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Die etwas andere Rockband. Hot Chip, im Jahr 2000 in London gegründet, kreuzen Indiepop mit Dancemusik.

© Steve Gullick / Domino

Neues Album von Hot Chip: Liebe ist die Zukunft

Auch nach 15 Jahren noch fresh und innovativ: Die Pop-Schlaumeier von Hot Chip veröffentlichen mit „Why Make Sense?“ erneut ein gutes Album.

Als überzeugter Hot-Chip-Fan musste man langsam unruhig werden. 2014 ging zu Ende, und weit und breit kein neues Album der Indie-Electro-Popper in Sicht. Das konnte nichts Gutes bedeuten, oder? Denn wenn auf etwas Verlass war, dann doch auf den Zwei-Jahres-Rhythmus der englischen Ausnahmeband. Wie eine sauber arbeitende Maschine spuckten die Musiker um Alexis Taylor und Joe Goddard 2004, 2006, 2008, 2010 und 2012 neue, ziemlich gute Platten aus. Entwarnung: Es hat zwar ein bisschen länger gedauert als sonst, aber am Freitag erscheint „Why Make Sense?“. Und Hot Chip klingen wie immer.

Joe Goddard, bei Hot Chip für den Sound und die Beats zuständig, sprach kürzlich in Berlin „brutally honest“, also brutalstmöglich ehrlich, über die Songs: „Die neue Platte ist kaum anders als unsere anderen. Wir pflegen immer noch unsere Liebesbeziehung zu Soul und Funk, zu Hip-Hop, House und Disco. Die Songs sind vielleicht ein bisschen langsamer und ein bisschen aufgeräumter, damit Alexis’ Stimme besser zur Geltung kommt. Aber das sind dezente Unterschiede.“

Eine clevere Hipster-Band

15 Jahre lang existieren Hot Chip jetzt bereits. Die beiden Hauptakteure kennen sich noch aus Schulzeiten, der eine war damals glühender Prince-Verehrer, der andere begeisterte sich für Hip-Hop. Nicht ungewöhnlich für zwei weiße britische Mittelklasse-Jungs, aber auch nicht die besten Voraussetzungen, um selbst erfolgreich Musik zu machen. Denn, mal ehrlich, zwei weiße Mittelklasse-Jungs, die einen auf Prince machen? Das kann doch eigentlich nur danebengehen. Ging es aber nicht, schuld daran war ein bisschen der Zeitgeist. Musiker, die Indie und soften Gesang, Electro und Prince, Beats und Beatles in ein und demselben Song vereinen konnten, lösten auf einmal – wir sprechen von den späten nuller Jahren – Bewunderung aus. Noch dazu, wenn sie jung waren, in London lebten, seltsame bunte Pullover und übergroße Hornbrillen trugen. Hot Chip galten schnell als Hipster-Band, clever, ironisch, nicht ausrechenbar, immer für eine Sound-Überraschung gut.

Kommt da noch was?

Jetzt sieht das alles ein bisschen anders aus. Die fünf Musiker sind mittlerweile Mitte 30 und lösen keine Begeisterung mehr aus, aber Respekt. Als „elder statesmen of the indie-disco scene“ wurden sie in ihrer Heimat beschrieben. Die Frage lautet: Wie lange kommt eine Band mit so viel Stillstand eigentlich durch? Vermutlich noch eine ganze Weile, denn das, was Hot Chip mit den immer gleichen Mitteln zustande bringen, klingt immer noch einigermaßen aufregend und gleichzeitig vertraut. „Why Make Sense?“ knüpft an den dadaistischen Befehl „Stop Making Sense“ der Talking Heads an und widmet sich den Sehnsüchten und Ängsten des modernen Großstadtbewohners.

Der retrofuturistische Partykracher „Huarache Lights“ dreht sich um rauschende Feiernächte, „Need You Now“ ist eine wunderbare House-Hymne mit verzweifeltem Unterton, ein barmend vorgetragenes Lamento darüber, gefangen zu sein in der eigenen Haut. Man könnte „Why Make Sense?“ für ein Konzeptalbum über die Liebe halten, immer wieder geht es um Gefühle, Erfüllung und Enttäuschung. „Jeder Ton soll sich so aufregend wie möglich anhören“, sagt Joe Goddard. „Der Gesang soll mächtig und präsent klingen. Wir arbeiten schnell, damit die Songs lebendig bleiben und nicht zugrunde gehen an zu viel Produktion.“ Die Texte stammen meist von Alexis Taylor, er schreibt sie zu jeder sich bietenden Gelegenheit in sein Smartphone. So, als würde er Gedichte schreiben, die dann zu Songtexten werden. „Es sind Songs über die Menschen, die man liebt“, sagt Goddard.

Das klingt ziemlich vernünftig und widerspricht damit natürlich dem Titel der neuen Platte, gibt Joe Goddard zu: „Why make sense – Warum muss das, was wir machen, überhaupt einen Sinn ergeben?, haben wir uns gefragt. Eine Trotzreaktion war das, auf all die Kommentare, die es neben dem Hype auch gab, die uns vorwarfen, dass das nicht funktioniert, wenn weiße Jungs, Nerds noch dazu, zu sehr in schwarze Musik verliebt sind.“

Gloriose Liebesbekundungen

Diese Liebe sorgt nach wie vor für schöne und überraschende Momente. In der Hymne „Love Is The Future“, die sich über viereinhalb Minuten zu einer gloriosen Liebesbekundung entwickelt, setzt Gastrapper Posdnuos von De La Soul unvermittelt mit seinem Sprechgesang ein, der stark an die neunziger Jahre erinnert. Derlei Retroseligkeit hätten die Zeitgeist-Schlaumeier von Hot Chip früher garantiert vermieden.

Den Titel „Why Make Sense?“ kann man auch als Arbeitsauftrag verstehen. Die Band hat ihren Sound längst gefunden, feilt aber weiterhin an unerwarteten, noch glänzenderen Songs. Joe Goddard glaubt, dass Hot Chip noch viel Zukunft vor sich haben: „Die Synthesizer müssen funky klingen und grooven, die Texte müssen intelligent sein, etwas aussagen, ehrlich und leidenschaftlich sein. Aus all’ diesen Elementen schnüren wir, so wie die Beach Boys es vorgemacht haben, ein packendes und aufregendes Paket.“ Am Ende, das Interview ist eigentlich schon vorbei, sagt er: „So lange uns die Leute hören wollen, so lange machen wir weiter.“ Das macht Sinn.

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