erst die Blumfeld-Reunion nach fast einem Jahrzehnt, um ausschließlich die ersten beiden Blumfeld-Alben live aufzuführen; dann mit „Otis“ ein Roman, der mehr als verunglückt war, ein Schiffbruch in Plüschgewittern; und nun interpretiert Distelmeyer die Songs anderer?

All das macht den Eindruck, als würde hier ein zwar verdienstvoller, aber noch relativ junger Popmusiker, Jochen Distelmeyer ist Jahrgang 1967, einen kreativen Burn-out haben: ein bisschen Nachlass ordnen, ein bisschen schreiben, ein bisschen den Johnny Cash machen, nur dass dieser, als er unter Rick Rubins Anleitung seine „American Recordings“ veröffentlichte, schon Mitte sechzig war. Aber so schlimm ist dann alles nicht, sondern bloß folgerichtig und im Fall dieses Albums sogar ein kleiner Glanzpunkt.

Der Titel beruht auf einen Song von Kevin Ayers

„Songs From The Bottom“ entstand als Produkt von Distelmeyers „Otis“-Lesetour, auf der er eben nicht nur vorlas, sondern ganze Passagen seines Romans frei rezitierte und zudem immer mal wieder zur Gitarre griff und Lieder von Nick Lowe, Britney Spears oder Radiohead spielte. Als er nach den Lesungen auf die Songs angesprochen wurde und ob sie schon veröffentlicht worden seien, kam die Idee zu diesem Album. Den Titel dafür fand Distelmeyer in einem Song von Kevin Ayers aus dem Jahr 1971, „Songs From The Bottom Of A Well“. Dessen Text, so schreibt Distelmeyer das frank und frei von jeglichen Zweifeln in den Liner-Notes seines Coverversionen-Albums, hätte eine Brücke zu den Themen geschlagen, mit denen er sich in seinem Roman beschäftigt hat: „Hadesfahrten. Löcher. Leaks und Literatur. Imagination und Informationspolitik. Sexual Politics der Antike. Ödipale Whistleblower. Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer. Moderne Mythen. Verlorene Illusionen.“

Klingt arg anmaßend, anmaßend schrecklich und nicht wie eine Einladung, diese Songs von ganz unten oder ganz hinten oder von wo auch immer zu hören.

Distelmeyer covert Joni Mitchell, Lana del Rey und Britney Spears

Doch schon mit Joni Mitchells „Just Like This Train“ hat Distelmeyer einen erwischt, so nah wie er Mitchell und seinen Hörern damit kommt, so intim, wie das zusammen mit den sanften Gitarrenakkorden klingt. So schön wie auf diesem Album hat Jochen Distelmeyer vielleicht noch nie gesungen, so kraftvoll und zart und verweht. Und natürlich zeigt sich in der Auswahl, dass Distelmeyer Pop in all seinen Schattierungen kennt und diesem mehr oder weniger verfallen ist. Er covert Entlegenes, Aztec Cameras „On The Avenue“ oder Nick Lowes „I Read a Lot“, gewissermaßen Klassiker aus Folk oder Soul von eben Joni Mitchell, Kris Kristofferson oder Al Green, aber auch Britney Spears Stück „Toxic“ oder Lana Del Reys „Video Games“, den großen Popkommerzstoff, den er ja erstmals auf dem dritten Blumfeld-Album „Old Nobody“ für sich entdeckt und einverleibt hatte.

Manche dieser Interpretationen sind wirklich sehr distelmeyerisch, denen vermag er seine eigenen Noten und Phrasierungen zu geben; andere sind herrlich luftig, wie Al Greens „Let’s stay together“ mit seinem Vogelgezwitscher oder das treibend pianolastige „I Could Be The One“ des schwedisch-holländischen DJ-Duos Avicci/ Nicky Romero; und richtig verunglückt erscheint zunächst The Verves „Bittersweet Symphony“ mit dem Pfeifen zu Beginn, das bollert und krumpelt ziemlich. Man möchte meinen, dass sich in diesem Pfeifen eine gewisse Ironie zeigt. Doch dagegen hat sich Distelmeyer in Interviews heftig gewehrt, auf diesem Album gebe es nicht einen Funken Ironie. Alles eins zu eins und ernst, alles bittersüß, alles nur ein Zwischenspiel. Denn schon bald soll es von ihm auch wieder ein Album mit originärenStücken geben. So wie Distelmeyer es auf seinem Soloalbum „Heavy“ von 2009 versprochen hat: „ Hinter der Musik, totes Kapital, warten auf den Kick, bring’ das Ding noch mal.“

„Songs From The Bottom, Vol. 1“ ist bei Four Music erschienen

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