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Isolation Berlin liefern das Gegengift zum Berlin-Hype. Zweiter von rechts: Sänger Tobias Bamborschke.

© Noel Richter

Neues Album von Isolation Berlin: Wenn ich eins hasse, dann ist es mein Hass

Schöner hat Unglück lange nicht geklungen: Isolation Berlin und ihr Desillusionierungsalbum „Vergifte dich“ über die hässlichen Seiten der Hauptstadt.

Berliner Nächte sind schon oft besungen worden. In Kreuzberg fangen sie ganz langsam an, wussten bereits die Gebrüder Blattschuss. Aber dann, aber dann. Ideal beschworen in ihrer Hymne „Berlin“ die Euphorie des Ausgehens: „Musik ist heiß, das Neonlicht strahlt / Irgendjemand hat mir ’nen Gin bezahlt.“ Und Rio Reiser verarbeitete einen Aphorismus von Ho Chi Minh zu einer Durchhalteparole: „Ich weiß, wir werden die Sonne sehn / Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.“

Doch so dunkel, kalt und trostlos wie in den Liedern von Isolation Berlin haben die Berliner Nächte noch nie geklungen. Die Ballade „Antimaterie“, einer der schönsten Titel des gerade erschienenen Albums „Vergifte dich“, erzählt von der Verzweiflung eines Nachtmenschen, der sich im gelben Gaslaternenlicht vorm nächsten Tag fürchtet. „Ich weiß, du sehnst dich so sehr danach, zu lachen und zu jauchzen, zu scherzen / Doch du trägst Antimaterie in deinem Herzen“, flüstert Sänger Tobias Bamborschke zu den sphärisch hallenden Akkorden einer E-Gitarre. Kein Ausweg, nirgends.

Spätestens seit Klaus Wowereit konstatierte, Berlin sei „arm aber sexy“, gilt die deutsche Hauptstadt als Metropole, in der die Party niemals endet. Aber Berlin ist nicht immer funky, es kann auch hässlich, kaputt und unsexy sein. Hipster-Hochburg, Sehnsuchtsort des Easyjetsets? Bullshit. Isolation Berlin liefern mit ihren Songs das Gegengift gegen die Klischees des Stadtmarketings. Bamborschke, heute 29, kam als Kind aus Köln nach Berlin und fand sich in einer Stadt wieder, in der er sich unsichtbar fühlte. „Die Isolation und Anonymität einer Großstadt wie Berlin kann sehr zermürbend sein, gleichzeitig aber auch berauschend und unglaublich inspirierend“, hat er in einem Interview gesagt.

Tristesse ist der Normalzustand

Als die Band, zu der neben Bamborschke der Gitarrist Max Bauer, Bassist David Specht und Schlagzeuger Simeon Cöster gehören, 2016 ihr Debütalbum „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ veröffentlichte, war das eine kleine Sensation. Die Stücke hießen „Ich hab dich nie geliebt“ oder „Verschließ dein Herz“, ihr scheppernder Postpunk erinnerte an den düsteren Existenzialismus von Joy Division. Auf der neuen Platte ist der schrammelnde Dilettantismus dem Willen zur Virtuosität gewichen. Die erste Singleauskopplung „Marie“, ein süßsaurer Liebesabgesang, ist ein veritabler Ohrwurm: „Ich will, dass du jetzt glücklich bist / Ich will, dass du mich jetzt vergisst“.

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Tobias Bamborschke, der im letzten Jahr einen Band mit Gedichten und Geschichten veröffentliche, schwelgt in neoexpressionistischen Bildern und wütenden Anklagen. „Wenn ich eins hass, dann ist das mein Leben / Und wenn ich noch was hass, dann diesen Hass“, wehklagt der Sänger im psychedelisch wabernden Selbsterkundungslied „Wenn ich eins hass“. „Ich kotze meine Existenz in U-Bahnschächte“, klagt er in „Vergeben heißt nicht vergessen“, einer schwermütigen Akustikgitarrennummer über eine ehemalige Geliebte. Und im schönen Auftaktstück „Serotonin“ treffen sich Übermut und Unglück: „Wenn du mich suchst, du findest mich am Pfandflaschenautomat / Da hole ich mir zurück, was mir gehört.“ Warm brummt dazu eine Orgel, und die E-Gitarre spielt fröhliche Tremeloakkorde. Serotonin ist das Hormon, das den Blutkreislauf reguliert. Es sorgt für ein Gefühl der Gelassenheit und innerer Ruhe, der Mangel kann zu Depressionen führen.

Die Tristesse ist der Normalzustand in den Liedern von Isolation Berlin, eine Glücksabwesenheit, der man nicht entkommen kann. „Mit dem Morgen schleicht die Einsamkeit in das kühle Loch in meiner Brust zurück“, singt Bamborschke im Anti-Liebeslied „In deinen Armen“. Berliner Nächte können schlimm sein. Doch die Tage sind noch schrecklicher.

„Vergifte dich“ von Isolation Berlin ist bei Staatsakt erschienen. Konzert am 12. Mai im Astra Kulturhaus

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